Wanzen statt Pestizide: Gelingt der mutige Feldversuch?

Recklinghausen | Landwirtschaft

Stand: 22.12.2024, 09:58 Uhr

Statt mit der Chemiekeule rückt Landwirt Stefan Punsmann aus Dorsten mit kleinen Raubwanzen an. Der Dorstener Landwirt setzt den Orius majusculus, einen Nützling, ein, um Schädlinge aus seinem Porree zu bekommen. Der Feldversuch läuft seit zwei Jahren im südlichen Münsterland.

Von Timo Spicker

Auf den ersten Blick sieht alles wie ein normaler Erntetag aus. In Dorsten ist noch dunkel und mit zwei Grad ziemlich kühl. Landwirt Stefan Punsmann und sein Team sind in der vorweihnachtlichen Porree-Ernte. Eine der wenigen Gemüse-Sorten, die Kunden in NRW im Winter frisch vom Feld bekommen. Immer wieder fährt Punsmann mit einem Trecker Gitterboxen hin und her, während der Porree-Roder das Gemüse aus dem Boden rupft, aufschneidet und sortiert. Was Außenstehende nicht wissen: In diesem Moment fährt Punsmann den Lohn für einen mutigen Feldversuch ein.

Der Porree-Roder im Einsatz. 00:18 Min. Verfügbar bis 22.12.2026

Wie Wanzen die Ernte schützen sollen

Der 29-Jährige hat mehrere Felder, auf denen er Porree anbaut. Auf zweien läuft sein Feldversuch. Statt Pestizide, also chemischen Pflanzenschutz, setzt er Raubwanzen ein. Sie werden zu den Nützlingen gezählt, sind also das Gegenstück zu Schädlingen.

Die Art, Orius Majusculus, gehört zu den räuberischen Blumenwanzen. Die nur wenige Millimeter braun bis schwarz gefärbten Tiere sind bei uns heimisch und für Stefan Punsmann vor allem wegen ihres Beutespektrums interessant. Denn sie fressen verschiedene Arten von Läusen, Thripsen und Milben.

Stefan Punsmann erklärt, warum er sich für den Einsatz der Raubwanzen entschieden hat 00:30 Min. Verfügbar bis 22.12.2026

Auf einem Hektar hat Punsmann im Frühsommer etwa 17.500 der Nützlinge ausgesetzt. Er bekommt die Tiere von einem Händler in den Niederlanden, 5.000 Wanzen pro Flasche, die von Hand verteilt werden. Dafür muss er zusätzlich Steinkraut-Blühstreifen pflanzen. Sie dienen den Wanzen als Nahrung, hier vermehren sie sich. Alles zusammengerechnet ist der Einsatz von Nützlingen damit teurer als der konventionelle Pflanzenschutz mit Pestiziden.

Der Steinkraut Blühstreifen zwischen den Porree-Feldern: die Nahrungsquelle der Wanzen | Bildquelle: WDR / Timo Spicker

Punsmann ist jedoch sicher, dass sein Wanzen-Porree am Ende eine bessere Qualität hat und es deshalb weniger Reklamationen beim Verkauf an den Lebensmitteleinzelhandel gibt. Dadurch rechne sich das Projekt. Außerdem will er rechtzeitig nach Pestizid-Alternativen suchen. "Der chemische Pflanzenschutz ist alleine schon dadurch wesentlich eingegrenzter geworden, dass man in den letzten Jahren weniger Wirkstoffe zur Verfügung hat", sagt er. "Und dann müssen wir auch neue Möglichkeiten suchen."

Zwischen Skepsis und Zuversicht

Punsmann ist mit seinem Porree-Ergebnis bisher zufrieden. Zwei Jahre in Folge hat er auf seinen Wanzen-Feldern eine gute Ernte eingefahren. Daher schmiedet er schon Pläne für die Zukunft, seinen Feldversuch auszuweiten.

Stefan Punsmann stellt Ergebnisse des Projekts vor und spricht über zukünftige Vorhaben 00:28 Min. Verfügbar bis 22.12.2026

So euphorisch sind aber nicht alle. Heike Scholz-Döbelin von der Landwirtschaftskammer NRW ist skeptisch, ob Punsmanns Versuch am Ende wirklich funktioniert. Sie findet den Ansatz aber mutig und wichtig. Als Beraterin für natürlichen Pflanzenschutz im Gemüseanbau weiß auch sie, dass immer mehr Pestizide verboten werden. In Zukunft sei es zum Beispiel vorstellbar, dass Landwirte Kapseln mit Nützlingen per Drohne über ihren Feldern abwerfen.

Wanze statt Chemie: nicht ohne Risiko

Scholz-Döbelin ist vor allem deshalb skeptisch, weil Punsmanns Feldversuch nicht ganz ohne Risiko ist. Es besteht immer die Möglichkeit, dass der Orius Majusculus nicht wie geplant die schädlichen Thripse am Porree frisst. Dann könnte Punsmann zwar noch versuchen, mit konventionellen Mitteln gegen die Schädlinge vorzugehen. Doch dafür könnte es mitunter schon zu spät sein. Der Einsatz von Nützlingen im Freiland ist bisher kaum erforscht.

Anders sieht es bei Gemüseanbau im Gewächshaus an. Dort sind Nützlinge als kleine Helfer inzwischen ganz normal. Im Gewächshaus gibt es zwei Vorteile: Die Temperatur ist konstant und regelbar, außerdem können die Insekten nicht wegfliegen.