Kriminalfälle aus NRW: Löst Hypnose zwei Cold Cases aus Dortmund?

Dortmund | Verbrechen

Stand: 09.09.2024, 17:02 Uhr

1987 und 1990 wird in Dortmund jeweils eine Frau mit einem Messer angegriffen. In beiden Fällen ist es derselbe Täter, glaubt die Polizei. Ein Opfer stirbt, das andere überlebt schwer verletzt. Damals erinnert sich die junge Frau kaum an den Täter. Unter Hypnose gelingt es jedoch Jahre später, ein detailliertes Phantombild zu erstellen. Wie ist das möglich?

Von Hamzi Ismail

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Die Tat: Messerstiche auf dem Feldweg

Im Oktober 1987 steigt die damals 40-jährige Prostituierte Sylvia B. auf der Bornstraße, dem früheren Dortmunder Straßenstrich, gegen 20.30 Uhr in das Auto eines unbekannten Mannes ein. Am nächsten Tag wird die Leiche der sechsfachen Mutter mit 24 Messerstichen auf einem Feldweg im Kreis Soest gefunden.

Im April 1990 geschieht ein fast identisches Verbrechen. Das Opfer dieses Mal ist die 16-jährige Schülerin Eva K. Nach einer Party in der Dortmunder Innenstadt will sie per Anhalter nach Hause fahren. Auf der Bornstraße steigt sie in das Auto eines Unbekannten. Während der Fahrt schläft sie ein.

Als sie aufwacht, steht das Auto auf einem dunklen Feldweg im Kreis Soest. Der Fahrer attackiert sie mit einem Messer, sticht 18 Mal auf sie ein. Danach lässt er sie im Feldgraben liegen und fährt davon. Kurze Zeit später findet sie ein Passant und holt Hilfe. Wie durch ein Wunder überlebt die 16-Jährige. Mehr über die Attacken auf die beiden Frauen gibt es bei Lokalzeit MordOrte:

Hinterher erinnert sich die Schülerin nur vage an den Täter. Im Jahr 2014 ist die Kriminaltechnik so entwickelt, dass an einer am Tatort gefundenen Getränkedose eine DNA des Täters extrahiert werden kann. Wenn du wissen willst, welche Informationen die Ermittler inzwischen aus einem DNA-Test gewinnen können, klicke hier.

Eva K. wird erneut zur Tat befragt, dieses Mal durch eine spezialisierte Psychologin und unter forensischer Hypnose. Sie kann sich nun genau an das Gesicht des Mannes erinnern, es entsteht ein Phantombild.

18 Mal hat der Täter auf Eva K. eingestochen | Bildquelle: WDR

Wegen der Gemeinsamkeiten der Taten ist sich die Dortmunder Kriminalpolizei sicher: Es war derselbe Täter. Sie fahnden öffentlich nach dem Mann, der heute zwischen 65 und 75 Jahre alt sein müsste. Bislang ohne Erfolg.

WDR-Reporter Hamzi Ismail hat sich tiefer in den Fall eingearbeitet. Für Lokalzeit.de hat er sich mit der Verhaltens- und Hypnotherapeutin Helen Nolte-Michel über die Themen Verdrängung und Erinnern von Traumata sowie über die forensische Hypnose unterhalten.

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Wie Erinnerungen hervorgeholt werden können

Lokalzeit: Warum verdrängen Menschen traumatische Geschehnisse und was passiert dabei psychologisch?

Helen Nolte-Michel: Die Verdrängung ist im Grunde eine Schutzfunktion der Psyche. Wenn wir mit Situationen konfrontiert sind, die wir nicht verarbeiten können, dann wird eine Kampf-Flucht-Reaktion ausgelöst. Wir sind dann sofort in einem Zustand, indem wir entweder kämpfen oder fliehen. Wenn wir das aber nicht können, kommen wir in einen dissoziativen Zustand. Statt sie körperlich zu bewältigen oder aus ihr zu fliehen, entziehen wir uns psychisch der Situation. Wir verdrängen Erinnerungen und schieben sie in eine tiefere Bewusstseinsebene.

