Dirk Kontny steht vor der Kasse seines Ladens und hält ein Portrait-Foto aus seiner Zeit als aktiver Fußballer hoch.

Von der Bundesliga in die Bude in Wattenscheid

Bochum | Heimatliebe

Stand: 22.04.2025, 07:13 Uhr

Früher hat Dirk Kontny für Wattenscheid 09 Buden geschossen, heute betreibt er selbst eine. Wie der Ex-Bundesligaspieler im Kiosk-Geschäft sein großes Glück fand.

Von Daniel Chur

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Vom Fußballprofi zum Kioskbesitzer

"Die Zeitschrift einmal?", fragt Dirk Kontny, während er hinter dem Tresen seines Mini-Geschäfts in Bochum-Wattenscheid steht, direkt gegenüber vom S-Bahnhof Höntrop. Pinker Kapuzenpulli, Jeans, die Lesebrille hat er nach oben über die Stirn weggeschoben. So sehen ihn die Leute hier täglich im Kiosk. Längst nicht alle wissen, dass er früher mal Bundesligatore geschossen hat.

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Wattenscheid 09, der Kultclub aus dem Ruhrgebiet, lange Zeit neben dem VfL Bochum die große Fußballadresse in der Stadt - das war seine Fußballheimat. Kontny spielte in der Zeit, als der Club seine allergrößten Erfolge feierte, Anfang der neunziger Jahre, als Wattenscheid in die Erste Bundesliga aufstieg. Vier Jahre war der Verein in der obersten Klasse.

Bude war eigentlich nur Plan B

"Die meisten haben ja gedacht, er hat es nicht mehr geschafft", erinnert sich der 59-Jährige mit Blick darauf, wie einige Leute im Stadtteil reagierten, als er nach der Profikarriere das Projekt Kiosk verfolgte. Eine Verletzung beendete seine Karriere und so wurde aus seinem zweiten Standbein, der Bude, das erste.

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Seitdem ist sein "Pick up Kiosk" die Anlaufstelle für alle Fälle in Wattenscheid-Höntrop. Snacks, Getränke, Zeitschriften, Post, Pakete, Lotto und natürlich die "gemischte Tüte" mit Süßigkeiten - alles vorhanden. Sogar Second-Hand-Kleidung kann man hier kaufen. "Gerade für die älteren Leute, die nicht mehr bis in die Stadt fahren können, sind wir hier wichtig", so Kontny. "Wir helfen auch beim Aufladen der Handykarte."

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Von Fans auf Schultern getragen

Zusammenhalt in Bochum-Wattenscheid, das kennt Kontny schon seit seinen Fußballertagen. "Das war hier eine ganz besondere Zeit, als unser Verein so erfolgreich war", erzählt Kontny über die Phase von Mitte der Achtziger- bis Anfang der Neunzigerjahre. "Man sah die Leute hier beim Einkaufen, in der Kneipe und am Wochenende auch beim Spiel. Nach den Spielen waren wir Spieler immer in derselben Stammkneipe. Die Fans wussten, die treffen uns da."

Schwarz-Weiß-Aufnahme von Dirk Kontny bei seinem ersten Bundesliga-Tor. Das Bild wurde hinter dem Tornetz gemacht.

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Der Aufstieg in die Bundesliga war damals im Stadtteil die absolute Sensation. Kontny erinnert sich an das Heimspiel 1990 im Lohrheidestadion, bei dem der Aufstieg klargemacht wurde. Mitspielen konnte er wegen eines Bänderrisses nicht. "Aber die Fans haben mich dafür auf ihren Schultern von der Kabine bis zur Mittellinie getragen", erinnert sich der Ex-Profi, "das war auch ein schönes Gefühl."

Jeder kennt jeden

Im Kiosk läuft gerade ein Update an der Kasse des Post-Schalters. Ein Techniker kümmert sich drum. Kontny vertröstet derweil einen Kunden, der gerade ein Paket abgeben will: "Kommst du gleich nochmal hier vorbei? Oder sonst morgen? Da bist du doch auch immer unterwegs." Der Kunde nickt. "Ja, kein Ding. Komme ich morgen rein." Das "Du" ist hier üblich, der Umgang vertraut.

