
"Ich war nervlich am Ende": Wie in Erkelenz Nähen aus der Krise hilft
Landkreis Heinsberg | Füreinander
Stand: 22.04.2025, 12:29 Uhr
Einmal in der Woche nähen Frauen in Erkelenz gegen Depressionen und Einsamkeit. Wie ihnen die Nähwerkstatt nicht nur Mut und Gemeinschaft, sondern auch neue Lebensfreude schenkt.
Von Ingo Wagner
Wer die Werkstatt in Erkelenz betritt, wird von lebhaftem Stimmengewirr und dem gleichmäßigen Rattern der Nähmaschinen empfangen. Manche der Frauen sind ganz in ihre Arbeit vertieft. So wie Margret Wagner. Die 71-Jährige arbeitet gerade an einer Fahne in den Stadtfarben von Erkelenz. Die soll einmal "für feierliche Anlässe wie Volksfeste" dienen, sagt Wagner.
Zur Nähwerkstatt kam sie vor sieben Jahren. Nach dem Tod ihres Mannes und ihrer Eltern im selben Jahr litt sie an einer schweren Depression. "Ich war damals nervlich am Ende", sagt sie. Eine Bekannte erzählte ihr von der Nähwerkstatt. Wagner beschloss, es einmal auszuprobieren. Von den anderen Frauen fühlte sie sich schnell verstanden. "Die Nähwerkstatt hat mir sehr geholfen, aus dem Tief herauszukommen."
Was ist für Margret Wagner das Besondere an der Nähwerkstatt?
00:24 Min.. Verfügbar bis 22.04.2027.
In der Nähwerkstatt vom Caritasverband und katholischen Forum sollen Frauen wie Wagner neuen Lebensmut schöpfen können. Viele von ihnen haben ähnliche Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen gemacht. Ein Thema, das Millionen Menschen in Deutschland und NRW betrifft: Laut einer repräsentativen Umfrage des internationalen Meinungsforschungsunternehmens Ipsos gibt ein Drittel der Deutschen an, psychisch krank zu sein.
Nähwerkstatt in Erkelenz: "Es hebt das Selbstwertgefühl"
An einem Flipchart in der Nähwerkstatt steht Susanna Jochims. Die gelernte Bekleidungstechnikerin und -gestalterin gibt den Teilnehmerinnen Nähunterricht. Nicht alle Frauen können schon gut nähen, wenn sie zum ersten Mal kommen. Mit dem Finger zeigt Jochims auf ein großes Papierblatt und erklärt die Zeichnungen darauf. Die Teilnehmerinnen sitzen hinter ihren Nähmaschinen und hören aufmerksam zu.
Susanna Jochims: Was gibt die Nähwerkstatt Erkelenz den Frauen?
00:37 Min.. Verfügbar bis 22.04.2027.
Jochims leitet die Werkstatt mit viel Herzblut. "Es gibt immer noch das Vorurteil, dass psychisch kranke Menschen einfach nur faul seien oder sich nicht zusammenreißen können", sagt sie. "Ich möchte zeigen, dass psychische Erkrankungen einfach zur Gesellschaft dazugehören."
Für sich selbst und für andere
Seit 2017 gibt es die Nähwerkstatt in Erkelenz. Alle Stoffe und auch die Nähmaschinen sind gespendet. Aktuell arbeiten die Frauen an einem besonderen Projekt: weiche Kissen für Brustkrebspatientinnen. Diese können nach Brustoperationen helfen, Schmerzen zu lindern.
Zwischen Stoffbahnen, Stecknadeln und dem Rattern der Maschinen entstehen nicht nur Näharbeiten, sondern auch Freundschaften. So wie zwischen Wagner und Tooran Tammasebi. Die 55-jährige Tammasebi kommt aus dem Iran und arbeitet als Reinigungskraft. Das Angebot in Erkelenz richtet sich gezielt auch an Frauen mit Migrationshintergrund.

Beim gemeinsamen Nähen und Kaffeepausen haben sich Tooran Tammasebi und Margret Wagner besser kennengelernt
Auch wenn die Verständigung nicht immer ganz einfach ist - die Gespräche und das gemeinsame Nähen helfen auch Tammasebi. "Meine Depression ist besser geworden und ich habe hier viele Freundinnen gefunden", sagt sie in gebrochenem Deutsch. Deshalb bleiben viele Frauen der Nähwerkstatt über Jahre hinweg verbunden.
Über dieses Thema haben wir auch am 02.04.2025 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Aachen, 19.30 Uhr.