Nach den tödlichen Schüssen auf sechs Mafia-Mitglieder im Jahr 2007 steht ein Polizeiauto vor dem Restaurant "Da Bruno" in Duisburg

Die Mafia in NRW: Die wichtigsten Fragen und Antworten

NRW | Verbrechen

Stand: 14.04.2025, 17:02 Uhr

Spätestens seit dem Sechsfach-Mord von Duisburg im Jahr 2007 ist klar: Die Mafia ist auch bei uns aktiv. Heute kann NRW sogar als eine Art Hochburg der Gruppierung 'Ndrangheta gelten. Warum ist das so? Wie macht die Mafia hier Geld? Und warum ist sie gefährlich? Hier klären wir die wichtigsten Fragen und Antworten zur italienischen Mafia in NRW.

Von Stefan Weisemann

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Die Mafiamorde von Duisburg

Die Luft in Duisburg ist mild am frühen Morgen des 15. August 2007. Gegen 2.30 Uhr treten sechs Männer aus dem teuren italienischen Restaurant "Da Bruno" in der Innenstadt. Sie sind die letzten Gäste eines 18. Geburtstags im Restaurant. Die Sechs steigen in zwei Autos. Dann hallen plötzlich Schüsse durch die Luft.

Die Schüsse zersieben die beiden Autos und treffen die Insassen. Sie werden regelrecht hingerichtet, auch durch gezielte Schüsse in den Kopf. Schnell wird klar: Hinter den Morden von Duisburg steckt die Mafia. Genauer: Ein blutiger Kampf um Macht und Ehre zwischen zwei verfeindeten Clans der 'Ndrangheta. Mehr zu den Mafiamorden von Duisburg gibt es bei WDR Lokalzeit MordOrte.

War es ein Zufall, dass die Mafiamorde ausgerechnet in Duisburg passiert sind? Wie verbreitet ist die Mafia heute in NRW? Was macht sie gefährlich? Hier gibt es die Antworten rund um die italienische Mafia in NRW.

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Welche Mafia-Gruppen gibt es in NRW?

'Ndrangheta. Bis zu den Mafiamorden von Duisburg hatten nur wenige Menschen in Deutschland von dieser Organisation gehört. Auch die deutschen Ermittler mussten sich damals erst einmal schlaumachen. Dabei ist die 'Ndrangheta bis heute die am weitesten verbreitete Mafia-Gruppierung in Deutschland.

Die Bundesregierung ging Anfang 2024 von insgesamt mehr als 1000 aktiven Mitgliedern der italienischen Mafia in Deutschland aus. Gut 500 davon gehören zur 'Ndrangheta. Danach folgen mit weitem Abstand die Camorra aus dem Raum Neapel und die Cosa Nostra aus Sizilien.

Das Landeskriminalamt in NRW bemerkt in einem Lagebericht für das Jahr 2022 eine "zunehmende Präsenz" der Mafia im Land, "mit deutlicher Dominanz der 'Ndrangheta". Es geht von einer niedrigen dreistelligen Zahl an Mitgliedern in NRW aus. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen.

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Wie macht die Mafia Geld?

"Wir wissen, dass die 'Ndrangheta einer der wichtigsten Player im internationalen Kokainmarkt ist", sagt Soziologin und Mafia-Expertin Zora Hauser. Allein mit Drogengeschäften macht die 'Ndrangheta jedes Jahr viele Milliarden Euro Gewinn. Sie arbeitet dabei auch eng mit Drogenkartellen in Südamerika zusammen. Außerdem ist die 'Ndrangheta unter anderem auch in Waffenhandel und Korruption involviert.

Mafia-Expertin Zora Hauser in der ARD-Doku "Die Mafiamorde von Duisburg"

Forscht zur 'Ndrangheta in Deutschland: Soziologin Dr. Zora Hauser

Zusätzlich muss sie das Geld aus den Drogengeschäften waschen, es also unauffällig in den legalen Geldkreislauf einbringen. Dafür nutzt sie unter anderem Restaurants, Pizzerien oder Eisdielen. Aber auch mittelständische Unternehmen. Das LKA spricht hier von "Legalfassaden". In der vierteiligen ARD-Crime-Dokumentation "Die Mafiamorde von Duisburg" sagt ein ehemaliger Ermittler: "Ich halte die Zahl der Pizzerien, die wir hier in Nordrhein-Westfalen haben, mit 'Ndrangheta-Bezug für sehr hoch".

