Ein lauter Hip-Hop-Beat dröhnt durch das Klassenzimmer an der Hauptschule am Externberg in Dortmund. Die meisten Jugendlichen sitzen allerdings still auf ihrem Platz im Stuhlkreis. Ein wenig schüchtern schauen sie sich an, manche blicken auf ihre Hände herunter. Nur die 14-jährige Cheyenne Erler bewegt sich direkt zur Musik und rappt sogar ein paar ausgedachte Zeilen mit. Für Cheyenne und ihre Mitschüler ist das keine gewöhnliche Unterrichtsstunde. Statt Deutsch, Mathe oder Geschichte lernen sie heute Selbstvertrauen, Sozialkompetenz und einen kreativen Zugang zu Sprache.
Rappen für das Selbstbewusstsein
Seit 2008 arbeitet das Team von X-Vision Ruhr mit Kindern und Jugendlichen im ganzen Ruhrgebiet zusammen. Die Idee dazu hatten zwei Brüder, die als Geflüchtete nach Bochum kamen. Sie wollen über die Musik Kinder erreichen, die aufgrund ihrer sozialen oder finanziellen Situation benachteiligt sind. Rap soll ihnen einen anderen Zugang zur Sprache ermöglichen und Selbstvertrauen schaffen. Inzwischen arbeiten Musiker, Pädagogen und Ehrenamtler zusammen an diesem Ziel und bringen nicht nur das entsprechende musikalische Equipment, sondern auch Rap-Know-how mit. In der Dortmunder Schule bereitet Jona Boubaous von X-Vision Ruhr gerade das Mikrofon für Cheyenne Erler vor. Sie traut sich als erste an diesem Nachmittag mit ihrem Text vor die Klasse.
Wie klingen Cheyenne Erlers erste Rap-Versuche vor der Klasse?
00:11 Min.. Verfügbar bis 03.03.2027.
Cheyenne hat einen kleinen Startbonus. Sie nimmt nicht zum ersten Mal an einem Hip-Hop-Workshop teil. Aufgeregt war sie trotzdem: "Ich weiß gar nicht, wie ich das sagen soll, aber ich zittere immer noch." Rap ist ihre Leidenschaft. Eine, die mit vielen Vorurteilen zu kämpfen hat. Während die Schüler gemeinsam über ihre Textideen sprechen, geht es immer wieder um Drogen, Geld, Kriminalität, Zukunft, Depressionen. Was von außen vielleicht befremdlich wirkt und gleichzeitig Rap-Klischees bedient, ist für den Workshop-Leiter Jona Boubaous nichts Ungewöhnliches: "Rap wird schnell mit diesen Themen verbunden. Aber es ist uns wichtig, dass wir damit aufräumen. Es gibt so viel mehr im Leben als Drogen und Kriminalität. Wir merken aber, dass das trotzdem Themen sind, die die Jugendlichen beschäftigen", sagt er.
Warum viele Kinder im Ruhrpott keinen leichten Stand haben
Vielleicht, weil es auch ein Teil ihrer Lebensrealität ist. Etwa jedes dritte Kind im Ruhrgebiet lebt in Armut, wie aus Zahlen des Armutsberichts hervorgeht. In Gelsenkirchen sind es sogar über 38 Prozent der Kinder. Gleichzeitig zeigen Statistiken, dass in wirtschaftlich benachteiligten Gegenden bestimmte Delikte, wie Eigentums- oder Drogenkriminalität, häufiger auftreten. Deswegen gibt es auch kein Tabu beim Schreiben des Rap-Songs.
Drei Tage haben die Kinder und Jugendlichen beim Workshop dafür Zeit. Am Ende soll ein gemeinsamer Song auf einem von ihnen ausgewählten Beat entstehen. Jeder Schüler rappt seine Zeilen einzeln am Mikrofon. Damit soll das Selbstbewusstsein der Jugendlichen gestärkt und der Zusammenhalt in der Klasse verbessert werden. Außerdem ist Rap gut für die Sprachentwicklung: "Einfach die Artikulation und Aussprache etwas besser lernen und zusammen über ein Thema zu schreiben, das schweißt zusammen", sagt Workshop-Leiter Boubaous.
Bedarf an dem Angebot gibt es im Ruhrgebiet mehr als genug. Laut Kinder- und Jugendhilfestatistik des Landes NRW liegt der Anteil der Kinder mit nichtdeutscher Familiensprache bei etwa 30 Prozent in der Metropolregion Ruhr. Am höchsten sind die Werte in Gelsenkirchen und Duisburg. Manche dieser Kinder lernen Deutsch erst in der Kita, andere auch schon vorher über Freunde der Eltern oder andere Teile der Familie.
Vom Klassenzimmer ins Tonstudio
Mehrere Schülergruppen stecken im Klassenraum inzwischen die Köpfe zusammen und wollen aus den gesammelten Themenideen erste Textzeilen entwickeln. Cheyennes Mut, vor der Klasse zu rappen, hat sie nicht nur beeindruckt, sondern auch angestachelt. Immer mehr Jugendliche melden sich, um am Mikrofon zu üben.
Wie hat den Schülern der Workshop-Tag gefallen?
00:17 Min.. Verfügbar bis 03.03.2027.
An den nächsten beiden Tag werden sie die Textideen aus den Gruppen für den gemeinsamen Song aufeinander abstimmen und am Ende ihr eigenes Demo-Tape aufnehmen.
Über dieses Thema haben wir auch am 04.02.2025 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Ruhr, 19.30 Uhr.