So bereitet ein Cannabiskoch Essen zu 00:21 Min. Verfügbar bis 20.09.2026

"High Cuisine": Der Cannabis-Koch aus Ostwestfalen

Herford | Heimatliebe

Stand: 20.09.2024, 07:48 Uhr

Austern mit Marihuana, Mönchsfisch mit Cannabis-Schaum und in Hanf marinierte Barbarie-Entenbrust: Wenn André Schneider zum Kochlöffel greift, verbindet sich Droge mit Haute Cuisine. Der Ostwestfale ist Cannabis-Koch. Aber warum?

Von Luca Peters

Wenn es stimmt, dass Gesichter Geschichten erzählen können, wartet dort vor dem erdbraunen Mehrfamilienhaus ein ganzer Roman. Tiefe Furchen verlaufen sich unter seinen Augen. Wie Lebenslinien sehen sie aus. Dabei ist der Mann, der dort steht, erst 47 Jahre alt.

Die rechte Hand hat André Schneider lässig in die braun-weißen Surfershorts gesteckt. Wie verwachsen steht Schneider dort auf der Straße, zwischen scheckheftgepflegten Vorgärten und akkurat eingeparkten Familienkutschen. Und kifft. Die Sorte heißt "Think different". Anders denken. Oder etwas freier übersetzt: Den Mut besitzen, die Dinge nicht so zu machen, wie alle anderen. Es ist die Zusammenfassung seines Lebens, eingerollt in einen Joint. Ein Zug. Und noch einer. Dann macht Schneider auf dem Absatz kehrt und steigt über knarzende Treppenstufen in sein Reich unter dem Dach.

1

Meister der Drogenküche

Der Ostwestfale aus der 45.000-Einwohnerstadt Bünde im Kreis Herford ist einer der wenigen Menschen in NRW, die sich als Cannabis-Koch bezeichnen. Seit etwa 15 Jahren widmet er dem berauschenden Grün nicht nur sein Leben, sondern auch seinen Gaumen. Schneider gibt Kochkurse mit Cannabis und veranstaltet berauschende Koch-Events. Schneider ist ein kochender Tagelöhner. Und er hat ein Buch geschrieben. "High Cuisine" heißt es. Auf 400 Seiten kocht er sich einmal um die Welt: Da findet man deutsche Hanfrouladen neben italienischem Olivenbrot mit Hanfmehl und "Muamba Nsusu", einem kongolesischen Hähncheneintopf mit Cannabis und Erdnüssen.

Im Trend liegt er damit. Das NRW-Gesundheitsministerium gibt an, dass laut einer Erhebung von 2021 fast jede zehnte Person in NRW in den zurückliegenden zwölf Monaten mindestens einmal Cannabis konsumiert hat. Seit der Legalisierung von Cannabis im April 2024 dürfte diese Zahl deutlich gestiegen sein.

Welche Bedeutung hat Cannabis im Leben von André Schneider? 00:44 Min. Verfügbar bis 20.09.2026

Für Schneider ging das alles aber schon deutlich früher los. Mit 29 Jahren fand er seine Leidenschaft: das Kochen. "Ich habe den Brief bekommen, in dem meine Ausbildungsbescheinigung zum Koch drin war. Ich bin durch die Tür der Schule und dachte: Das ist nicht nur die Tür nach draußen, das hier ist auch die Tür zur Welt." Nach seiner Ausbildung kocht Schneider deshalb überall - nur nicht in Deutschland. Er kocht in einem Sternerestaurant auf Mallorca, arbeitet in Afrika und in Asien. Während eines 18-monatigen Aufenthalts auf der Karibikinsel Dominica findet er zu dem, was sein dauerhafter Begleiter werden wird: das "Ganja", wie Schneider Cannabis nennt.

Das High als Lebensbegleiter. Schneider lässt sich davon inspirieren. Beginnt, ab und an für Freunde mit Cannabis zu kochen. Irgendwann macht er daraus ein Geschäftsmodell. Und seit ein paar Jahren schreibt er auch über seine Leidenschaft. Schneider will Cannabis nicht nur verzehr-, sondern auch verkehrsfähig machen. Es ist das, was er sein Lebenswerk nennt.

2

Die umstrittenste Pflanze der Republik

Schneider ist ein Süchtiger. Und ein Getriebener. Das gibt er selbst zu. Er brauche das Gras, meint er, es mache ihn kreativer. Mal pafft er fünf Joints am Tag, mal zwei. Nüchtern ist er so gut wie nie. Manchmal, wenn sich Schneider um seine zweijährige Tochter kümmert, macht er eine Ausnahme. Der Mann aus Bünde gefällt sich in der Rolle des Nonkonformisten. Des Cannabis-Revoluzzers mit Kochschürze.

