Kirchensteuer

Staatsgeld für die Kirchen - warum eigentlich?

Stand: 04.02.2023, 06:00 Uhr

Egal ob Christin, Muslim oder Atheistin - alle deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler finanzieren die Gehälter von Bischöfen und Pfarrerinnen indirekt mit. Warum ist das so, und um wieviel Geld geht es? Ein Überblick.

Von Selina Bölle

Knapp 600 Millionen Euro zahlt der deutsche Staat - beziehungsweise zahlen die Bundesländer, um genau zu sein - jährlich an die beiden großen Kirchen. Ohne Zweckbindung, zusätzlich zur Kirchensteuer, zu Subventionen und Spenden. Zugleich ist weniger als die Hälfte der Deutschen überhaupt noch Mitglied in einer der beiden großen Kirchen. Die Berliner Ampel-Regierung will die Dauerzahlungen jetzt beenden und verhandelt aktuell mit den Kirchen über das Wie. In einem zweiten Schritt wird es noch direkte Verhandlungen der Länder mit den Kirchen geben. Einfach wird es nicht, denn es geht um uralte Verträge und um viel Geld. Zehn bis 11 Milliarden Euro sind als Ablösesumme im Gespräch.

Warum und wann zahlt der Staat überhaupt? Und könnte er auch einfach damit aufhören? - Sicher ist eigentlich nur, dass es kompliziert ist. Fragen und Antworten zum Thema.

Staatsleistungen - was ist das überhaupt?

Das Geld ist eine Entschädigung für die Enteignung von Kirchenbesitz zu Zeiten Napoleons, Anfang des 19. Jahrhunderts. Damals mussten die Kirchen Geld und Ländereien an die Landesfürsten abgeben. Die haben versprochen, dafür die Gehälter von Priestern und andere Kosten der Kirchen zu übernehmen.

Napoleon Bonaparte.

Napoleon Bonaparte

Rund 100 Jahre später wurde die Kirchensteuer als Finanzierungsmodell eingeführt und schnell zur Haupteinnahmequelle der Kirchen. 1919 war es deshalb politischer Konsens, dass die Dauerzahlungen durch eine Einmalzahlung beendet werden sollen. So steht es in der Weimarer Reichsverfassung; der Auftrag wurde später ins Grundgesetz übernommen.

Warum muss ich immer noch zahlen?

Weil bisher keine Regierung den Verfassungsauftrag eingelöst und sich mit den Kirchen auf eine Ablösesumme geeinigt hat. Immerhin haben FDP, Grüne und Linke 2021 einen Gesetzentwurf vorgestellt. Ihr Vorschlag: Die Kirchen bekommen das 18,6-Fache der aktuellen jährlichen Zahlungen - das wären etwa 11 Milliarden Euro. Den Kirchen reicht das aber offenbar nicht. Laut einem Sprecher der EKD wäre eine höhere Summe nötig, um Aufgaben, die jetzt durch das Geld vom Staat gedeckt werden, dauerhaft zu finanzieren. Im Klartext: Die Kirchen möchten eine Ablösesumme, die so hoch ist, dass sie (inklusive Zinsen) dauerhaft so viel bekommen wie jetzt.

Kirchenbesucher wirft Kollekte in Klingelbeutel

Knackpunkt Ablösesumme

Der Völkerrechtsprofessor Christian Walter aus München hält dagegen. Der Auftrag aus der Weimarer Verfassung habe lediglich einen angemessenen Ausgleich vorgeschrieben, der direkt, also schon vor 100 Jahren gezahlt werden sollte. Deshalb müssten auch die Milliarden, die seitdem schon geflossen sind, berücksichtigt werden. Ingrid Matthäus-Meier, Juristin und ehemalige SPD-Finanzpolitikerin, sieht das ähnlich. Mit den Milliarden, die seit 1919 gezahlt wurden, sei die Ablösung auch rechtlich erfolgt.

Wie viel Geld hat der Staat den Kirchen bisher gezahlt?

Seit 1949 sind die Zahlen gesichert. Mehr als 20 Milliarden Euro sind seither an die Kirchen geflossen - so hat es Johann-Albrecht Haupt ausgerechnet. Er hat die Daten gemeinsam mit dem Publizisten Carsten Frerk zusammengetragen und aktualisiert sie regelmäßig. 1949 haben die Kirchen umgerechnet rund 23 Millionen Euro bekommen, 2022 knapp 600 Millionen.