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"Die sind hier alle super nett", sagt Kundin Eva, die fast jeden Tag vorbeischaut. Sie wusste bisher nicht, dass Kontny mal Bundesligaspieler war. Das lasse er auch nicht so raushängen, erklärt Mitarbeiterin Anna Trenkel. Wer aber viel Zeit in Kontnys Laden verbringt, der lernt auch seine Anekdoten kennen: "Ich bin seit 28 Jahren hier im Laden", sagt Trenkel mit einem Augenzwinkern, "da kennt man alle Geschichten."

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Geschichten, die nur der Fußball schreibt

Eine Geschichte erzählt Kontny besonders gern. Die von seinem wohl spannendsten Spiel in Berlin gegen Hertha BSC kurz nach dem Mauerfall. Sein Trainer sagte damals kurz nach der Ankunft: "Jungs, wir treffen uns morgen im Stadion. Macht, was ihr wollt. Geht jetzt raus in die Stadt und tummelt euch, da passiert gerade was ganz Verrücktes."

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Und tatsächlich wurde es auch für Kontny und die anderen Wattenscheider verrückt: Damals trugen die Spieler nämlich allesamt grüne Trenchcoats, mit denen sie vom damaligen Klub-Mäzen und Sponsor, dem Wattenscheider Modehersteller Klaus Steilmann, ausgestattet wurden. "Die Bürger aus dem Osten machten einen großen Bogen um uns", erinnert sich Kontny, "und als wir sie mal nach dem Grund fragten, kam die Antwort: Ihr seht aus wie von der Stasi."

Als sie aufklären konnten, welchem "Verein" sie wirklich angehörten, entspannte sich die Stimmung schlagartig. Kontny denkt an diese Phase der deutschen Geschichte besonders im Augenblick gern zurück: "Man wünscht sich diese Freude, die damals war, heute in Deutschland zurück."

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Zusammenhalt, damals wie heute

Freude kommt in jedem Fall auf, wenn Ex-Mannschaftskollegen in den Kiosk kommen. Kontnys früherer Mitspieler Gerhard Drews schaut vorbei. Schnell wird gelacht, geherzt und auch ein bisschen gefrotzelt. "Mit dem Laden macht der Dirk doch eh mehr Geld als auf dem Fußballplatz", sagt Drews mit einem Augenzwinkern und kassiert von Kontny einen leichten, scherzhaften Stoß in die Seite.

Beide Ex-Profis erzählen, dass sie sich mit den Kollegen von früher auch heute noch regelmäßig treffen. Immer wieder betonen sie, wie groß der Zusammenhalt der Wattenscheider damals war. Darum verwundert es auch nicht, dass Kontny plötzlich Tränen in den Augen hat, als er ein Foto in der Hand hält, das ihn mit seinem früheren Mannschaftskollegen Maurice "Mucki" Banach beim Torjubel zeigt.

Schwarz-Weiß-Aufnahme von feiernden Spielern und Fans an der Heimkurve des Lohrheidestadions.

Die Wattenscheider Mannschaft im Jubel mit den Heim-Fans auf den Rängen

"Wir waren Freunde. Und Mucki ist damals bei einem Autounfall ums Leben gekommen", sagt Kontny und betrachtet das Foto lange. Der tragische Tod des damaligen Spielers schockierte 1991 die ganze Fußballnation. "Das war auch für mich ein Schock", so Kontny. "Heute kriegst du Betreuung, heute wird da Rücksicht drauf genommen, aber damals musstest du das selber für dich verarbeiten."

Budenbetrieb liegt in der Familie

Eine Karriere im Fußballgeschäft nach der Profizeit wollte Kontny nicht anstreben. "Man hat halt auch seine negativen Erfahrungen dort gemacht", sagt er. Als bodenständig bezeichnet er sich und seine Familie. Passend dazu: Auch sein älterer Bruder Frank Kontny war Profifußballer, spielte ebenfalls in Wattenscheid, aber auch bei Rot-Weiss Essen. Auch er machte nach der Profikarriere eine Bude auf, nebenan in Essen.

An der Kasse stehen, mit Kunden quatschen, ab und zu mal fachsimpeln über Fußball im Laden - genau das ist Kontnys Ding. Und das kann er sich nach wie vor am besten in Wattenscheid vorstellen: "Ich würde mich nicht überall wohlfühlen. Ich brauche diese Region, den Pott, die Menschen hier. Das ist meine Heimat."

Über dieses Thema haben wir auch am 12.03.2025 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Ruhr, 19.30 Uhr.