Intensivmediziner zur gescheiterten Impfpflicht - So wird jetzt der Herbst

Stand: 07.04.2022, 19:15 Uhr

Die Corona-Impfpflicht ist im Bundestag gescheitert. Für immer? Und was bedeutet das für den Herbst? Antworten auf die wichtigsten Fragen gibt Christian Karagiannidis, Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung, dem WDR.

War es das jetzt endgültig mit einer Corona-Impfpflicht in Deutschland? Die wird es zumindest in absehbarer Zeit nicht geben, nachdem sämtliche Entwürfe im Bundestag keine Mehrheit fanden.

Was das für die weitere Bekämpfung der Pandemie bedeutet, beantwortet Prof. Christian Karagiannidis im WDR-Interview. Der Intensivmediziner ist Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung und wissenschaftlicher Leiter der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).

WDR: Ist eine Impfpflicht in Deutschland nun endgültig gescheitert?

Christian Karagiannidis: Eine Impfpflicht wäre aus medizinischer Sicht wünschenswert gewesen. Aber was da beschlossen worden ist, ist eine demokratische Entscheidung und die sollte man respektieren und akzeptieren. Wir sollten dieses Fass Impfpflicht nicht noch einmal aufmachen und nicht im Herbst wieder mit dieser Diskussion anfangen. Das verstünde dann wirklich keiner mehr.

Sitzungssaal im Bundestag
"Es wird sicherlich mehr Arbeit auf die Intensivstationen zukommen, vor allem im Herbst und im Winter." Christian Karagiannidis, Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung

WDR: Was bedeutet das Scheitern der Impfpflicht für die weitere Entwicklung der Pandemie?

Karagiannidis: Es wird sicherlich mehr Arbeit auf die Intensivstationen zukommen, vor allem im Herbst und im Winter. Es wird sehr wichtig sein, sich darauf medizinisch richtig gut vorzubereiten. Wenn wir dann nur wie im Moment Corona hätten, wäre die Situation wahrscheinlich okay und machbar.

Aber wir müssen damit rechnen, dass wir im Herbst und Winter mit der Influenza und anderen Erkrankungen eine starke Belastung des Gesundheitswesens sehen werden. Je weniger Corona-Fälle wir dann haben, umso besser ist es.

WDR: Könnte jetzt nicht alternativ zur Impfpflicht der Aufbau eines Impfregisters ein entscheidender Faktor im Kampf gegen die Pandemie werden?

"Wirklich vorantreiben müssen wir die elektronische Patientenakte, denn bei den Krankenkassen fließen alle Informationen zusammen." Christian Karagiannidis, Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung

Karagiannidis: Ich halte nichts von einem Impfregister, generell wenig von einzelnen Registern, denn sie sind wahnsinnig teuer im Unterhalt und müssen mit viel Aufwand gepflegt werden. Wirklich vorantreiben müssen wir die elektronische Patientenakte, denn bei den Krankenkassen fließen alle Informationen zusammen. Damit lösen wir nachhaltig alle Probleme mit einem Schlag.

Was ich jetzt wirklich gut fände, wäre, wenn wir endlich dahinkämen, dass die Krankenkassen wissen, wer geimpft ist - und nicht nur gegen Corona. Das würde uns wissenschaftlich ermöglichen, die Wirksamkeit der Impfungen und auch der Nebenwirkungen viel besser einschätzen zu können. Das muss total forciert werden, denn dann hätten wir gebündelt relevante Daten.

"Was wir brauchen werden ist eine an das Pandemiegeschehen angepasste temporäre Maskenpflicht." Christian Karagiannidis, Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung

WDR: Rechnen Sie angesichts der bestehenden Impflücke im Herbst mit einem neuen Lockdown?

Karagiannidis: Das kann man nicht seriös vorhersagen. Ich glaube aber eher nicht. Was wir brauchen werden ist eine an das Pandemiegeschehen angepasste temporäre Maskenpflicht, weil die effektiv nicht nur Corona, sondern auch die Influenza fernhält.

WDR: Wie könnte sich die Pandemie entwickeln, wenn sich der neue Omikron-Subtyp XE durchsetzt, der ersten Erkenntnissen zufolge als noch ansteckender als die Variante BA.2 gilt?

Karagiannidis: Wir haben derzeit keine Erkenntnisse, dass eine Corona-Erkrankung durch die XE-Variante schwerer verläuft. Wirklich etwas ändern würde, wenn sich aus dem gegenüber Omikron gefährlicheren Delta-Stamm heraus eine neue Mutante entwickeln würde.

"Den harten Kern der Impfgegner werden wir nicht erreichen, da muss man einfach ehrlich sein." Christian Karagiannidis, Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung

WDR: Wie könnte man ungeimpfte Menschen alternativ zu einer Impfpflicht motivieren, sich doch noch impfen zu lassen?

Karagiannidis: Den harten Kern der Impfgegner werden wir nicht erreichen, da muss man einfach ehrlich sein und das sollte man auch so akzeptieren. Ganz wichtig sind aufsuchende Impfangebote für vulnerable Gruppen. Was echt etwas bringen würde wären sogenannte Public Health Nurses.

Das sind ausgebildete Krankenschwestern im öffentlichen Gesundheitswesen, die in ihrem Stadtteil relevante Menschen aufsuchen und aufklären oder dies auch in Pflegeheimen tun. Das wäre etwas total Neues in Deutschland, womit man wirklich viel erreichen könnte.

Das Interview führte Frank Menke.

Über dieses Thema berichteten wir am 07.04.2022 im WDR auch im Fernsehen: WDR Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.

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