
Zwischen Gitterstäben und Gesprächen: Wenn Zuhören Leben verändert
Stand: 25.04.2025, 07:12 Uhr
Was bewegt einen Ehrenamtlichen dazu, regelmäßig Straftäter zu besuchen? Günter Selbach ist einer von 40 ehrenamtlichen Betreuern in der JVA Remscheid. Was ihn antreibt - und warum ihn Türen mit Schlössern mehr verunsichern als die Gespräche mit Mördern.
Von Michaela Heiser
Beim Gesellschaftsspiel Monopoly gibt es neben dem Gefängnis das Feld "Nur zu Besuch". Wenn das Leben ein Monopoly-Spiel wäre, wäre Günter Selbach auf diesem Feld wohl Dauergast. Gerade tastet ihn ein Bediensteter der JVA Remscheid vom Kragen bis zu den Schuhen ab. Selbach ist als Betreuer auf dem Weg zu Häftling Wolfgang Neustadt. Neustadt hat eigentlich einen anderen Nachnamen, doch der soll lieber nicht im Internet zu lesen sein. Der Betreuer lässt die Leibesvisitationen ruhig über sich ergehen. Er kennt das Vorgehen, auch wenn eine so genaue Kontrolle selten vorkommt. Da Selbach schon häufig in der JVA war, vertrauen ihm viele Bedienstete hier.
Auf dem Weg zu dem Raum, in dem Wolfgang Neustadt schon auf Günter Selbach wartet, passiert er mehrere Türen. Schloss auf, Schloss zu. Immer geht es durch lange Gänge. "Am Anfang ist das schon schwierig", sagt er. "Die Kontrolle weniger als diese Türen, die immer abgeschlossen und aufgeschlossen werden. Ich habe mich immer ein bisschen gefragt: Komme ich da auch wieder raus?"
JVA Remscheid: Wo Ehrenamtliche für Austausch sorgen
Selbach ist einer von 40 Betreuern und Betreuerinnen, die regelmäßig in die JVA Remscheid kommen, damit die Häftlinge jemanden zum Reden haben. In ganz NRW betreuen nach Angaben der Landesregierung etwa 2000 Ehrenamtliche Häftlinge in den Gefängnissen. Wer mitmachen will, muss mindestens 21 Jahre alt sein. Für ihre Aufgabe werden sie zum Beispiel von der sogenannten Straffälligenhilfe der Diakonie oder der Caritas geschult. Unterstützt wird das Projekt auch vom Justizministerium. Die Ehrenamtlichen sollen den Häftlingen helfen, draußen ein Leben ohne Straftaten zu führen. Durch den Austausch mit den Ehrenamtlichen üben die Gefangenen soziales Verhalten, können ihre Sorgen teilen und sich auf ihre Entlassung vorbereiten.
Günter Selbach: "Gespräche sind hier intensiver als mit Freunden draußen"
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Im Besuchsraum stehen zwei schwarze Ledersofas, eine Grünpflanze, ein kleiner Tisch. Vor den Fenstern dicke Gitterstäbe. Gemütlich ist es nicht. Trotzdem freuen sich Selbach und Neustadt auf ihr Gespräch. Neustadt verbüßt eine lebenslange Haftstrafe. Er will wissen, wie Selbach die politische Lage "draußen" einschätzt. Schon diskutieren die beiden miteinander. Ein Austausch zwischen den Mauern.
Erkenntnisse durch das Ehrenamt
Nachdem Günter Selbach vor elf Jahren seinen Betrieb aufgab, suchte er als Rentner eine Beschäftigung. Dass er Gefangenenbetreuer wurde, war eher Zufall. Aber der Umgang mit den Häftlingen hat ihn geprägt: "Viele denken, alle Insassen sind von Grund auf böse Menschen. Aber wer sich mit ihnen unterhält, erkennt schnell: Das hier drin ist eigentlich nur ein Spiegelbild der Gesellschaft." Manchmal erschrecke ihn regelrecht, wie ähnlich die Menschen im Gefängnis und die außerhalb denken und handeln. "Es reicht eine Situation, in der man falsch handelt, um hier einzusitzen."
Warum nicht jeder Verständnis für Günter Selbachs Ehrenamt hat
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Zu den 40 Betreuerinnen und Betreuern gehört neben Günter Selbach auch Marion Fabricius. Auch sie kommt seit vielen Jahren in das Remscheider Gefängnis. Die Lehrerin betreut gemeinsam mit einem katholischen Gefängnisseelsorger einmal im Monat eine Gruppe Männer, die alle zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt wurden. Auf dem ovalen Tisch stehen Kekse, Obst und Kaffee. Die sechs Männer, die daran sitzen, sind Mörder. Angst hat Fabricius nicht. Im Gegenteil: Sie nimmt Anteil an ihrem Leben hinter den Mauern und will den Häftlingen durch ihre Arbeit Mut machen.

Die Gespräche sind eine willkommene Abwechslung vom Gefängnisalltag
Einer der Häftlinge am Tisch hat zum Beispiel eine Ausbildung im Gefängnis abgeschlossen. Fabricius glaubt, dass er die Kraft dafür auch in den gemeinsamen Gesprächen gefunden hat. "Ein Seelsorger sagte mir mal: Wenn du in der Schwebebahn sitzt, weißt du auch nicht, wer neben dir sitzt. Das gilt auch für das Gefängnis. Ich möchte mich auf die Menschen einlassen. Und ich glaube, es lohnt sich", sagt sie.
Über dieses Thema haben wir am 30.04.2025 auch im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Bergisches Land, 19.30 Uhr.