Ein Bild des gesperrten Trakts. Rechts eine Glastür mit der Aufschrift "Bettplatz 2"

Feuer und SEK-Einsatz: Der Tag, der das Luisenhospital Aachen veränderte

Städteregion Aachen | Verbrechen

Stand: 04.03.2025, 07:32 Uhr

Eine ganze Station steht in Flammen, ein Physiotherapeut wird mit einer Waffe bedroht und erst ein Schuss des SEK setzt dem Angriff ein Ende. Im März 2024 zündet eine 65-jährige Frau zuerst ihre eigene Wohnung in Eschweiler an und legt anschließend ein Feuer im Luisenhospital Aachen. Nicht nur am Gebäude sind die Folgen ein Jahr später noch sichtbar.

Von Purvi Patel

"Nach unten durchdrücken. Ja, gut so", behutsam greift Markus Kunzmann das Bein seiner Patientin und unterstützt sie bei der Übung. Kunzmann leitet seit circa 30 Jahren die Physiotherapie des Aachener Luisenhospitals. Gegenüber dem Behandlungsraum ist sein Büro. Dort, erzählt der 60-Jährige, saß er am 4. März 2024 alleine am Schreibtisch, mit dem Rücken zur Tür. Es war später Nachmittag, seine Kollegen waren schon weg, die Tür stand wie immer offen. Plötzlich stand eine Frau hinter ihm. "Dreh dich um, sonst knall' ich dich ab", hört er sie sagen.

Luisenhospital Aachen: Plötzlich steht eine bewaffnete Frau im Büro

Die Pistole ist eine Schreckschusswaffe, wie sich später herausstellen wird. Und die Frau, eine 65-Jährige aus Eschweiler. Sie zündete zuerst ihre eigene Wohnung an und fuhr danach in das 20 Kilometer entfernte Aachen. Im Luisenhospital angekommen, legte sie mehrere Brandsätze im Bereich der Operationssäle. 

Wie Markus Kunzmann heute auf die Tat zurückblickt

00:12 Min. Verfügbar bis 04.03.2027

Der OP-Saal 7 und die Intensivstation sind seitdem nicht mehr nutzbar. Der Gesamtschaden für das evangelische Krankenhaus liegt bei mehr als 30 Millionen Euro. Markus Sporkert, Chefarzt der operativen Intensivmedizin, geht über den grauen Beton, vorbei an freiliegenden Rohren. In dem entkernten Gebäudetrakt erinnern nur noch ein paar Glastüren an die ehemaligen Patientenzimmer. Hier hat Sporkert fast zwei Jahrzehnte gearbeitet. Seine Patienten waren hier, sein Büro. Er war einer der Ersten, die das Feuer bemerkten.

Ein entkernter Gebäudetrakt.

Die ehemalige Intensivstation ist heute nur noch ein Rohbau

Der 52-Jährige ließ die Intensivstation evakuieren. Pflegekräfte und Ärzte brachten die 18 schwerkranken Patienten auf eine andere Station. Dort ist die Intensivstation bis heute untergebracht. Aus den Zimmern tönen die pulsierenden Geräusche der Maschinen. Sporkert eilt zu einem Patienten und tauscht sich kurz mit seiner Kollegin aus. 

Wie dank Markus Sporkert die Intensivstation schnell geräumt werden konnte

00:34 Min. Verfügbar bis 04.03.2027

Notfälle, Krisensituationen, unerwartete Ereignisse - so etwas kennen Ärzte und Pflegekräfte aus ihrem Berufsalltag. Als die Brandstifterin in der Klinik war, erzählt Sporkert, herrschte deshalb eine ruhige, professionelle Atmosphäre bei den Mitarbeitern. Jeder habe sich um seine Patienten gekümmert. Trotzdem sei die Unsicherheit zu spüren gewesen, bei einigen auch Angst: stundenlang war unklar, wie viele Täter im Haus sind, das Motiv, das Ausmaß des Feuers. Bis heute nehmen einige Mitarbeiter psychologische Betreuung in Anspruch, um die Ereignisse vom 4. März 2024 aufzuarbeiten und zu verarbeiten, sagt Sporkert.

"Geh von mir runter, ich habe einen Sprengstoffgürtel"

Dem Leiter der Physiotherapie ist es nach dem Vorfall in seinem Büro dagegen leichter gefallen. "Ich wurde zwar bedroht", erinnert sich Kunzmann, "aber ich konnte handeln." Er hat seiner Patientin mittlerweile die nächste Übung erklärt. Sie hebt ihr Bein und lässt es wieder sinken, während Kunzmann die Bewegung kontrolliert.

Nachdem er die Brandstifterin in seinem Büro überwältigt hatte, drohte die 65-Jährige, alles in die Luft zu jagen. Sie zeigte ihm einen Sprengstoffgürtel, den sie an ihrem Körper trug und den Auslöser in ihrer Hand. Beides täuschend echte Attrappen, wie sich später herausstellen wird. Kunzmann ließ sie los und flüchtete aus dem Gebäude, die Täterin verschanzte sich in seinem Büro. Um 22.30 Uhr, nach sechs Stunden, überwältigte ein Spezialeinsatzkommando die Brandstifterin. Durch gezielte Schüsse in die Beine. 

Markus Kunzmann erzählt, wie er von der Brandstifterin bedroht wurde

00:33 Min. Verfügbar bis 04.03.2027

Das Motiv

Im Oktober 2024 verurteilte das Landgericht Aachen die Frau aus Eschweiler wegen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung zu zehn Jahren Haft. Vor dem Urteil war sie in einer Psychiatrie. Für die Angeklagte hatte das Luisenhospital symbolisch für das deutsche Gesundheitssystem gestanden, welches sie für den Tod ihrer Mutter und ihre eigenen chronischen Rückenschmerzen verantwortlich machte. 

Ihr Ziel sei es gewesen, sich vom SEK erschießen zu lassen, sagte sie vor Gericht. Sie habe mit einem großen Knall von der Bühne gehen wollen. Die Folgen spüren das Aachener Luisenhospital und seine Mitarbeiter bis heute.

Markus Kunzmann hat seine Patientin verabschiedet und geht in sein Büro. Ganz selten komme es vor, erzählt er, dass er alleine am Schreibtisch sitzt, niemand mehr auf dem Flur ist und er sich damit nicht wohlfühlt. Dann, sagt Kunzmann, schließt er die Bürotür hinter sich ab. 

Über dieses Thema haben wir auch am 04.03.2025 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Aachen, 19.30 Uhr.