Das ist die eine, die illegale Seite. Gleichzeitig macht die Mafia zunehmend auch auf legalem Weg Geld. Zum Beispiel mit Immobiliengeschäften oder Beteiligungen bei der Abfallentsorgung. "Im Grunde ist jede Geschäftstätigkeit in Deutschland für die 'Ndrangheta interessant, wenn sie Profite abwirft", sagt Sandro Mattioli vom Verein "mafianeindanke". Ermittler schätzen, dass die 'Ndrangheta weltweit jedes Jahr insgesamt rund 50 Milliarden Euro Umsatz macht.

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Warum ist die Mafia in NRW besonders stark vertreten?

Grundsätzlich verteilen sich Mafia-Mitglieder auf ganz Deutschland. Von Nord bis Süd, von Ost bis West. In großen Städten oder kleinen Dörfern. Nach Italien selbst ist Deutschland das Land mit den meisten Mafiosi in Europa.

NRW und das Ruhrgebiet bilden dabei einen Schwerpunkt. Das ist kein Zufall: Ab Mitte der 50er-Jahre wurden unter anderem für den Bergbau viele Gastarbeiter aus Italien angeworben. "Darunter waren eben auch Mafiosi", sagt Experte Mattioli. Sie haben dann angefangen, in der neuen Heimat Strukturen aufzubauen.

Dazu kommt die Lage von NRW. Die Häfen von Antwerpen in Belgien und Rotterdam in den Niederlanden sind nicht weit entfernt. Die Häfen also, an denen jedes Jahr tonnenweise Drogen für die Mafia ankommen.

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Woher kommt die 'Ndrangheta?

Die Hauptstadt der 'Ndrangheta wirkt überhaupt nicht wie eine Hauptstadt. Ganz im Gegenteil: Es ist das 3500 Einwohner-Nest San Luca in Kalabrien, gelegen fast an der Zehenspitze des italienischen Stiefels. Als bergig, beschaulich, bescheiden kann man die Gegend beschreiben. Seit mindestens 150 Jahren existiert hier die 'Ndrangheta.

Die Häuser des Dorfes San Luca in Kalabrien in Italien stehen am Hang eines Berges

Machtzentrale der 'Ndrangheta: Das beschauliche San Luca

Von hier kommen ihre mächtigsten Clans, darunter der Pelle-Vottari-Clan und der Strangio-Nirta-Clan. Im Februar 1991 geraten sie in einen blutigen Konflikt um Macht und Ehre. Der beginnt harmlos an Karneval, mit ein paar geworfenen Eiern. Doch es schaukelt sich schnell so hoch, dass noch am selben Abend zwei Mitglieder des einen Clans erschossen werden. Es folgt ein jahrelanges gegenseitiges Morden. Der traurige Höhepunkt: Die Mafiamorde von Duisburg.

Nicht weit entfernt von San Luca in den Bergen Kalabriens liegt ein weiterer zentraler Ort für die 'Ndrangheta. Die kleine Wallfahrtskirche der Madonna di Polsi. Sie ist die Schutzheilige der Gruppierung. Beim jährlichen Fest zu Ehren der Madonna findet an der Kirche außerdem regelmäßig ein wichtiges Treffen statt. Die Bosse der einzelnen 'Ndrangheta-Clans wählen dabei ihren Anführer.

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Sind Ermittlungen gegen die Mafia in NRW erfolgreich?

Eine Eisdiele in Siegen und ein Fischteich in Breckerfeld. Beides sind zentrale Schauplätze der bisher größten europäischen Anti-Mafia-Aktion, der "Operation Eureka". Anfang Mai 2023 sind dabei in ganz Europa tausende Polizisten im Einsatz. Ihr Ziel: die 'Ndrangheta. In NRW werden außerdem auch noch Objekte in Hagen, Wuppertal, Essen, Dortmund und Bonn durchsucht. Europaweit werden mehr als 130 mutmaßliche Mafia-Mitglieder festgenommen.

Eine Autopanne von zwei Drogenkurieren hatte die Ermittler auf die Spur gebracht. Regelmäßig sollen Kuriere im Auto Kokain geschmuggelt haben, zwischen Deutschland, Belgien und Italien. Ein Fischteichbesitzer in Breckerfeld soll die Fahrten im Auftrag der 'Ndrangheta organisiert haben. Der Prozess dazu läuft noch.

Am 3. Mai 2023 führen vermummte Polizisten im Rahmen einer Razzia gegen die 'Ndrangheta in Hagen einen Verdächtigen aus einem Wohnhaus.

