"Hallöööchen!" Ein Kunde betritt die "Ballerbude" in Oer-Erkenschwick und wird von Naciye Karabulut herzlich begrüßt. Ihr Kiosk bietet alles, was das Herz begehrt. Auf der Theke stapeln sich rote Boxen mit allerlei Süßigkeiten für eine gemischte Tüte: salzige Heringe aus Lakritz, saure Ufos und grüne Gummi-Frösche. Mehr als 20 Boxen mit bunten Leckereien.
Aber nicht nur Süßes hat Karabulut im Angebot. Die Ballerbude ist wie ein kleiner Supermarkt: "Wenn die Leute Mehl oder Öl brauchen, dann kommen die direkt zu mir. Wenn ich das nicht habe, dann bringe ich das von zu Hause mit", sagt die 54-Jährige und lacht.
Trinkhallen-Kultur seit mehr als 150 Jahren
Trinkhallen gibt es in vielen Städten und Regionen. Ihr Zentrum lag und liegt aber im Ruhrgebiet. Sie sind ein echtes Stück Ruhrpott-DNA. Ihren Ursprung haben sie Mitte des 19. Jahrhunderts. Damals kauften hier Bergarbeiter nach der Schicht Wasser oder andere Getränke. Nicht zufällig gab es deshalb vor allem vor Zechen und Fabriken die ersten Trinkhallen, bevor sie dann auch an öffentlichen Plätzen aufmachten.
Tag der Trinkhallen
Am Tag der Trinkhallen wird die Trinkhallenkultur im Ruhrgebiet gefeiert, in diesem Jahr am 17. August von 15 bis 22 Uhr.
- Mehr als 20.000 Gäste werden erwartet
- 40 Trinkhallen wurden von einer Jury ausgewählt - darunter auch die Ballerbude
- An diesen Trinkhallen gibt es Programm aus fünf Sparten - Fußball, Kleinkunst, gemischte Tüte, Musik und Interkultur
- Mehr als 200 Künstlerinnen und Künstler sind dabei
- Der Tag der Trinkhallen wird seit 2016 alle zwei Jahre gefeiert
Heute haben sie Kultstatus. Seit 2020 sind Trinkhallen in Nordrhein-Westfalen immaterielles Kulturerbe. Begründet wurde das vom zuständigen Ministerium für Kultur und Wissenschaft mit dem sozialen Zusammenhalt, der eine zentrale Rolle spielt: "Trinkhallen nehmen als typische Treffpunkte eine wichtige Funktion für die Nachbarschaft ein und stellen Orte der Integration und des Austausches dar."
Da macht auch die Ballerbude in Oer-Erkenschwick keine Ausnahme. Sie ist mehr als ein Laden, in dem am Sonntag noch schnell etwas fürs Abendessen eingekauft wird. Es geht vielmehr um das Miteinander. Schon über 30 Jahre gibt es die Ballerbude, die mitten in einem Wohngebiet liegt. Karabulut betreibt den Kiosk seit neun Jahren. Sieben Tage die Woche ist sie für ihre Kunden da. "Den Job hier musst du wirklich mit Liebe machen", sagt sie. Diese Einstellung spüren auch ihre Kunden.
Drinnen laden in einem Nebenraum zwei Spielautomaten, eine Dartscheibe und ein großer Fernseher zum Zeitvertreib ein. Der Lieblingsplatz von Stammkunde Udo Tottmann. Karabulut nennt ihn liebevoll Teddy. Für ihn ist Fernsehen schauen in der Ballerbude zur Tradition geworden: "Wenn ich zu Hause bin, dann bin ich allein. Da ist keiner. Hier habe ich Unterhaltung."
Auch für Lothar ist die Ballerbude wie ein zweites Wohnzimmer. Er sitzt an einem der zwei braunen Holztische vor dem Kiosk, genießt ein kaltes Bier und unterhält sich mit anderen Kunden. Er kann verstehen, wieso viele immer wieder hierherkommen: "So eine Bude, das ist Kultur!"
Eigene Wand für Stammkunden
Karabulut sagt, sie hat mehr als 40 Stammkunden. Viele haben sogar feste Tage, an denen sie in die Ballerbude kommen. Und wenn sie das mal nicht tun, dann nur mit Ankündigung: "Heute Morgen hat mich ein Stammkunde angerufen, dass er im Krankenhaus ist", erzählt die Kioskbesitzerin und klingt dabei ein bisschen stolz. "Die melden sich immer."
Sie weiß jeden einzelnen ihrer Stammkunden zu schätzen. Das beweisen die vielen Fotos an der beigen, mit Holz vertäfelten Wand. Sie zeigen jede Menge gemeinsame Erlebnisse mit ihren Kunden. Die Wand wirkt fast wie Seiten in einem Familienalbum.
Die Ballerbude ist eben mehr als nur ein Kiosk in der Nachbarschaft. Sie ist Retter, wenn der Supermarkt geschlossen ist, ein Ort für Austausch und Gemeinschaft und einfach Kult.
Über dieses Thema haben wir auch am 16.08.2024 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Dortmund, 19.30 Uhr.