Zugausfälle in NRW: 9-Euro-Ticket-Chaos mit Ansage?

Stand: 22.07.2022, 12:56 Uhr

Gestrichene Verbindungen, Verspätungen, überfüllte Züge: Bei der Bahn läuft es zurzeit nicht rund - vor allem im Rheinland. Ist auch das 9-Euro-Ticket daran schuld?

Die lapidare Mitteilung der Deutschen Bahn vom Donnerstag hatte es in sich: Wegen "regional erhöhten Krankenständen" kündigte das Unternehmen "zusätzliche Einschränkungen" im S-Bahn-Verkehr an. Die Linien S 8, S 11, S 12 und S 13/S 19 müssten voraussichtlich bis einschließlich Sonntag komplett entfallen - womit der S-Bahn-Verkehr in den Kreisen Rhein-Sieg und Rhein-Berg praktisch eingestellt ist. Auch zwei wichtige Regionalverbindungen der Bahn, die RB 32 zwischen Duisburg und Dortmund sowie der RE 49 zwischen Wesel und Wuppertal, fallen aus oder werden nur stark eingeschränkt bedient - mindestens bis zum 7. August.

20 Prozent der Fahrten nicht nach Plan

"Trotz der Fahrplanänderungen führt die DB im Regionalverkehr in NRW weiterhin über 80 Prozent der Fahrten wie geplant durch", bemüht sich das Unternehmen schriftlich um Schadensbegrenzung. Ob das die betroffenen Bahnkunden wirklich tröstet, darf bezweifelt werden. Denn übersetzt heißt das auch: Jede fünfte Fahrt fällt aus oder findet nur eingeschränkt statt.

Besonders die zahlreichen Krankmeldungen in der Leitstelle von DB Regio NRW, von wo aus der gesamte Regionalverkehr im Land koordiniert wird, hätten zu der Situation beigetragen, erklärte ein DB-Sprecher dem WDR am Freitag. "Corona spielt dabei natürlich auch eine Rolle", fügte er hinzu. Weil zusätzlich viele Bahnmitarbeiter im Urlaub sind, habe man keinen Ersatz für die fehlenden Kräfte finden können.

Gewerkschaften klagen über 9-Euro-Stress

Alles nur ein vorübergehender Personal-Engpass, mithin höhere Gewalt? Erst am Wochenende hatten die beiden wichtigsten Bahn-Gewerkschaften EVG und GDL über eine extreme Belastung der Mitarbeiter geklagt. Der Fahrgast-Ansturm auf den Nahverkehr seit Anfang Juni überfordere die Kolleginnen und Kollegen, sagte der stellvertretende EVG-Vorsitzende, Martin Burkert, der "Welt am Sonntag": "Wir merken: Das 9-Euro-Ticket macht krank."

Fahrgastverband: Corona ist nicht der einzige Grund

Gibt es also einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen 9-Euro-Ticket und den Zugausfällen im NRW-Nahverkehr? Der Personalmangel bei DB Regio sei nicht erst mit der Einführung des Tickets aufgetreten, meint Lothar Ebbers vom Fahrgastverband Pro Bahn NRW. "Auch Corona ist nicht der einzige Grund. Schon vor der Pandemie waren einzelne Betriebsbereiche überlastet." Viele Mitarbeiter hätten Berge an Überstunden angesammelt - die jahrelange Belastung spiele beim hohen Krankenstand sicher eine wichtige Rolle.

Fahrgastverband fordert Notbetrieb

Es sei verständlich, dass der Personalmangel nicht von heute auf morgen behoben werden könne, sagt Ebbers. Nicht akzeptabel sei aber der Umgang der DB Regio mit der aktuellen Situation: Im Gegensatz zu anderen Verkehrsunternehmen streiche das Unternehmen immer wieder Strecken ersatzlos, ohne für einen reduzierten Notbetrieb zu sorgen. Gerade jetzt, wo mit dem 9-Euro-Ticket möglichst viele Menschen von den Vorzügen des Öffentlichen Nahverkehrs überzeugt werden sollen, sei solch ein "katastrophal schlechter" Service fatal.

Betriebsratschef spricht von chronischer Unterbesetzung

Das WDR5 Stadtgespräch aus Wuppertal zu der Frage "Steckt NRW im Dauerstau fest?"

Lothar Ebbers

Bestätigung kommt vom stellvertretenden Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats DB Regio Schiene/Bus, Jürgen Lenz: Mit einem hohen Krankenstand und der Urlaubszeit könne man nicht den Ausfall ganzer Linien begründen. Ursache sei vielmehr eine chronische Unterbesetzung im Bereich der Betriebsplanung und -steuerung, sagte Lenz am Freitag dem WDR. Kurz: Die Bahn sei selbst für die aktuelle Situation verantwortlich.

Rabattaktion ohne guten Service wirkt nicht

Auch wenn das 9-Euro-Ticket nicht die Ursache für die aktuelle Situation im NRW-Nahverkehr ist - bei den Planungen für eventuelle weitere Rabattaktionen könnten die Missstände durchaus eine Rolle spielen. Erst am Freitag wurde bekannt, dass der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) sich für eine zweimonatige Verlängerung des 9-Euro-Tickets einsetzt. Für Experten wie Ebbers käme so ein Schritt zur Unzeit. "Wir sind dabei, alle Interessierten, die wir in den letzten Wochen gewonnen haben, wieder zu vergraulen." Wer seine Fahrgäste schlecht behandelt, werde sie verlieren, so Ebbers: "Selbst wenn der Preis noch so niedrig ist."

Über dieses Thema berichten wir auch am Freitag in der "Aktuellen Stunde" ab 18.45 Uhr im WDR-Fernsehen.