"Schüler für Schüler": Geflüchtete Kinder bekommen Nachhilfe von älteren Mitschülern

Rhein-Erft-Kreis | Füreinander

Stand: 14.01.2025, 12:41 Uhr

In Kerpen helfen Schüler geflüchteten Kindern ehrenamtlich beim Deutschlernen - ein preisgekröntes Projekt voller Engagement.

Von Stephan Pesch

Lisa Beiden sitzt mit Alex Hryrogiev an einem Tisch in der Bibliothek des Kerpener Europagymnasiums. Der zwölfjährige Alex macht gerade seine Hausaufgaben. Er soll auf dem Schul-Tablet einige Bilder beschreiben. Doch Alex, erst vor wenigen Monaten aus der Ukraine nach Deutschland geflohen, gerät immer wieder ins Stocken. "Ich kann schon gut auf Deutsch reden, aber ich habe große Probleme mit Artikeln und mit der Grammatik", sagt Alex ein wenig schüchtern. Die, der oder das Frosch? Fragend blickt er zu Lisa herüber. Die 16-Jährige ist eigentlich selbst noch Schülerin. Doch an diesem Nachmittag schlüpft sie in eine andere Rolle.

Für eine bessere Zukunft: Alex lernt mit Lisa Deutsch 00:37 Min. Verfügbar bis 13.01.2027

In dieser Stunde ist Lisa Nachhilfe-Lehrerin beim Projekt "Schüler für Schüler". Etwa 40 Schülerinnen und Schüler aus der Oberstufe des Gymnasiums helfen dabei ehrenamtlich Mitschülern bei den Hausaufgaben. Jeweils 45 Minuten dauert eine Unterrichtsstunde in der Woche. Seit Beginn des Projekts 2014 haben sich laut Schule fast 800 Schüler eingebracht und insgesamt mehr als 12.000 Stunden Deutschunterricht gegeben. Bei fast allen Schülern, die das Angebot nutzen, ist Deutsch nicht die Muttersprache.

Kerpen: Schüler helfen ehrenamtlich bei der Integration

Neben Alex und Lisa sind noch viele andere Lern-Tandems in die Bibliothek gekommen. An einem der Tische liegt eine große Uhr, mit deren Zeigern ein Schüler die Uhrzeiten lernt. Auf einem anderen Tisch werden Merkmale von Personen anhand von Karten sortiert. Der Raum ist von ständigem Gemurmel erfüllt. "Wenn jemand Fragen hat, erkläre ich ihm das noch mal. Dabei versuche ich, es ihm noch ein mal anders und vielleicht besser verständlich beizubringen", sagt Kerpenerin Lisa.

Schülerin Lisa erklärt, was genau ihre Aufgaben sind 00:18 Min. Verfügbar bis 13.01.2027

Laut einer Studie des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Universität Dortmund gaben 2023 fast 20 Prozent aller Viertklässler an, dass Deutsch nicht ihre Muttersprache sei. Der Bedarf an so einem Angebot ist also groß. Erst recht nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Im April 2024 besuchten nach Angaben des Landes rund 14.700 geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Ukraine öffentliche Schulen in NRW. Wie Alex arbeiten sich also tausende Kinder in NRW jeden Tag durch Unterricht und Hausaufgaben in einer für sie eigentlich fremden Sprache.

Betreut wird das 2021 mit dem Kerpener Heimatpreis ausgezeichnete Projekt "Schüler für Schüler" von Birgit Broich-Jansen und Lehrer Vissarion Chouliaras. Der 35-jährige Lehrer für Mathematik und Sozialwissenschaften erstellt den Stundenplan. "Denn das muss ja auch laufen", sagt Chouliaras, "die Schülerinnen und Schüler verpflichten sich, eine Stunde pro Woche auszuhelfen. Wir wollen damit Kinder unterstützen, die wirklich in Not sind und die in Deutsch oder anderen Fächern mehr lernen wollen."

Seit 10 Jahren "Schüler für Schüler"

Angefangen hat dabei alles mit einem Zufall, erzählt Birgit Broich-Jansen, die das Projekt von Beginn an ehrenamtlich betreut. Sie lernt 2014 drei Jugendliche kenne, die aus dem Irak geflohen sind. Sie erzählen ihr, dass sie unbedingt Deutsch lernen wollen. "Meine Kinder gehen ja auf das Kerpener Gymnasium. Da dachte ich: Vielleicht können die drei Jugendlichen da ja auch Deutsch lernen. Deshalb habe ich die Schulleitung angefragt." Die habe ihr geraten, in die Bibliothek der Schule zu gehen. Dort finde sie vielleicht Schüler, helfen würden. Es ist der Startschuss für "Schüler für Schüler".

Gemeinsam lernen mit Lernmaterial und Spielen | Bildquelle: WDR / Stephan Pesch

Dann schallt ein Gong durch die Bibliothek. Schluss für heute. Alex und Lisa packen alle Aufgaben wieder ein. Die zwei treffen sich aber schon bald wieder. Auch Lisa hofft, dass ihr Engagement auszahlen wird: "Am Ende des Halbjahres kriege ich ein Zertifikat, was mir vielleicht in Zukunft bei Jobs oder bei einem Stipendium helfen kann. Aber hauptsächlich macht es einfach Spaß, anderen Schülern etwas beizubringen und zu sehen, wie sie Fortschritte machen."

Über dieses Thema haben wir auch am 19.12.2024 im WDR Fernsehen berichet: Lokalzeit Köln, 19.30 Uhr.