Mafia-Razzia im Jahr 2023: Festnahmen auch in Hagen

Eine Eisdiele in Siegen werten die Ermittler als strategischen Stützpunkt der 'Ndrangheta. Drei Männer werden hier im Zuge der "Operation Eureka" festgenommen. Ihr Lebensstil passt nicht zu den Einnahmen von normalen Eisverkäufern. Die Vermutung: Die Eisdiele dient als Tarnung für Geldwäsche. Doch ausreichend beweisen können das die Ermittler am Ende nicht. Die drei Männer werden im Februar 2025 vor Gericht freigesprochen.

Mafia-Experte Mattioli sieht deshalb insgesamt nur mäßige Ermittlungserfolge: "Diese wenigen Nadelstiche, die mit Polizeiaktionen gesetzt werden konnten, kommen zum einen meistens aus Italien und haben zum anderen keinen nachhaltigen Effekt und keinen durchschlagenden Erfolg". Ein Beleg: Trotz einiger Festnahmen hat sich die Zahl der Mafiosi in Deutschland in den letzten Jahren stark erhöht.

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Was macht die Strafverfolgung von Mafia-Mitgliedern schwierig?

Lasche Geldwäschegesetze, viel Bargeld im Umlauf. Deutschland gilt schon seit Jahrzehnten als Paradies für die Mafia. Ermittler und Experten kritisieren, dass der politische Wille für strengere Gesetze fehlt. "Dadurch, dass diese Organisationen in Deutschland kaum morden, kaum gewalttätig agieren, ist auch der Druck, gegen sie vorzugehen, leider nicht sehr hoch", sagt Mattioli. Auch die Mafiamorde von Duisburg haben daran wenig geändert. Einer der damaligen Ermittler sagt: "Ich hätte mir gewünscht, dass derjenige, der auf einmal mit einem Beutel voll Geld hier ankommt und sich eine Pizzeria kauft, nachweisen muss, wo das Geld her ist."

Mafia-Experte Sandro Mattioli während eines Interviews

Fordert mehr Druck auf die Mafia: Experte Sandro Mattioli

Doch das muss man in Deutschland nicht. Anders in Italien. Dort kann Bargeld mit unbekannter Herkunft einkassiert werden. Und in Italien ist auch alleine die Mitgliedschaft in der Mafia schon eine Straftat. Im Gegensatz zu Deutschland. Deshalb wurden die Mafiamörder von Duisburg auch überstellt und ihnen in Italien der Prozess gemacht.

Außerdem tut die Mafia grundsätzlich alles, damit Informationen nicht nach außen gelangen. Auch das erschwert die Strafverfolgung. Kronzeugen gibt es so gut wie keine, speziell in der 'Ndrangheta. "Das hat damit zu tun, dass viele Familienmitglieder auch Teil der Mafiazelle sind", sagt Expertin Hauser, "das heißt, wenn ich Kronzeuge werde, dann muss ich über meinen Vater aussagen, meinen Bruder oder meine Schwester oder meine Mutter." Die 'Ndrangheta schreckt auch nicht davor zurück, Kronzeugen im Zweifel zu ermorden.

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Ist die Mafia in NRW gefährlich?

Möglichst unauffällig verhalten und möglichst viel Geld verdienen. Das ist das Ziel der 'Ndrangheta und anderer Mafia-Gruppierungen in Deutschland. Gewalt und Morde sind eher eine Ausnahme als eine Regel. Auch zwischen den einzelnen Clans. Nach den Mafiamorden von Duisburg soll die 'Ndrangheta in Deutschland extra ein Gremium gegründet haben, das für Frieden und Ausgleich zwischen den einzelnen Zellen sorgt. Denn Gewalt ist schlecht für das Geschäft.

"Was die 'Ndrangheta ausmacht, ist, dass sie eigentlich keine Gewalt benutzt, wenn sie nicht muss, dass sie integriert ist in der Gesellschaft, dass sie dem Bürger keine Angst macht, die Bürger lieben die Pizzeria um die Ecke", sagt Soziologin Hauser. Genau das macht die kalabrische Mafia aber so gefährlich für die innere Sicherheit in NRW. Ihre sichere Position in der Gesellschaft ist die sichere Grundlage für ihre kriminellen Aktivitäten.

Die Strategie ohne Gewalt scheint zu funktionieren. Denn auch die beiden an den Mafiamorden von Duisburg beteiligten Clans sind in Deutschland weiter aktiv. Weitgehend unbehelligt, so wie vor den Morden.