"Die Stimme bleibt": Krebskranke Mutter nimmt Hörbuch für ihren Sohn auf

Coesfeld | Ehrenamt

Stand: 28.12.2023, 10:42 Uhr

2019 bekommt Britta Tenberge aus Lüdinghausen die erschütternde Diagnose Brustkrebs. Seitdem weiß sie, dass sie jederzeit sterben könnte. Für ihren sechsjährigen Sohn will sie eine besondere Erinnerung hinterlassen: die eigene Geschichte als Hörbuch.

Von Stefan Weisemann (Text) und Karin Wejdling (Multimedia)

Konzentriert, mit einem leichten Lächeln im Gesicht und mit klarer Stimme beginnt Britta Tenberge zu erzählen: "Als Kinder hatten wir einen ganz tollen Sandkasten. Den hatte der Onkel aus Holz selbst gebaut. An das Spielen im Sandkasten erinnere ich mich nicht mehr so. Aber als er morsch wurde, haben wir die einzelnen Teile als Pferdehindernisse genutzt und sind darüber gesprungen, hopplahopp". Jetzt fängt Tenberge an zu lachen.

Die 44-Jährige sitzt zu Hause in ihrem Wohnzimmer. Vor ihr steht ein Mikrofon. So hat sie in den letzten Wochen ihr ganzes Leben Revue passieren lassen. Sie hat erzählt und erzählt. Von ihrer Kindheit, der Schulzeit, der ersten Liebe. Stundenlang, tagelang. Alles hat sie aufgenommen. Für ihren sechsjährigen Sohn Simon.

Wie Britta Tenberge das Hörbuch eingesprochen hat 00:41 Min. Verfügbar bis 28.12.2025

Für die Aufnahmen hat Tenberge ihr halbes Wohnzimmer umgebaut. Auf einem Wäscheständer hat sie Bettdecken gestapelt, rundherum Kissen aufgestellt. "Damit es nicht so schallt", erklärt sie.

Ein Hörbuch als bleibende Erinnerung

2019 wird bei Tenberge Brustkrebs diagnostiziert. Es folgen mehr als drei Monate im Krankenhaus mit Chemotherapie, Lähmungserscheinungen und Intensivstation. "Ich habe bei der Chemo alles eingesammelt, was ging", sagt Tenberge sarkastisch. Danach geht es zunächst wieder bergauf. Im Frühling 2023 dann der nächste Schock: Aus Tenberges Kopf müssen mehrere Tumore entfernt werden. Eine 14-stündige Operation. Wieder Chemotherapie.

Tenberge lässt sich davon nicht unterkriegen. Sie strahlt Mut und Lebensfreude aus. Und sie versucht, jeden Moment ihres Lebens aufzusaugen. "Am meisten freue ich mich immer, wenn mein Kind zu mir kommt, das zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht. Da sind nur wir zwei da, wir spielen, wir lesen, es gibt etwas Selbstgekochtes - das ist unsere Zeit, das ist meine liebste Zeit". Tenberge weiß allerdings, dass diese Zeit begrenzt ist. Und danach? Wie kann sie ihrem Sohn in Erinnerung bleiben? "Ich habe ein Buch angefangen, aber ich wusste nicht, ob ich das fertig bekomme", sagt sie. Eine Freundin erzählt ihr schließlich vom Verein "Familienhörbuch".

Der Verein "Familienhörbuch"

Der Verein unterstützt Menschen mit einer unheilbaren Krankheit und einer deshalb begrenzten Lebenszeit dabei, ihre Lebensgeschichte als Hörbuch aufzunehmen. Mit professionellem Equipment, Sound Designern und Audiografen, die mit den richtigen Fragen beim Erinnern helfen. Insgesamt wurden bisher mehr als 400 Hörbücher aufgenommen. Die Aufnahme ist für die Betroffenen grundsätzlich kostenlos. Der Verein finanziert die Hörbücher über Spenden. Er bittet deshalb Betroffene und ihre Familien darum, Spendenaktionen zu organisieren.

Die Kapazitäten des Vereins sind begrenzt. Tenberge hat Glück, dass sie schnell eine Zusage für ihr persönliches Lebens-Hörbuch bekommt.

Ein Leben in 50 Kapiteln

Für die Aufnahme ihrer Lebensgeschichte hat sie sich vorbereitet. Zusammen mit ihrer Schwester Kerstin hat sie sich regelmäßig auf das Sofa gesetzt und eine große Erinnerungskiste durchgewühlt. Voll mit Fotos und Erinnerungsstücken. "Es war eine Bereicherung, das alles nochmal durchzugehen. Von Anfang an bis zum Erwachsensein", sagt Tenberge. "Das hat gutgetan und man weiß dann auch nochmal, was man schon bis hierhin für ein schönes Leben hatte."

Schwelgen in Erinnerungen: die Schwestern Kerstin und Britta | Bildquelle: Karin Wejdling / WDR

Dank der vielen Erinnerungen ist sie am Ende im Hörbuch für ihren Sohn auf ganze 50 Kapitel gekommen, plus Vorwort und Nachwort. "Natürlich gibt es auch viele lustige Szenen. Das Ganze soll ja für Simon sein, es soll ein Geschenk sein und es soll schön sein. Es soll nicht hauptsächlich um meine Erkrankung gehen."

Warum ihr eigenes Hörbuch für Britta Tenberge so besonders ist 00:40 Min. Verfügbar bis 28.12.2025

Das Hörbuch ist für Tenberge auch eine Art digitales Dankeschön an ihren Sohn. Denn: "Eine Zeit lang habe ich gedacht: Ich schaffe es vielleicht nicht zu überleben. Da war mein Sohn derjenige, der mir insgeheim und unterbewusst Stärke gegeben hat."

Über dieses Thema haben wir auch am 20.11.2023 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Münsterland, 19.30 Uhr.