Stimmzettel

Der Zweit-Stimmen-Deal

Parteiabsprachen vor der Bundestagswahl

Stand: 16.09.2013, 14:54 Uhr

Weniger Westerwelle wählen: Darauf läuft die Absprache zwischen FDP und CDU in Bonn hinaus. Die Liberalen "überlassen" der CDU die Erststimmen und hoffen dafür auf ordentlich Zweitstimmen aus dem schwarzen Lager. Ein Prinzip, das Schule machen soll - wenn es nach der FDP geht. Die CDU ist skeptisch.

19,1 Prozent der Erststimmen holte der FDP-Spitzenkandidat Guido Westerwelle bei der Bundestagswahl 2009 in seinem Bonner Wahlkreis - ein mehr als respektables Ergebnis. Und dennoch freute man sich in der schwarz-gelben Regierung nicht so richtig darüber. Denn die eine oder andere Stimme für Westerwelle dürfte auf Kosten des CDU-Kandidaten Stephan Eisel gegangen sein, der nur auf 31,2 Prozent der Stimmen kam. Das Direktmandat in der konservativen Hochburg Bonn holte sich schließlich SPD-Kandidat Ulrich Kelber mit 33,3 Prozent. Damit das nicht noch einmal vorkommt, machen FDP und CDU in Bonn gemeinsame Sache beim Stimmenfang. "Es wurde deshalb zwischen den Beteiligten verabredet, dass sich die Bonner CDU auf das Werben um die Erststimme konzentriert und die Bonner FDP auf die Zweitstimme setzt", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung am vergangenen Freitag (13.09.2013).

SPD sieht "Panikreaktion"

Guido Westerwelle spricht bei einer Wahlkampfveranstaltung in Dortmund

Guido Westerwelle spricht bei einer Wahlkampfveranstaltung in Dortmund

SPD-Kandidat Kelber, der das Bonner Direktmandat zum vierten Mal in Folge holen will, deutet die Vereinbarung gegenüber WDR.de am Montag als "Panikreaktion", die nicht zu dem passe, was er in Bonn von der Konkurrenz wahrnehme: "Hier sind überall noch massig Flyer erhältlich, in denen Westerwelle um die Erststimme wirbt. Und gleichzeitig will die CDU beide Stimmen haben, steht zumindest auf vielen ihrer Plakate." Eine ähnliche Vereinbarung zwischen SPD und Grünen als Antwort schließt Kelber aus: "Wir halten die Wähler für intelligent genug. Es ist kein Geheimnis, dass wir eine rot-grüne Regierung bilden wollen, aber dafür brauchen wir keine offizielle Vereinbarung oder Leihstimmen-Absprachen."

Bei der CDU widerspricht man dieser Interpretation. "Unsere Vereinbarung wurde als Leihstimmenkampagne bezeichnet, aber das ist sie nicht", sagte der Bonner CDU-Kreisvorsitzende Philipp Lerch WDR.de. "Wir rufen nicht dazu auf, die Zweitstimme der FDP zu geben." Es handele sich dabei vielmehr um eine "Schwerpunktsetzung" in den letzten Tagen vor der Wahl, mit der man ein Zeichen für die Fortsetzung der aktuellen Regierungskoalition setzen wolle. Letztendlich könne man ja keinem Wähler vorschreiben, wo er sein Kreuzchen zu machen habe.

Warb FDP-Bundesvorstand für Stimmentausch?

Der Versuch soll aber dennoch unternommen worden sein. Wie die Süddeutsche Zeitung am Montag berichtet, soll der FDP-Vorstand am Wochenende an alle liberalen Bundestagskandidaten eine Mail geschickt haben mit "Formulierungsvorschlägen" für eine Absprache mit dem örtlichen CDU-Kandidaten. Gerade in Wahlkreisen, in denen die Direktkandidaten eng beisammen lägen, wolle man auf eine "Zweitstimmenkampagne" setzen: "Denn Schwarz-Gelb ist wählbar: Mit der Erststimme für die CDU. Und der Zweitstimme für die FDP" - so zitiert die Süddeutsche aus der Mail.

Auch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), der in Münster kandidiert, hält das "Bonner Modell" für sinnvoll. Die Situation in Münster sei ähnlich wie in Bonn, "deshalb mache ich das in meinem Wahlkreis genauso", sagte er am Sonntagabend in der ARD. Dies geschehe allerdings aus eigenem Antrieb, so der FDP-Kreisvorsitzende Jörg Berens: "Das haben wir bei den vergangenen Wahlkämpfen auch schon gemacht." Von einer offiziellen Aufforderung durch den FDP-Vorstand weiß er nichts. "Diese Mail ist mir nicht bekannt", so Berens zu WDR.de.

CDU hat nichts zu verschenken

Doch egal ob offiziell oder informell: Am Ende hat die FDP deutlich mehr von möglichen Absprachen in den Wahlkreisen als die CDU. Gerade nach der Landtagswahl in Bayern, wo die Liberalen die Fünf-Prozent-Hürde deutlich verpassten, muss die Partei auch auf Bundesebene zittern. Der Tausch von prestigeträchtigen, aber bedeutungslosen Erststimmen gegen die für den Einzug in den Bundestag wichtigen Zweitstimmen könnte dabei entscheidend sein. Dumm nur, dass auch die CDU an einem guten Zweitstimmenergebnis interessiert ist: "Wenn wir in irgendeiner Form auch gegenüber der bayerischen Schwesterpartei noch unsere Ideen einbringen wollen, dann müssen wir stark sein. Das heißt natürlich auch, dass wir für beide Stimmen werben, dass wir auch keine Stimmen an die FDP zu verschenken haben", sagte CDU-Landesvorsitzende Armin Laschet im WDR.

Keine "Überhangmandate" mehr

Bei dieser Bundestagswahl werden erstmals "Ausgleichmandate" vergeben. Damit sollen Verzerrungen des Zweitstimmen-Wahlergebnisses durch "Überhangmandate" korrigiert werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte diese Änderung des Wahlrechts angeordnet. Nach langen Verhandlungen zwischen den Parteien änderte der Bundestag im Februar 2013 das Wahlrecht. In der Vergangenheit hatte die Union oftmals "Überhangmandate" als "Gegenleistung" der Leihstimmen eingefahren. "Überhangmandate" entstanden bislang dann, wenn die Zahl der gewonnenen Direktmandate einer Partei größer ist als die Zahl der Sitze, die ihr nach dem Zweitstimmenanteil eigentlich zustehen. Auf diesem Wege hatten CDU und CSU bei der Wahl 2009 insgesamt 24 zusätzliche Sitze gewonnen. Dies wird es am Sonntag erstmals nicht mehr geben. Der Nachteil: Das Parlament wird möglicherweise deutlich größer. Statt der aktuell 620 Abgeordneten könnten dem nächsten Bundestag im Extremfall mehr als 800 Parlamentarier angehören, falls zahlreiche "Ausgleichsmandate" nötig werden. Je mehr "Leihgeschäfte" es zwischen den Parteien gibt, desto mehr Abgeordnete könnten nach Berlin kommen.