Laut rattern die Nähmaschinen in dem 35 Quadratmeter großen Raum der Caritas Sundern. An den Wänden stapeln sich bunte Stoffe. Eine Frau gibt zwei Helfern an einem Tisch auf Ukrainisch Anweisungen. Sie sollen mit den Scheren an der richtigen Stelle die genähten Hemden zerschneiden. Ständig werden Stoffe hin und her gereicht oder durch den Raum getragen. Natalya Franz ist mittendrin. Die 46-Jährige ist Herz, Kopf und Organisatorin der Hilfe für Verwundete in der Ukraine in Sundern.
Als Russland im Februar 2022 seinen großangelegten Angriff auf die Ukraine startet, fühlt sich Natalya Franz machtlos. Zu diesem Zeitpunkt lebt sie bereits seit fast 20 Jahren in Deutschland. Mehr als 2000 Kilometer entfernt sieht sie auf Bildern und im Fernsehen, was der Krieg in ihrem Geburtsland anrichtet und wie die Menschen leiden. Wie viele Ukrainer und Ukrainer im Konflikt sterben oder verletzt werden, lässt sich kaum beziffern. Die Vereinten Nationen gehen von mindestens 11.700 getöteten und mehr als 23.000 verletzten Zivilisten aus. Da es sich hier nur um bestätigte Opfer handelt, dürfte die eigentliche Zahl wesentlich höher liegen. Auch verletzte und getötete Soldaten werden hier noch nicht mit gezählt.
Nähzimmer Sundern: Adaptive Kleidung für Kriegsopfer
Seit Juni setzt Natalya Franz ihrer Machtlosigkeit etwas entgegen. Einer der Freiwilligen hat sich gerade ein blaues, genähtes Hemden übergezogen. Es ist an den Seiten offen, damit es sich auch Menschen mit geschientem und gebrochenem Arm überziehen können. Natalya Franz prüft, ob sich die Seiten gut mit den eingenähten Klettverschlüssen schließen lassen. Dieses Hemd soll später einmal einer der vielen Verletzten in der Ukraine tragen.
Montags und freitags schneidern die Helfer und Helferinnen diese Hemden und Hosen mit speziellen Klettverschlüssen. Adaptive, also anpassungsfähige, Kleidung ist der Fachbegriff. Die Caritas hat dafür extra einige Nähmaschinen angeschafft. Inzwischen kommen fast zu jedem Termin neue Menschen, die mithelfen wollen. Neben Ukrainerinnen schneidern hier auch Frauen aus dem Iran oder Syrien. Herkunft und Sprache spielen für die Ehrenamtlichen keine Rolle. "Jeder, der hier arbeitet, will den Menschen, die leiden, sein Herz und seine Liebe geben und helfen", sagt Natalya Franz. Zur Not verständigen sie sich mit "Händen und Füßen". Wer nicht nähen kann, bügelt oder hilft beim Verpacken.
Bald noch mehr Kleidung aus Südwestfalen
Die Sundernerin Karin Mühlberger-Großmann zerreißt einen großen Wattehaufen in viele kleine Streifen. Mit ihren Händen stopft sie die Watte in kleine, vorgenähte Hüllen. Daraus sollen später kleine Kissen entstehen, auf denen gebrochene Arme oder amputierte Beine abgelegt werden können. Warum sie sich engagiert? "Das ist eine Gruppe, die zusammenhält. Sie leisten so viel Hilfe, das hat mich einfach begeistert und dann wollte ich auch selbst mithelfen."
Die Idee des Nähzimmers hat Natalya Franz aus der Ukraine übernommen. Dort gibt es auch viele solche Schneiderwerkstätten, aber der Bedarf an Kleidung für Verwundete kann dort bei Weitem nicht gedeckt werden. "Wir haben als Ehrenamtliche einen guten Kontakt zueinander und wissen, was genau vor Ort noch gebraucht wird", sagt Natalya Franz. Kleidung und Kissen werden in unregelmäßigen Abständen auf einen Lastwagen geladen und direkt in die Ukraine gebracht.
Gut möglich, dass bald mehr adaptive Kleidung aus Südwestfalen kommt, als je zuvor. Denn Natalya Franz will expandieren. In Olpe gibt es seit Ende August ein zweites Nähzimmer in Kooperation mit der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung. Auch in Siegen soll bald ein weiteres Nähzimmer entstehen. Dort hat Natalya Franz schon Kontakt zu Näherinnen, sucht aber noch passende Räumlichkeiten.
Über dieses Thema haben wir auch am 14.08.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Südwestfalen, 19.30 Uhr.