Das im April in Deutschland in Kraft getretene und umstrittene neue Cannabis-Gesetz "CanG" kam Schneider sehr gelegen. Seitdem darf jeder Erwachsene bis zu 50 Gramm Cannabis besitzen, ganz legal. Auch der private Anbau von drei Pflanzen ist neuerdings erlaubt. Schneider hat davon direkt Gebrauch gemacht. Auf dem ausgebauten Dachboden hat er sein Pflanzenzelt aufgebaut, eine Growbox, sein eigener Zimmerdschungel.

In seiner Growbox baut André Schneider selbst Gras an | Bildquelle: WDR / Luca Peters

Natürlich kennt Schneider die Kritik: Da sind die Einwände von Ärzten und Psychiatern, die die Droge mit akuten körperlichen und psychischen Risiken in Verbindung bringen. Und sie vor allem für junge Menschen für eine Einstiegsdroge halten, die abhängig macht. Und da sind Teile der Politik, für die die Cannabis-Legalisierung einen zivilisatorischen Werteverfall darstellt. Schneider wischt das alles beiseite. Für ihn ist klar: "Das Gras kann schließlich alles. Es kann die Nahrungsmittelindustrie verändern, vielleicht irgendwann sogar mal das Plastik ersetzen."

Unbedenklich ist das Kochen von Cannabis nicht. Laut Barmer Ersatzkasse tritt eine Wirkung beim Essen nach etwa 30 Minuten bis zu zwei Stunden ein. Allerdings lässt sich nur schwer einschätzen, wie viel Cannabis man genau gegessen hat. Die Gefahr einer Überdosierung besteht. Dann kommt die Wirkung mit Wucht und hält auch länger an. Raucht man einen Joint, verfliegt der Rausch schneller.

3

Bekiffte Garnelen

An diesem Nachmittag steuert Schneider auf seine kleine Kochnische zu. Mühsam zwängt sie sich in eine Ecke der ebenfalls nicht gerade geräumigen Wohnung. Ein Esstisch, eine Sofaecke, ein schmaler Balkon. Das war's. Nicht unbedingt eine stereotypische "Kifferhöhle", aber auch nicht der Arbeitsbereich, den man von einem anspruchsvollen Koch erwarten könnte. Schneiders Lebensstil bietet zwar künstlerische Freiheit, aber keine finanzielle.

Er lässt erstmal das Messer kreisen. Zusammen mit Garnelen landen halbierte Kirschtomaten, Sellerie und Petersilie in der Pfanne. Der Cannabis-Koch brät sie mit Knoblauch und einer beherzten Portion Chili. Eine Mahlzeit, die man so oder so ähnlich auch in jedem durchschnittlichen Restaurant vorgesetzt bekommt. Aber sie ist noch nicht fertig. Behutsam bugsiert Schneider eine winzige Portion Cannabis in die Pfanne. Wer mit der Droge kochen will, braucht viel Erfahrung und eine ruhige Hand. Schon kleine Mengen können eine Überdosis zur Folge haben, die zum Beispiel zu Angstzuständen oder Halluzinationen führen können. Doch Schneider nickt zufrieden.

Die fertigen Garnelen mit einer Prise Cannabis | Bildquelle: WDR / Luca Peters

Nun wird "decarboxyliert". Durch die Hitze wird THC freigesetzt, der Wirkstoff, der für das "High" verantwortlich ist. Es ist ein schmaler Grat. Erhitzt Schneider das Cannabis zu wenig, wird das Essen später kein High verursachen. Erhitzt er es zu viel, verfliegt seine Wirkung. Schneider probiert. Probiert nochmal. Dann schmeckt er die "bekifften" Garnelen mit einer Handvoll frischem Koriander ab. Das Essen ist fertig.

4

High on Life

Draußen auf dem kleinen Balkon. Schneider hat den Teller mit den dampfenden Cannabis-Garnelen vor sich abgestellt. Drei Joints hat er heute schon geraucht. Wenn er gleich aufgegessen hat, wird er richtig "drauf" sein. Die kleine Mahlzeit, zusammengewürfelt in ein paar Minuten, ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was Schneider eigentlich zu leisten imstande ist. Jetzt blinzelt er träge in die Bünder Mittagssonne. Ob ihm die Droge manchmal im Weg stehe? Könne schon sein, meint Schneider. Vielleicht aber auch nicht. "Ich war schon immer jemand, der seinen eigenen Weg gehen musste. Und mein Weg heißt eben Cannabis."