Hunderte rote Plüsch-Sessel reihen sich im großen Kinosaal der Lichtburg in Essen aneinander. Ein riesiger Balkon teilt den Raum in Parkett und Loge. Unter der Kuppel mit indirektem Licht entsteht eine Atmosphäre wie in Oper oder Theater. "Wow!", staunt Freda Pohl bei ihren ersten Schritten in den größten Kinosaal Deutschlands. "Toll, dass so etwas erhalten ist." Die 15-Jährige ist wegen ihrer Faszination für die Schauspielerin Romy Schneider mit ihrer Familie aus Wuppertal in die Lichtburg gekommen.
Die Lichtburg ist eines von vielen Kinos in NRW. Eines von laut Filmförderungsanstalt 278, um genau zu sein. Doch aufgrund seines Flairs und seiner Geschichte ist die Lichtburg einzigartig. Im historischen Foyer im Stil der 1920er-Jahre duftet es nach Popcorn. Berühmte Schauspieler wie Pierce Brosnan, Hape Kerkeling und Heike Makatsch liefen über den roten Teppich, der bis zur Essener Fußgängerzone ausliegt. Sie haben auf einem der 1250 Plätze gesessen, die den Raum bis fast zur Decke auszufüllen scheinen.
Lichtburg in Essen: "Wir sind einfach anders"
Bernhard Wilmer hat viele von ihnen kennengelernt. Der 67-Jährige war lange Theaterleiter in der Lichtburg. "Wir machen nichts besser als Multiplex-Kinos, wir sind einfach anders", sagt Wilmer über das Kino. Inzwischen führt er jeden letzten Samstag im Monat 30 Kino-Fans durch die Lichtburg. Dieses Mal auch die 15-jährige Freda Pohl und ihre Familie. Gemeinsam tauchen sie in die tief in die Vergangenheit des Gebäudes.
Romy-Schneider-Fan Freda Pohl möchte das Kino erleben, in das die Schauspielerin in den 50er-Jahren zwei Mal zu Uraufführung ihrer Filme kam. Die 15-Jährige bewundert gerade ein Original-Foto von Schneider mit ihren Fans in einem Seitengang des Kinos. "Ich liebe ihre Sissi-Filme. Wenn ich mir vorstelle, dass sie hier war. Einfach toll."
In den 50er-Jahren war die Lichtburg das wahrscheinlich wichtigste Kino in ganz Deutschland. Bis zu dieser Glanzzeit durchlebte es allerdings einige Aufs und Abs, wie Guide Bernhard Wilmer weiß.
Ein dunkles Kapitel
Zur Eröffnung 1928 zeigte das XXL-Kino noch Stummfilme, begleitet von Orgel oder Orchester. "Hier stand auch eine automatische Platzmeldeanlage. Das gab es nirgendwo sonst", erzählt Wilmer. Setzte sich ein Gast auf einen Stuhl, wurde ein elektrischer Kontakt geschlossen und dem Kartenverkäufer angezeigt. Ein Jahr später laufen auch die ersten Tonfilme im Kino. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 beginnt aber schon kurz darauf das dunkelste Kapitel der Lichtburg.
1934 zwingen die Nationalsozialisten den damaligen jüdischen Betreiber, das Kino für ein Zehntel des eigentlichen Wertes zu verkaufen. Danach wird die Lichtburg zum Spielort für Propagandafilme. Bis 1943 eine Bombe das Gebäude trifft und fast zerstört. Sieben Jahre später läuft nach dem Wiederaufbau das erste Mal wieder ein Film in der Lichtburg.
Wie die Lichtburg fast zum Einkaufszentrum wurde
Familie Pohl berührt, dass mit der Lichtburg mehr als ein großes, altes Kino erhalten wurde. "Die ganze Geschichte des Kinos ist hier zu spüren", sagt Christian Pohl. Im Vorführraum ist sogar der historische Projektor für analoge 90-Millimeter-Filme gelegentlich in Betrieb. Dabei fehlte nicht viel, und der Filmprojektor hätte Handtaschen, Uhren oder Anzügen weichen müssen.
1994 überlegt die Stadt Essen, ihr einzigartiges Kino zu verkaufen. Aus dem letzten großen Premieren-Kino soll ein Einkaufszentrum werden. In letzter Minute wird der Stadtrat mit einer Petition und der Unterstützung von Star-Regisseur Wim Wenders umgestimmt. "Ohne das Engagement Essener Bürger gäbe es die Lichtburg nicht mehr", sagt Wilmer. Seine Lieblings-Geschichte spielt sich aber ein paar Jahre später ab.
1998 landet Schauspieler Pierce Brosnan mit dem Hubschrauber neben der Lichtburg und stellte seinen Film "Der amerikanische Neffe" vor. Sofort habe der Ire die Herzen aller gewonnen. Er kniete vor der Leinwand nieder und bat: "Vergebt mir!" Warum? "Er hatte das Premieren-Publikum irrtümlich mit 'Liebe Leute in Köln' begrüßt."
Einzigartig: Kino mit alten 90-mm-Filmen
Die Führung endet in der "Filmbar" im 50er-Jahre Stil mit originalen Cocktail-Sesseln, wo viele Schauspieler nach dem Film noch die Premieren feierten. Die Wuppertaler Familie Pohl will auf jeden Fall wiederkommen - und beim nächsten Mal auch im großen Saal in einem der roten Kino-Sessel Platz nehmen.
Über das Thema berichten wir auch am 03.01.2025 im WDR-Fernsehen: Lokalzeit Ruhr, 19.30 Uhr.