
Falscher Alarm, echte Angst: Wie Schüler einen Amokalarm erlebten
Stand: 10.03.2025, 07:21 Uhr
30. Oktober 2024: Gegen Mittag geht an der Gesamtschule in Köln-Holweide ein Alarm los. Kein gewöhnlicher Alarm, keine Feuerübung. Es ist der Amokalarm. Die Polizei riegelt die Schule ab und gibt Stunden später Entwarnung: Nichts passiert. Aber für die Schule ist eine Menge passiert. Wie der Amokalarm bis heute nachwirkt.
Von Christina Wilkes
Raum C111. Als der Alarm losgeht, weiß Sarah Rexin erst gar nicht, was passiert: "Dann hat unsere Lehrkraft die Tür abgeschlossen und wir haben uns auf den Boden vor die Wand gesetzt. Die Tische standen vor uns." Im Notfall würden sie sie schützen. Zwei Stunden lang sitzen die 18-Jährige und die anderen Schüler so und wissen nicht, was draußen passiert. Gibt es wirklich einen Amokläufer? Trotzdem ist die Stimmung im Kurs zunächst ruhig. Dann vibrieren die ersten Handys und besorgte Eltern, Familie und Geschwister melden sich. Gerüchte von Schüssen und drei Amokläufern machen die Runde.
Wie Schülerin Sarah Rexin den Amokalarm erlebt hat
00:53 Min.. Verfügbar bis 10.03.2027.
Nach Amokalarm in Köln: Warum es klare Regeln an Schulen gibt
Zwar gab es allein 2023 fast 240 Androhungen von Bomben- oder Amoktaten an den NRW-Schulen, wie aus einer Anfrage der FDP an den Landtag hervorgeht, zu einem tatsächlichen Angriff kommt es jedoch nur sehr selten. Aber sie kommen vor. 2022 tötete ein 34-Jähriger in Hamm an einer Hochschule eine Lehrbeauftragte und verletzte zwei Studenten. 2024 griff ein Schüler in Wuppertal seine Mitschüler mit einem Messer an und verletzte einige von ihnen lebensgefährlich.

Als der Amokalarm ausbricht, wird ein Großaufgebot der Polizei zur Gesamtschule in Holweide geschickt
Die Polizei rückt im Oktober schnell mit einem Großaufgebot an der Schule in Köln an. "Irgendwann haben wir einen Hubschrauber gehört und Scharfschützen auf dem Sekretariatsdach gesehen", erinnert sich Rexin. Manche Schüler haben Angst. Einige der jüngeren Kinder weinen. Neben der emotionalen Ausnahmesituation wird es für einige auch eine körperliche. Weil sie die Klassenräume nicht verlassen dürfen, bauen Lehrer und Schüler in einigen Klassen aus Mülleimern improvisierte Toiletten. Tafel und Tische dienen als Sichtschutz.
Warum die Schüler nicht sofort evakuiert werden? Auf den Fluren oder dem Pausenhof könnten sie ein leichteres Ziel für einen Amokläufer sein. Ein möglicher Täter soll von außen deshalb nicht ahnen, ob ein Klassenraum hinter der Tür besetzt ist. So steht es im Notfallordner, der verschreibt, wie sich Schüler und Lehrer verhalten sollen. Zum Beispiel die Türen abzuschließen und sich auf den Boden zu legen. Nach dem Amoklauf von Erfurt 2002, bei dem ein Schüler 16 Menschen und danach sich selbst tötete, hat die Polizei NRW das entsprechende Konzept erarbeitet.
- Der erste Amoklauf an einer deutschen Schule war 1964 in Köln. Hier liest du mehr über das Flammenwerfer-Attentat von Volkhoven
Während die Schüler in den Räumen verharren, durchsuchen Teams der Polizei jeden Raum. Nach zwei Stunden geben sie Entwarnung. Danach beginnen sie mit der Evakuierung. "Jede Klasse wurde einzeln von zwei bewaffneten Polizisten aus dem Gebäude gebracht", sagt Rexin. Bis alle draußen sind, ist es Abend.
Aufarbeitung mit Psychologen und Sozialarbeitern
Die Aufarbeitung des falschen Amokalarms in Köln dauert Wochen. Die Stadt schickt nach solchen Ereignissen Teams des schulpsychologischen Dienstes zur Unterstützung. Sie haben Beratungsgespräche angeboten, einzeln oder in kleinen Gruppen. Außerdem hat die Gesamtschule in Holweide eigene Schulsozialarbeiter. 60 Gespräche haben sie in den Wochen nach dem Fehlalarm geführt, manche Schüler waren mehrmals da.
Rexin hat keines der Gesprächsangebote in Anspruch genommen. Aber gemacht hat der Amokalarm auch mit ihr eine Menge. Das merkt sie einen Tag später.
Wie beeinflusst ein Amokalarm die Schüler im Nachhinein?
00:48 Min.. Verfügbar bis 10.03.2027.
Die Ursache für den Fehlalarm an ihrer Schule damals war ein technischer Defekt. Wenige Tage nach dem 30. Oktober ging der Amokalarm in Holweide sogar noch einmal los. Diesmal aber an einem Sonntag.
Über dieses Thema haben wir auch am 10.02.2025 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Köln, 19.30 Uhr.