Ein älteres Paar sitzt gemeinsam auf einem Tandem.

Liebe auf zwei Rädern: Mit 84 Jahren auf dem Tandem gegen das Vergessen

Bonn | Unterwegs

Stand: 26.04.2025, 08:16 Uhr

Was bleibt, wenn Erinnerungen verblassen? Bei Egbert und Hildegard Thamms ist es das Fahren auf dem Tandem. Bis vor das Weiße Haus sind sie damit mal geradelt. Heute reicht den 84-Jährigen ihr Bonner Stadtteil. Eine leise, bewegende Geschichte über Demenz und die Liebe.

Von Patrick Stijfhals

Egbert und Hildegard Thamm sitzen noch am Frühstückstisch, als der 84-Jährige die für ihn wichtigste Frage des Tages stellt: "Sollen wir raus?" Seine Frau nickt und sagt "Ja". Wie fast immer. Wer verstehen will, warum dieses Wort mit seinen zwei Buchstaben für Egbert Thamm die Welt bedeutet, muss die Geschichte des Ehepaars kennen. Seit über 30 Jahren gehören die gemeinsamen Fahrten mit dem Tandem zu ihrem Alltag. In der Wohnung gibt es viele Erinnerungen daran: kleine Figuren, Fotos und Souvenirs. Eine Konstante, die seit der Demenz-Diagnose von Hildegard Thamm vor vier Jahren ein Anker geworden ist. "Jedes Mal denke ich, es könnte das letzte Mal sein. Wir sind beide 84 Jahre alt. Wer fährt in dem Alter noch Tandem?", fragt Egbert Thamm und hilft seiner Frau in ihre Jacke.

Ein Team auf und neben dem Rad: Egbert und Hildegard Thamm

00:12 Min. Verfügbar bis 26.04.2027

Seit vier Jahren ist das Radfahren nicht mehr nur reine Unterhaltung. Studien zeigen, dass regelmäßige körperliche Aktivität das Risiko einer Demenzerkrankung deutlich senken kann. Eine bestehende Erkrankung vollständig aufhalten kann Bewegung aber nicht, wie die Initiative Alzheimer Forschung zusammenfasst. Die regelmäßigen Fahrten haben aber auch einen weiteren Vorteil. Sie bieten Hildegard Thamm eine Struktur am Tag und ein Ritual als Orientierungspunkt. Beides kann laut Initiative dazu beitragen, dass Demenzerkrankte länger selbstständig bleiben.

Das Aufsitzen auf dem Tandem folgt einem gut einstudierten Ablauf. Er nimmt vorne Platz, dann klettert sie auf den hinteren Sitz. "Sie tupft mir auf den Rücken. Und dann weiß ich: Wir sind beide noch da", sagt Egbert Thamm. Wie auf sein Signal berührt ihn seine Frau in diesem Moment am Rücken. Was für Außenstehende wie eine simple Geste wirkt, ist für die beiden eine tiefe Verbindung. Eine Art Kommunikation jenseits von Worten, die auch die Demenz nicht durchbrechen kann. Im Bonner Stadtteil Lessenich kennt man sie längst als "die Tandems".

Vom Zufall zur Leidenschaft

Zum Tandemfahren kamen sie dabei durch einen Zufall. Als Freunde im Urlaub eine Radtour planten, sah es erst so aus, als könnte Hildegard Thamm nicht mitfahren. "Sie hat in der Stadt gewohnt, in Bonn. Die Familie hatte ein einziges Fahrrad, sie war das vierte Kind und hat nie Radfahren gelernt", erzählt Egbert Thamm, während er liebevoll auf ihr erstes gemeinsames Tandem blickt. Bis heute steht es noch im Hinterhof - dekoriert mit einer Lichterkette.

Das erste Tandem des Paars, geschmückt mit einer Lichterkette.

Ihr erstes Tandem haben Egbert und Hildegard Thamm bis heute behalten

Im Urlaub entdeckte das Paar damals zufällig ein Tandem. Danach unternahmen sie viele Ausflüge und Urlaube mit dem Tandem. Sie radelten auf Usedom, in Schweden und sogar bis vor das Weiße Haus in Washington.

Wie das Ehepaar Thamm per Zufall zum Tandem kam

00:30 Min. Verfügbar bis 26.04.2027

Bewegung gegen das Vergessen

Früher führten sie ihre Fahrten über Ländergrenzen und Kontinente. Heute ist ihre Welt kleiner: Lessenich im Nordwesten Bonns. Aber mehr brauchen sie nicht. Die regelmäßige Bewegung tut Hildegard Thamm gut. "Garde, wie geht es dir nach den Fahrten?", fragt ihr Mann während einer Pause. "Mir geht es gut", antwortet sie. "Und wenn du Rad gefahren bist, geht es dir noch besser?", will er wissen. "Ja", sagt Hildegard Thamm.

Zwei Menschen halten auf dem Tandem ihre Hände fest.

Unzertrennlich: Egbert und Hildegard Thamm und ihr Tandem

Wenn sie durch die Straßen von Lessenich radeln, spielen Geschwindigkeit oder Distanz keine Rolle. Es geht um jeden Moment, den sie gemeinsam verbringen können. Als sie nach ihrer Fahrt zum Haus zurückkommen, fragt Egbert Thamm: "Dass wir beide uns kennengelernt haben, ist unser höchstes Glück. Stimmt's?" "Ja", sagt seine Frau, ohne auch nur einen Moment zu zögern.

Über dieses Thema haben wir auch am 08.04.2025 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Bonn, 19.30 Uhr.