Wo die ganze Wut raus darf: Die "Randalezentrale" in Hattingen

Ennepe-Ruhr-Kreis | Unterwegs

Stand: 17.01.2025, 13:15 Uhr

Ungebremst Aggressionen rauslassen. Das geht in einem Wutraum in Hattingen. Wie sich Besucher dort ihren Frust von der Seele schlagen.

Von Stefan Weisemann (Text) und Melanie Klüting (Multimedia)

Tanja Gruber holt aus, so weit sie kann. In ihren Händen hält sie einen robusten Baseballschläger. Den hebt sie über ihren Kopf. Sekundenbruchteile später lässt sie ihn mit voller Wucht auf den schwarzen Laptop rasseln, der vor ihr auf einem Brett steht. Die zierlichen kleinen Tasten des Laptops spritzen mit einem lauten Knacken in die Luft und verteilen sich im Raum. Die Teller und Gläser, die daneben auf dem Brett liegen, klirren. Wieder holt die 41-Jährige aus. Wieder saust der Schläger auf die Tastatur. Diesmal noch fester. Wieder Knacken, Krachen, Klirren.

In der anderen Ecke des Raumes steht Steffi Fuchs (Nachname geändert). Wie ihre Freundin Gruber trägt sie einen weißen Einmal-Overall, einen Helm mit Schutz-Visier und Handschuhe. Sie hebt mit beiden Händen einen Glasbaustein über ihren Kopf und wirft ihn dann vor sich auf den Boden. Mit einem lauten Klirren zerspringt das Glas in unendlich viele kleine Scherben. Die 42-Jährige lacht aus vollem Hals und schlägt die Hände über dem Helm zusammen. Was für ein Bild der Verwüstung.

In der "Randalezentrale" lassen die Besucherinnen ihrer Wut freien Lauf 00:20 Min. Verfügbar bis 18.01.2027

Gruber und Fuchs, die ihre echten Nachnamen lieber nicht im Internet lesen möchten, haben sich in der "Randalezentrale" in Hattingen eingemietet. In einem Raum mit grauen Betonwänden stehen hier alte Möbelstücke, eine Waschmaschine, Autoreifen, Computer, Teller, Gläser. 40 Minuten lang dürfen die beiden Freundinnen alles kurz und klein schlagen, was ihnen in die Finger kommt oder vor ihren Baseballschläger, Vorschlaghammer und ihre Brechstange. Das Motto des Wutraums: "Mach kaputt, was kaputt macht".

Wutkunden in Hattingen: Vor allem Frauen

Wutraum, Rage Room, Smash Room. Für Einrichtungen wie die "Randalezentrale" gibt es viele Namen. Aber allzu oft gibt es sie nicht. In NRW außer in Hattingen nur in Bonn. Und einige andere verteilt auf ganz Deutschland, in Berlin, Hannover, Stuttgart und Nürnberg zum Beispiel. Wer ordentlich Wut ablassen will, muss dafür ein paar Kilometer Fahrt in Kauf nehmen. Und auch recht tief in die Tasche greifen. 40 Minuten Zerstörung kosten in Hattingen zu zweit knapp 200 Euro.

Der Mann hinter dem Wutraum wirkt selbst überhaupt nicht wütend. Dirk Jaresch steht mit knallbuntem Hemd und brauner Lederjacke mitten in dem Raum, in dem sich Gruber und Fuchs austoben. Der 64-Jährige lächelt freundlich, während er erzählt. Davon, dass er hauptberuflich Chef einer Bochumer Firma für Aktenvernichter ist. Oder wie er selbst sagt: "Im Zerstörungsbereich". Und davon, dass er die Idee für den Wutraum hatte, als er einen Film geguckt hat. Einen Film, in dem ein Hotelzimmer zerstört wird.

So hat er 2023 die "Randalezentrale" in Hattingen eröffnet. Mitten in einem Industriegebiet, in einem ehemaligen Hochbunker. Die massiven Betonwände halten alles aus und den Lärm der Zerstörungswut drinnen. Und das Geschäft mit der Wut scheint gut zu laufen. "Das Auffälligste ist, dass 70 Prozent der Teilnehmer Frauen sind", sagt Jaresch, "die dann auch zum größten Teil einen Grund haben, oft beruflicher Art."

Dirk Jaresch erzählt, wer im Wutraum seine Aggressionen rauslässt 00:19 Min. Verfügbar bis 18.01.2027

Auch Gruber ist wohl ein bisschen von sich selbst überrascht. "Ich bin niemand, der Sachen kaputtmacht, wenn er wütend ist. Ich bin da eher so innerlich", sagt sie, kurz bevor sie und Fuchs im Wutraum loslegen. Doch vom Innerlichen ist kurz darauf nichts mehr zu sehen. Die beiden schmeißen schwungvoll Teller gegen die grauen Betonwände, schlagen zu zweit wie wild mit Baseballschlägern auf eine Waschmaschine ein. Zurück bleibt ein Boden, der übersät ist mit Scherben, Holzteilen und zertrümmerten Elektrogeräten.

Haushaltsauflösungen bringen neues Inventar

Das Aufräumen der Trümmer übernehmen die Mitarbeiter. Der Müll aus dem Wutraum wird sorgfältig getrennt, spätestens alle drei Wochen ist der Container randvoll. Wutraum-Chef Jaresch kümmert sich parallel immer um Nachschub. "In erster Linie von Haushaltsauflösungen und sehr viel über Kleinanzeigen", sagt er.

Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass da jemand Dinge sucht, die zerstört werden können. So konnte er zuletzt bei einer Firmenauflösung Bildschirme, Drucker und andere Büroartikel ergattern. Einen ganzen Hänger voll. Und auch die Nachbarn haben immer mal Nachschub für die "Randalezentrale". Direkt nebenan ist nämlich passenderweise ein Geschäft für Haushaltsauflösungen.

Erschöpft, aber weniger wütend: Die Freundinnen Tanja Gruber und Steffi Fuchs in der "Randalezentrale" | Bildquelle: WDR / Melanie Klüting

Gruber und Fuchs haben ihre 40 Minuten geballtes Dampfablassen hinter sich. Sie ziehen ihre Helme ab und gucken sich noch einmal in dem Chaos um, das sie hinterlassen haben. Außer Atem und mit roten Köpfen. "Kann ich nur empfehlen", sagt Gruber, "selbst wenn man denkt, man hat keine innere Aggression - man hat sie." Und eine Freude bleibt am Schluss auch: "Wir müssen es nicht wegräumen", sagt Gruber und die beiden schlagen ein. Diesmal nicht auf das Inventar im Wutraum, sondern einander in die Hände.

Über dieses Thema haben wir auch am 02.01.2025 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Ruhr, 19.30 Uhr.