Zapfhahn mit Bio-Kraftstoff E10

Teller statt Tank: Geht Biosprit überhaupt noch?

Stand: 14.05.2022, 16:27 Uhr

Weil die Ukraine derzeit keinen Weizen liefern kann, drohen weltweite Hungersnöte. Gleichzeitig wird aus Getreide Biosprit hergestellt. Kann man da noch guten Gewissens E10 oder Biodiesel tanken?

Ungewohnte Töne von den Umweltschützern schlechthin: Greenpeace fordert einen sofortigen Stopp von Biosprit. "Angesichts der weltweiten Hungersituation sollte der Pflanzenanteil in Benzin und Diesel komplett auf null Prozent heruntergefahren werden, und zwar am besten sofort" - so zitiert die Funke Mediengruppe den Greenpeace-Experten Martin Hofstetter am Samstag. Sein Argument: Die Ernten müssten jetzt sinnvoll verwendet werden.

Dass Raps, Getreide und Sonnenblumenöl im Autotank landen, sei "in der heutigen Weltlage nicht sinnvoll". Zehn Millionen Tonnen Lebensmittel würden pro Jahr zu Kraftstoffen - um damit gerade mal rund vier Prozent des verbrauchten Treibstoffs durch Biosprit zu ersetzen. Der in Deutschland angebaute Raps beispielsweise könnte sofort als Lebensmittel verwendet werden.

"Teller statt Tank"

Die Bundesregierung hat angekündigt, wegen stark gestiegener Lebensmittelpreise den Einsatz von Biosprit aus Pflanzen per Gesetz zu begrenzen. "Teller statt Tank" sei die Devise, hieß es auf der Umweltministerkonferenz am Freitag. Auch ein Tempolimit sei nötig, um den Spritverbrauch zu senken. Allein in Deutschland würden 2,4 Millionen Tonnen Futter- und Lebensmittel eingesetzt, um Bioethanol als Kraftstoffbeimischung zu produzieren.

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Export-Weizen steckt in der Ukraine fest

Weizenfeld mit liegenden Ähren

Weizen fehlt

Die Lage: Im Zuge des Krieges gegen die Ukraine blockiert Russland derzeit den Export von Getreide aus der Ukraine. Die aber ist einer der größten Getreideexporteure der Welt. Nach UN-Angaben lagern derzeit knapp 25 Millionen Tonnen für den Export bestimmtes Getreide in der Ukraine - und auf dem Weltmarkt fehlen diese Millionen Tonnen. Die UNO warnt bereits vor Hungersnöten in Afrika und Asien.

Am Samstag meldete dann auch noch Indien, der zweitgrößte Weizenproduzent der Welt, ein Verbot von Weizenexport ohne vorherige Genehmigung der Regierung. Wegen extremer Dürre fürchtet das Land Ernteausfälle.

Kann man Biodiesel tanken?

Noch Mitte März hatte der ADAC Autofahrer ermuntert, E10 zu tanken, um bei Rekodspreisen für Benzin ein bisschen zu sparen. Umweltpolitisch sei das "eine gute Sache": Mit dem Bioethanolanteil in E10 aus Pflanzen könnten im Straßenverkehr jährlich bis zu drei Millionen Tonnen CO2 eingespart werden.

Viele Experten sehen das mittlerweile kritisch: In der aktuellen Krise, wo ein echter Engpass bei der Lebensmittelversorgung droht, sollten "Lebensmittel auf dem Teller landen statt als Ökotreibstoff im Tank", sagt Sebastian Lakner, Professor für Agrarökonomie an der Uni Rostock.

Ist das wirklich notwendig? Nur ein Zehntel des weltweit verbrauchten Getreides und Maises werden für Ökotreibstoff verwendet. Dennoch: Das sei "die Schraube, an der man am ehesten drehen könnte", meint Lakner. Bioethanol-Hersteller müssten dann eine Entschädigung bekommen.

Keine neuen Anbauflächen

Zwar überlegt die EU derzeit, Anbauflächen, die für eine Regeneration der Natur stillgelegt wurden, wieder für den Lebensmittelanbau freizugeben. Lakner hielte das aber für einen fatalen Fehler: Die Stillegung zugunsten der Biodiversität hat ihren Sinn. Würde man sie freigeben, wären nach nur zwei Jahren bestimmte Tier- und Insektenarten verschwunden, ist er sich sicher.

Greenpeace-Experte Hofstetter hält die gesamte Vorteils-Rechnung für Biosprit ohnehin für falsch. Biokraftstoffe brächten nichts beim Klimaschutz, im Gegenteil: "Ernsthafte Berechnungen zeigen, dass Biosprit aufgrund des großen Flächenverbrauchs unterm Strich sogar klimaschädlicher ist als fossiles Öl." Er halte ein Tempolimit für sinnvoller.

Hersteller: Keine Konkurrenz zur Nahrung

Anders sehen es die Biosprit-Hersteller: "Wenn die Umweltminister Biokraftstoffe weiter deckeln wollen, müssen sie auch sagen, wie sie die Klimaziele erreichen wollen", sagt Elmar Baumann, Geschäftsführer beim Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie. Und der Biokraftstoff-Hersteller Verbio vermeldet, man verwende für den Bioethanol gar kein Brotgetreide. Eine Konkurrenz zu Nahrungsmitteln gebe es daher nicht. Die Branche setze außerdem längst auf alternative Stoffe zur Herstellung, wie zum Beispiel Stroh.

Klar ist: Die Verwendung von Getreide für Biosprit verschärft den derzeitigen Lebensmittel-Engpass, der durch den Ukraine-Krieg ohnehin entstanden ist. Preise für Weizen, Roggen oder Gerste schießen in die Höhe. Allein im März kostete die Tonne Import-Weizen 54 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Agrarprofessor Lakner hält Biostoffe auf Pflanzenbasis ohnehin für ein Auslaufmodell. Die Zukunft läge vielmehr bei wasserstoff- und strombetriebenen Fahrzeugen.