"Hier vorne steht Blondie", sagt Dirk Grote während er an ihr vorbeiläuft. Mit ihrem langen, goldig schimmernden Haar macht das schottische Hochlandrind seinem Namen alle Ehre. Auf ihrem Kopf trägt Blondie zwei große, geschwungene Hörner. Das blonde Fell hängt bis über ihre Augen. Mit der Haarpracht von Blondie kann Grote nicht mithalten. Er ist Typ kurzgeschnitten und graumeliert. Mit seiner khakifarbenen Jacke fügt er sich perfekt in die Natur ein. Was Blondie und Grote aber gemeinsam haben: Die Wistinghauser Senne ist ihr Revier. Aber warum leben hier ausgerechnet Hochlandrinder?
Das Naturschutzprojekt in Ostwestfalen-Lippe gehört zum Naturpark Teutoburger Wald / Eggegebirge. Seit 2011 leben hier schottische Hochlandrinder, heute sind es etwa 50 Stück. Dazu kamen 2015 wildpferdartige Exmoor-Ponys und Ziegen. Sie sollen helfen, die Artenvielfalt zu erhöhen.
Wistinghauser Senne: Ein Patenkind mit Hörnern
Für Grote ist das Gebiet nicht nur Arbeitsplatz, sondern auch Lieblingsort. Sein zweites Zuhause. "Ich kenne in Deutschland keinen schöneren Platz als in der Wistinghauser Senne." Grote arbeitet als Landschaftspfleger für den Kreis Lippe, seit 2020 Träger des Naturschutzgroßprojekts.
Die Tiere leben auf einer 300 Hektar großen Waldweide. Eine Fläche, größer als 400 Fußballfelder. Das Gebiet ist zwar eingezäunt, für Spaziergänger aber zugänglich. Rinder und Ponys bewegen sich weitestgehend frei. Im Winter bekommen sie zusätzliches Futter. Irgendwann sollen sie sich komplett von dem ernähren können, was die Natur in der Wistinghauser Senne zu bieten hat.
Grote kennt die Tiere gut. Wenn er mal Stress hat, holt ihre bloße Anwesenheit ihn wieder runter, erzählt er. "Ich habe jetzt seit 15 Jahren mit den Tieren hier zu tun und da liegen einem einige sehr am Herzen." Zum Beispiel Hochlandrind "Alpha", das 2012 als erstes Babyrind auf der Fläche zur Welt kam. Grote wird damals Patenonkel. "Natürlich habe ich ein sehr inniges Verhältnis zu meinem Patenkind", sagt er und lächelt.
Was Rinder und Pferde mit Artenvielfalt zu tun haben
Zu den Zielen des Naturschutzprojektes in der Wistinghauser Senne zählt die Entwicklung eines Lichtwalds. In diesem weniger dicht bepflanzten Wald können mehr Laubbäume wie zum Beispiel Eichen wachsen. Die brauchen Platz, viel Licht und Wärme. In geschlossenen Wäldern können viele Arten nicht dauerhaft überleben. Deshalb wurden in den letzten Jahren Bäume entnommen. Kahle Stellen in der Landschaft sind gewollt.
An diesem Punkt kommen die Tiere ins Spiel, erklärt Landschaftspfleger Grote: "Sie helfen, dass der Wald nicht wieder dichter wird." Zum Beispiel, indem sie nachkommende Pflänzchen zertreten oder abbeißen. Dieser Ansatz ist Teil der sogenannten Megaherbivoren-Hypothese. Herbivoren ist der Fachbegriff für Pflanzenfresser. Die Hypothese unterstellt großen Pflanzenfressern wie Pferden oder Rindern einen positiven Einfluss auf die Naturlandschaft. Grote ist erklärter Fan dieser Annahme: "Ich sehe, was die hier leisten und ich bewundere das. Es ist faszinierend."
Grote ist seit Projektstart im Jahr 2003 dabei. Anfangs noch als Ehrenamtler, heute hauptberuflich. Wenn er könnte, würde er sogar auf seine Urlaubstage verzichten, um jeden Tag mit den Tieren zu verbringen. Allerdings macht da sein Chef nicht mit, weshalb Grote an seinen freien Tagen einfach andere Beweidungsprojekte besucht. "In meinem nächsten Urlaub fahre ich nach Sachsen-Anhalt in die Oranienbaumer Heide zu einem Kollegen", erzählt er.
Auf dem Weg zum "europaweiten Vorzeigeprojekt"
Wenn es nach Grote geht, soll die Wistinghauser Senne ein europaweites Vorzeigeprojekt in Sachen Naturschutz werden. Mit Blick auf die Entwicklung der Artenvielfalt spricht er bereits von einer "unwahrscheinlichen Erfolgsgeschichte".
"2009 gab es 28 Brutvogelpaare von der Roten Liste auf der Waldfläche. 2020 waren es 224." Tierarten, die auf der Roten Liste stehen, gelten als gefährdet. Auch bei den Hochlandrindern ist Nachwuchs unterwegs. "Bei der sieht man es schon. Die hat richtig Rundungen im Bauchbereich", sagt Grote und begutachtet eine Kuh mit schwarzbraunem Fell. "In den nächsten ein, zwei Wochen dürfte es soweit sein."
Über dieses Thema haben wir am 15.03.2024 auch im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit OWL.