
Karneval auf der Palliativ-Station: Das Leben feiern - bis zum Schluss
Stand: 12.02.2025, 06:59 Uhr
Karneval mit Schwersterkranken feiern? Geht das? Darf man das überhaupt? Annette Borngeßer beantwortet diese Fragen mit einem kräftigen "Ja". Aus Erfahrung. Sie arbeitete mehr als 30 Jahre als Krankenschwester auf der Palliativ-Station des Klinikums Köln-Merheim. Jedes Jahr veranstaltet sie dort eine Karnevalssitzung. Was sie dabei von den Patienten gelernt hat.
Von Jochen Hilgers
Rund 25 Menschen halten sich an den Händen, schunkeln und singen Kölner Karnevalslieder. Vorne gibt das Kölner Dreigestirn den Takt an. Auf den ersten Blick eine ganz normale Karnevalsfeier. Doch das ist sie nicht. Es ist pure Lebensfreude unter eigentlich Todgeweihten. Denn manche aus dem Publikum wissen nicht, ob das vielleicht die letzte Session ihres Lebens sein wird.
Wer auf eine Palliativ-Station kommt, leidet im Normalfall an einer fortgeschrittenen und unheilbaren Krankheit. Mediziner behandeln bei einem Aufenthalt vor allem akute Symptome und passen die Medikamente an. 66 dieser Stationen gibt es laut Deutscher Gesellschaft für Palliativmedizin in NRW. Während bei einem Hospiz die Bewohner bis an ihr Lebensende begleitet werden, kehren die Patienten auf Palliativ-Stationen nach den Behandlungen meist nach Hause zurück, um dort gepflegt zu werden.
"Lachen, wenn es nicht zu Weinen reicht"
So geht es auch Jens Rückert. Der 48-Jährige hat Multiple Sklerose und kommt etwa alle sechs Wochen zur Behandlung. Er sitzt im Publikum in seinem Rollstuhl, trägt eine Prunkmütze und ein Gold schimmerndes Oberteil. "Karneval zeigt, dass das Leben weitergeht", sagt Rückert. Sein Motto: "Lachen, wenn es nicht zum Weinen reicht." Karneval, das sei dafür sein Ventil.
Jens Rückert freut sich über die Ablenkung
00:09 Min.. Verfügbar bis 12.02.2027.
Rückert ist einer von neun Patienten auf der Station im Klinikum Merheim. Manche kommen für ein paar Minuten zur Karnevalssitzung, manche gar nicht. Im Publikum sitzen aber auch Angehörige von bereits verstorbenen Patienten und einige Mitarbeiter. Ganz vorne hat sich Annette Borngeßer hingesetzt. Sie hat die Sitzung geplant und kurz zuvor eröffnet.
Annette Borngeßer erklärt, warum es wichtig ist, zu lachen
00:18 Min.. Verfügbar bis 12.02.2027.
Borngeßer klatscht und singt mit, unterhält sich immer wieder mit Patienten oder ihren Angehörigen. Lange war sie leitende Schwester der Station. Inzwischen ist sie eigentlich im Ruhestand, die Sitzung organisiert sie aber weiter. Warum sie das auf sich nimmt? "Wir leben bis zuletzt und das ist das Wichtige. Lachen und lustig sein hilft vielen über miese und fiese Stunden", antwortet Borngeßer. Außerdem stehe das Programm für 2026 ohnehin schon fest.
"Alles hät sing zick"
"In Köln sagt man, alles hät sing zick. Und die Zeit, die die Leute hier verbringen, versuchen wir mit Würde; mit Lachen und wenn es ein muss, mit Weinen zu begleiten", erzählt Borngeßer, während vorne auf der Bühne gerade einige Männer in Baron-Münchhausen-Kostüm auf Regenschirme steigen.
Ähnlich sieht es auch der aktuelle Stationsleiter Doktor Robin Joppich: "Wir arbeiten jeden Tag mit dem Sterben und dem Tod. Dadurch sind wir uns über die Kurzlebigkeit des Lebens immer bewusst. Es gilt, das Leben und mit den Patienten zu feiern. Bis zum Schluss." Er hat sich kurz aus dem kleinen Raum auf den Flur zurückgezogen, um einmal durchzuatmen. Dort trifft er auf einen Dauergast bei der Karnevalssitzung.

Heribert Althoff ist ehemaliger Patient der Palliativ-Station und feiert dort noch immer beim Karneval mit
Heribert Althoff ist einer der wenigen Patienten, der seit Jahren zur Karnevalssitzung kommt. Dass er so viele davon erleben würde, hätte er selbst nicht geglaubt. "Ich war 2011 als Krebs-Patient auf der Station, und ich lebe immer noch", sagt der 76-Jährige über dieses kleine Wunder. Das Personal habe sich in dieser Zeit kaum geändert. "Ich bewundere, dass die Menschen das durchhalten."
Über dieses Thema haben wir auch am 31.01.2025 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Köln, 19.30 Uhr.