So viel haben die Bundesländer bisher bezahlt

Wie viel Geld an die Kirchen fließt, ist je nach Bundesland extrem unterschiedlich.

Warum zahlen die Bundesländer unterschiedlich viel?

Darüber gibt es, trotz umfassender Recherchen, nur Vermutungen. Baden-Württemberg ist jedenfalls Spitzenreiter, mit rund 130 Millionen pro Jahr, in Mecklenburg-Vorpommern bekommen die Kirchen rund 14 Millionen.

Auf die Einwohnerzahl umgelegt, wird klar - auch mit der Zahl der Christinnen und Christen in den Ländern haben die Beträge nichts zu tun. In Sachsen-Anhalt, mit einem Christenanteil von etwa 15 Prozent, zahlt jede Einwohnerin und jeder Einwohner rund 18 Euro. In NRW, wo mehr als die Hälfte noch in einer der großen Kirchen ist, sind es 1,30 Euro.

Klingbeutel mit Geld

Eine Frage des Verhandlungsgeschicks?

Auch mit der Historie können die Unterschiede nicht erklärt werden, denn Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen gehörten früher beide überwiegend zu Preußen. Die massiven Unterschiede hängen wohl am ehesten damit zusammen, wer wie hart mit den Kirchen verhandelt hat.

Sind die Kirchen inzwischen nicht reich genug?

Prunk und Protz der Kirchen

Kunstwerke von unschätzbarem Wert

Zusammen besitzen die Kirchen ein geschätztes Vermögen von mehr als 100 Milliarden Euro - wobei sie selbst keine konkreten Zahlen nennen. Die meisten Bistümer und Landeskirchen erwirtschaften trotz sinkender Mitgliederzahlen immer noch jährlich Millionen-Überschüsse, wie aus den Bistumsbilanzen hervorgeht. Fast 13 Milliarden haben beide Kirchen 2022 allein an Kirchensteuern eingenommen.

Sind die Kirchen auf das Geld angewiesen?

Insgesamt machen die Staatsleistungen im Vergleich zu anderen Einnahmequellen keinen großen Teil aus, in NRW zum Beispiel maximal ein bis zwei Prozent. Anders in Ostdeutschland, hier kommen teilweise gut zehn Prozent der Einnahmen aus diesem Topf, vor allem die Kirchen in Sachsen-Anhalt sind darauf angewiesen.

Kirchenbesucher wirft Kollekte in einen Opferstock

Kirchen in NRW weniger auf Staatsleistungen angewiesen

Das Bistum Magdeburg und die evangelischen Kirchen dort beziehen gut 20 Prozent ihrer Einnahmen aus den Staatsleistungen; das ist aber die Ausnahme. Wichtig zum Verständnis: Dieses Geld bekommen die Kirchen zusätzlich, es hat nichts mit den staatlichen Subventionen für Schulen, Kitas oder Krankenhäuser zu tun und auch nichts mit der Kirchensteuer.

Bekommen andere Religionsgemeinschaften nichts?

Doch, die meisten Länder zahlen aus Gründen der Gleichbehandlung auch Geld an andere Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften. Zum Beispiel an jüdische Gemeinden oder humanistische Verbände; die bekommen aber viel weniger als die Kirchen.

Muslimische Gemeinden bekommen gar nichts, obwohl in Deutschland rund fünf Millionen Muslime leben. Der Grund: Sie sind nicht als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert. Muslimische Verbände fordern seit Jahren, dass sich das ändert.

Wie ist der Stand bei den Verhandlungen?

Die ersten Gespräche zwischen Bundesinnenministerium, Ländern und Kirchen haben stattgefunden. Zu Zahlen und Zeitrahmen lasse sich aber noch nichts sagen, so ein Sprecher des Innenministeriums auf WDR-Anfrage. Fest steht, noch in diesem Jahr sollen die Eckpunkte für eine grundsätzliche Regelung stehen.

Diese gibt den Rahmen vor, in dem die Bundesländer dann wiederum ihre Gesetze mit den Kirchen aushandeln und anschließend beschließen werden. Wie teuer es am Ende für die Steuerzahler wird, bleibt abzuwarten.

Über dieses Thema berichtet das WDR 5 Morgenecho am 4. Februar 2023.

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