Verhaltens- und Hypnotherapeutin Helen Nolte Michel | Bildquelle: WDR

Lokalzeit: Bleiben verdrängte Emotionen und Erlebnisse für immer verborgen oder kann man sie wieder zum Vorschein bringen?

Nolte-Michel: Man kann sie manchmal auch wieder zum Vorschein bringen. Das hängt stark davon ab, ob die Person, die verdrängt, das überhaupt möchte. Es gibt in der Psychotherapie aber Möglichkeiten, Erinnerungen wieder zurückzuholen. Ein Beispiel ist die Hypnose, die bei der Bearbeitung von Traumata gezielt eingesetzt werden kann, um Erinnerungslücken zu schließen.

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Wie funktioniert eine Hypnose?

Lokalzeit: Wie funktionieren solche Formen von Hypnose genau?

Nolte-Michel: Bei der Hypnose wird eine Person in Trance versetzt. Dabei erlebt sie einen veränderten Bewusstseinszustand. Das Alltagsdenken und die Alltagswahrnehmung geraten dabei in den Hintergrund. Die Person wird in eine tiefere Bewusstseinsebene gebracht, einen kindsähnlichen Zustand, in dem man ein bisschen freier ist. Es ist eine unterbewusste Ebene, auf die man plötzlich zugreifen und damit Dinge neu denken und assoziieren kann. So eine Form von Hypnose wird im Fall von Eva K. zur Anwendung gekommen sein. Indem die Blockade gelöst wurde, konnte sie die Erinnerungen an die Tat wieder zulassen.

Lokalzeit: Inwieweit sind Aussagen, die unter Hypnose getroffen wurden, als wahr einstufbar?

Nolte-Michel: Hypnosen sind nicht geeignet, um den Wahrheitsgehalt einer Aussage zu sichern. Im hypnotischen Zustand ist man anfällig für Suggestionen. Es kann zum Beispiel sein, dass ein Geschädigter zwei Situationen vermischt. Dass er sich an etwas erinnert, was aber eigentlich zu einem anderen Zeitpunkt passiert ist und nichts mit dem Tatgeschehen zu tun hat. Das lässt sich nicht ausschließen.

Lokalzeit: Im vorliegenden Fall ist es ja so, dass sich Eva K. durch die Hypnose wieder genau an das Gesicht des Täters erinnern konnte. Wie verlässlich ist das?

Nolte-Michel: Das ist schwer zu sagen. Wie verlässlich ihre Erinnerung war, wird sich erst herausstellen, wenn der Täter gefasst ist. Zum jetzigen Zeitpunkt kann niemand sicher sein, dass die Erinnerung von Eva K. an den Täter in jedem Fall mit dem tatsächlichen Täter übereinstimmt.

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Wie viel ist eine Hypnose-Aussage vor Gericht wert?

Lokalzeit: Ist das Mittel der Hypnose im Rahmen von Strafermittlungen erlaubt?

Nolte-Michel: Die Hypnose gehört in Deutschland gemäß Paragraf 136a der Strafprozessordnung zu den verbotenen Verhörmethoden. Das Gesetz ist schon relativ alt und basiert noch auf der Annahme, dass Menschen unter Hypnose keinen freien Willen haben. Das entspricht eigentlich nicht dem aktuellen und neuesten Forschungsstand, zudem lassen sich die Menschen ja freiwillig in Hypnose versetzen.

Lokalzeit: Für Opfer von Strafdelikten sieht das anders aus. Sie dürfen hypnotisiert werden, wenn sie und die zuständige Staatsanwaltschaft zustimmen. Wären diese Aussagen, die unter Hypnose entstanden sind, vor Gericht zugelassen?

Nolte-Michel: Die Aussage allein nicht. Aber nehmen wir an, dass zum Beispiel das Phantombild, das durch Eva K. unter Hypnose entstanden ist, zu neuen Ermittlungsansätzen führt. Dann darf die Polizei anhand dieser neuen Ansätze weiter ermitteln. Wenn also das Phantombild die Ermittler zu neuen Hinweisen führt, mit denen der Täter später überführt wird, ist das vor Gericht verwertbar. Das Phantombild war in diesem Fall Mittel zum Zweck und das ist erlaubt.