Wahlplakate in einer Stadt

Wahlplakate - Parteien nehmen zunehmend politischen Gegner ins Visier

Stand: 08.02.2025, 06:00 Uhr

Wahlplakate machen Werbung für die eigene Partei? Stimmt. Allerdings immer häufiger durch Kritik am politischen Gegner.

Von Oliver Schöndube

Zitate von Angela Merkel hatten die Wählerinnen und Wähler bislang eigentlich immer nur auf Plakaten der CDU gesehen. Doch dieses hier prangt auf rotem Grund, direkt unter einem Bild von Armin Laschet. Sie halte es für falsch, Mehrheiten im Bundestag mit Stimmen der AfD zu ermöglichen, ist dort zu lesen.

Die ehemalige Bundeskanzlerin hatte so kürzlich Friedrich Merz kritisiert, den Vorsitzenden ihrer eigenen Partei CDU. Gut sichtbar hängt dieses Zitat nun an einem Laternenmast mitten in der Aachener Innenstadt. Angebracht wurde es nicht etwa von Merkels eigener Partei, sondern von den Jusos, dem Nachwuchs der SPD.

Demos gegen Merz' Migrationspläne

"Der Wahlkampf hat durch die Vorgänge zuletzt auf jeden Fall an Schwung gewonnen", analysiert Politikwissenschaftler Stefan Marschall von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er spielt damit auf das Vorgehen von Friedrich Merz im Bundestag an und auch auf die Reaktion von Angela Merkel. Ende Januar wollte der CDU-Chef schärfere Migrationsregeln durchsetzen - im Zweifel auch mit Stimmen der AfD.

In Münster, Dortmund und Köln sowie in vielen weiteren NRW-Städten gingen Menschen dagegen auf die Straße. Grüne und SPD versuchten sofort, Gegenkampagnen zu entwerfen. Doch Marschall bremst: "Wir können aktuell noch überhaupt nicht absehen, ob Merz sein Vorgehen am Ende schadet oder nutzt."

"Ein Mann, ein Wortbruch"

Politikwissenschaftler Marschall steht an einer viel befahrenen Straße nahe des Düsseldorfer Medienhafens und schaut Robert Habeck auf einem Wahlplakat an. Der Kanzlerkandidat der Grünen blickt zurück, ein angedeutetes Lächeln im Gesicht. Zuversicht will er offenbar ausstrahlen - zumindest prangt dieses Wort in riesigen Buchstaben auf seinem überlebensgroßen Foto. Darunter Habecks Slogan: "Ein Mensch, ein Wort."

Die Aufmachung des Wahlplakats bewertet Marschall als grundsätzlich gut. "Die Dynamik solcher Anzeigen ist aber natürlich begrenzt", meint er. So sei auch zu erklären, dass Habeck nun versuche, nicht nur selbst Profil zu gewinnen, sondern dem politischen Gegner gleichzeitig seines abzusprechen. "Ein Mann, ein Wortbruch" - diese Anspielung auf Friedrich Merz unter Abwandlung von Habecks eigenem Slogan konnten zuletzt viele Menschen in NRW lesen. Die Grünen hatten sie als Werbung geschaltet - online, auf Reklamewänden, an Bushaltestellen.

Neu: persönliche Kritik am politischen Gegner

Den politischen Gegner persönlich zu kritisieren, ist neu. Und nicht nur die Grünen versuchen politisches Kapital aus den Vorgängen im Bundestag zu schlagen. Auch die SPD ist aktiv. Neben den Plakaten der Jusos in Aachen fährt auch die Mutterpartei eine Kampagne, mit dem Titel "Mitte statt Merz".

Aktuell polarisiere der Wahlkampf zunehmend, bemerkt auch Dirk Ziems. "Die Kandidaten zeigen Kante, werden unterscheidbarer", analysiert der Psychologe. Das bemerkten die Wählerinnen und Wähler nicht nur, sie drückten auch ihr Wohlgefallen darüber aus. Festgestellt hat er das mithilfe von Künstlicher Intelligenz.

Ziems betreibt Wahlforschung. Per KI hat er fiktive Wählerinnen und Wähler erschaffen, die auch seine Fragen beantworten. "Angst vor einem Rechtsruck wird von ihnen ebenso geäußert wie Unterstützung für Merz", sagt der Forscher. Seine fiktive KI-Wählerschaft hat Namen, Alter, Beruf und jeweils einen eigenen persönlichen sowie politischen Hintergrund. Sie sei ebenso gespalten wie das reale Abbild, resümiert Ziems.

Themen vs. Personalisierung

Durch die klassischen Plakate sei diese Dynamik im Wahlkampf gar nicht zu kreieren, erklärt Politikwissenschaftler Marschall. Die Kampagnen und Botschaften wurden vor Monaten entworfen - ohne zu wissen, welche politischen Entwicklungen in der Zukunft die Wahl beeinflussen werden. So erkläre sich auch, warum sie eher allgemein gehalten sind. Sie seien eher dazu gedacht, "Meinungen zu festigen, als Entscheidungen zu beeinflussen", sagt Marschall. Plakate sollten vor allem aktivieren und die eigene Wählerschaft bei der Stange halten.

Während SPD, Grüne und FDP in ihrem Wahlkampf klar auf Personalisierung setzen, rücken CDU und AfD eher Themen in den Vordergrund. Welches Kalkül am Ende aufgeht, ist derzeit offen. "Es werden alle Parteien noch versuchen, mehr Dynamik zu generieren", erwartet Marschall. Das könne noch zu einem entscheidenden Faktor werden.

Unsere Quellen:

  • Interview mit Prof. Dr. Stefan Marschall, Politikwissenschaftler Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
  • Interview mit Dirk Ziems, Psychologe und Wahlforscher, concept m
  • Nachrichtenagenturen dpa, Reuters
  • tagesschau.de
  • spiegel.de
  • rnd.de
  • wahllabor.ai

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