Überfüllte Züge wegen 9-Euro-Ticket - Das müsste sich ändern im ÖPNV

Stand: 08.06.2022, 08:48 Uhr

Überfüllte Züge, genervte Reisende, gestresste Bahnmitarbeitende - das erste lange Wochenende mit dem 9-Euro-Ticket war für viele ganz schön anstrengend. Wie kann der ÖPNV besser werden?

700 gemeldete Störungen und überfüllte Züge – pro Tag. Das ist die Bilanz des Pfingstwochenendes. In NRW waren vor allem die Bahnhöfe in Dortmund, Köln, Düsseldorf und Hamm betroffen. Immerhin: Es gab keine körperliche Gewalt gegen Mitarbeitende der Bahn, nur verbale. Mehr Lob gab es aber auch nicht vom Vize-Chef des Gesamtbetriebsrats DB Regio, Ralf Damde. Gerade mal eine Woche ist das 9-Euro-Ticket alt. Und mancher hat schon keine Lust mehr drauf.

Thorsten Koska: Öffentlicher Verkehr "auf Kante genäht"

Porträtfoto von Thorsten Koska

Thorsten Koska

Aber was könnten Bahn und Verkehrsverbünde besser machen? Und was Bund und Länder, um die Verkehrswende zu einem Erfolg zu machen? Alle Beteiligten seien jetzt gefordert, sagt Verkehrsexperte Thorsten Koska vom Wuppertal Institut. Das System des öffentlichen Verkehrs in Deutschland sei "auf Kante genäht", erklärte Koska am Mittwoch im WDR-Interview. Probleme gebe es fast in allen Bereichen: lückenhaftes Streckennetz, schlechte Takte, lange Wartezeiten.

Das Ganze sei nicht nur eine Frage des Geldes. Selbst wenn unbegrenzte Mittel für den Netzausbau, neues Personal und die Digitalisierung der teilweise veralteten Technik zur Verfügung ständen, meint Koska, könne es noch lange dauern, bis die Verbesserungen beim Bahnkunden ankommen. "Gerade weil die Bauvorhaben so lange dauern, müsste man jetzt damit anfangen."

Bahnexperte: Zu wenig in den letzten Jahren investiert

Tim Engartner ist unabhängiger Bahnexperte von der Universität Köln und spricht mit Blick auf das 9-Euro-Ticket von einem ehrenwerten Versuch. "Wenn wir eine paradigmatische Verkehrswende wollten, um den Verkehrsträger Schiene dauerhaft attraktiv zu machen und nicht nur für drei Monate, bräuchte man ganz sicher viel mehr Geld. Es ist einfach unzureichend, was in den letzten Jahren an Investitionen aufgebracht wurde."

Nötig: Ausbau des Schienennetzes, viel mehr Personal

Das Schienennetz müsse ausgebaut werden, getrennt von Güter- und Personenverkehr, insgesamt bräuchte es viel mehr Personal in allen Bereichen. "Wir haben ein marodes Streckennetz, wir haben zu wenig Loks zu wenig Wagons, ein ausgedünntes Personaltableau. Viel zu wenig Lokführer, viel zu wenig Schaffner. Und das schlägt sich natürlich nieder in wenig verlässlich fahrenden Zügen." So seine Analyse.

Zusätzlich zu den vielen neuen Fahrgästen durch das 9-Euro-Ticket kämen nochmal rund 600.000 zusätzliche ukrainische Passagiere in Deutschland hinzu, die das Help Ukraine-Ticket nutzen würden.

Der Staat sollte "einen Aktionsplan Mobilität aufsetzen"

Um dauerhaft die Menschen von der Straße auf die Schiene zu holen, müsse noch viel passieren, meint Bahnexperte Engartner. "Das kostet Geld, aber wenn man sieht, dass wir gerade ein Sondervermögen In Höhe von 100 Milliarden Euro für die Remilitarisierung aufgebracht haben, so könnte man ja auch einen Aktionsplan Mobilität aufsetzen." Die positiven Auswirkungen würde man jedoch erst nach Monaten oder Jahren spüren.

Kurzfristig keine Lösung

Was die Bahn angeht, wird sich wohl kurzfristig aber erst mal nichts ändern. Sie hatte am langen Wochenende schon zusätzliche Züge und mehr Personal eingesetzt. Auch der geplante Ausbau des Schienennetzes hilft beim 9-Euro-Ticket natürlich nichts - das dauert alles zu lange.

Was Reisende jetzt besser machen könnten

Lars Wagner vom Verband deutscher Verkehrsunternehmen rät dazu, die Nerven zu bewahren. Jedem, der das 9-Euro-Ticket nutze, müsse bewusst sein, wie wahnsinnig günstig das sei. Da müsse man gewisse Flexibilität mitbringen.

Detlef Neuß von der Pro Bahn

Detlef Neuß vom Fahrgastverband Pro Bahn gibt den Tipp, sich nicht die Premiumziele wie Sylt rauszusuchen, sondern zum Beispiel mal zu gucken - was gibt es denn sonst noch an schönen Zielen - vielleicht auch in der Nähe.

Außerdem rät der Fahrgastverband für die Sommerferien: Nicht am Wochenende fahren, sondern an Wochentagen. Nicht zu Pendlerzeiten fahren, sondern am späten Vormittag und ab 20 Uhr. Keine Routen planen, auf denen man oft umsteigen muss. Das Fahrrad am besten zu Hause lassen und flexibel sein: Wenn es Hamburg werden soll und Münster wird: Umplanen und sagen: Münster ist auch ganz schön. Und Neuß rät allen Reisenden, sich eine Bahn-App aufs Smartphone zu laden, um sich immer schnell eine Alternativroute suchen zu können.