Ruckeliger Start: Hauptwerkstadt Köln-Weidenpesch
Es ruckelt und rumpelt, dann kommt der 60 Jahre alte Straßenbahnwagen mit der schnörkellosen Bezeichnung 3764 wenige Meter vor der KVB-Hauptwerkstatt Weidenpesch zum Stehen, ehe die Fahrt überhaupt begonnen hat. Für einen kurzen Moment geht ein Raunen durch den Fahrgastraum, in dem ein Dutzend der insgesamt 150 Ehrenamtlichen des Vereins Historische Straßenbahn Köln Platz genommen hat.
Gemeinsam betreiben sie ein Museum in Thielenbruch, das insgesamt 20 Fahrzeuge unterschiedlichster Epochen der Kölner Straßenbahn, von der Pferdebahn über die erste elektrische Straßenbahn bis hin zu einem Kriegsstraßenbahnwagen, konserviert.
Keine Spielzeugeisenbahn
Ein Teil der Fahrzeuge ist sogar noch fahrtüchtig, so wie auch das jetzt in Weidenpesch zum Stehen kommende Exemplar der Reihe 3764, das bei Liebhabern Kultstatus hat. Über ein Jahr lang haben die Ehrenamtlichen sich der Reparatur verschrieben, nachdem der Triebwagen einen Motorbrand mit Getriebeschaden erlitten hatte. Nun soll der historische Wagen wieder an seinen angestammten Platz in Thielenbruch überführt werden, doch die Räder stehen still.
Zum Glück weiß Michael Mertner, Vorsitzender des Vereins und selbst ehemaliger Bahnfahrer, genau, was zu tun ist: Mit einem gekonnten Griff über die Schulter zurrt er ein Seil fest, das den Stromabnehmer der Bahn wieder richtig auf die Oberleitung legt und den Wagen mit Energie versorgt. "Das war früher alles noch Handarbeit", sagt er.
Der Abfahrt stünde nun nichts mehr im Wege, wäre da nicht noch ein Haltesignal. Mertner bekommt über Telefon die Anweisung abzuwarten. Die Leitstelle gibt zu verstehen, dass es zu einem Rettungseinsatz in der Innenstadt gekommen ist. „Schienenverkehr, das ist natürlich keine Märklin-Eisenbahn. Der folgt ganz strengen Regeln, die einzuhalten sind“, erklärt er die Umstände.
Nostalgie trifft auf Großstadtverkehr
Für einen kurzen Moment wird die Illusion der Zeitreise, die das historische Interieur des 3764 erzeugt, vom Alltagsstress des Großstadtverkehrs überschattet. Doch Mertner, der mit 61 Jahren beinahe dasselbe Baujahr besitzt wie sein Gefährt, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.
Die Verzögerung ist eine ideale Gelegenheit, an einer Tür zu schrauben, die nur widerspenstig schließen will. Er drückt Max, einem 21-jährigen Freiwilligen im Blaumann, einen Inbusschlüssel in die Hand und schickt ihn zum Bock am anderen Ende des Waggons.
Währenddessen steckt Mertner selbst eine Kurbel in ein Bedienelement oberhalb der Windschutzscheibe. Das Werkzeug rastet ein, Mertner kurbelt schwunghaft und setzt quietschend die Rollbandanzeige des Fahrzeugs in Bewegung.
Auf der Innenseite wandern kleine Ziffern über das Sichtfeld, außen an der Bahn wechselt die Anzeige der Endhaltestelle. Einer der Vereinsmitglieder bringt Mertner eine Liste, die den Code dechiffriert: 7 steht für den Neumarkt, 14 für Deutz, 25 für Mülheim, 31 für Marienburg, 33 für den Ebertplatz, 44 für Porz-Zündorf, 54 für den Barbarossaplatz und dazwischen taucht immer wieder eine Ziffer für Sonderfahrten auf.
Düsseldorfer Technik rot und weiß überschminkt
"Als ich ein kleiner Panz war, fuhr der 3764 auf der Kölner Linie 7", erinnert sich Mertner. 3764 ist die schnörkellose Bezeichnung des Fahrzeugtyps der Düsseldorfer Waggonfabrik (DüWag), die seit den 60er Jahren in großer Stückzahl das Bild der Kölner Straßenbahn prägte.
Ursprünglich cremefarben lackiert, erhielten die Achtachser aus der rivalisierten Nachbarstadt ab den 1980er-Jahren einen Anstrich in den Stadtfarben Rot und Weiß, so auch der Museumswagen.
Gerade diese Erinnerungen aus der Kindheit und Jugend sind es, die Mertner mit seinem Ehrenamt lebendig halten möchte. "Es gab damals ein Fahrzeug der Reihe, das kannte jeder Kölner - das war liebevoll handbemalt mit Werbung für das Phantasialand."
Gute Fahrt: Der Knüppelwagen überquert den Rhein
Als Mertner fertig ist mit Kurbeln, springt das Signal bimmelnd auf grün. Er setzt sich in den Führerstand und bewegt den ratternden Fahrschalter. Der ist so dick wie ein Knüppel, was dem Gefährt den Spitznamen Knüppelwagen eingebracht hat.
Fahren mit "Popometer"
Ein Hauch von Nostalgie liegt in der Luft, als der Achtachser geräuschvoll Fahrt aufnimmt. Doch das monotone Klappern, das etwas Angenehmes an sich hat, ist eine Anomalie, stellt Mertner fest. Eine Ehrenamtliche, die ebenfalls langjährige Bahnfahrerin ist, stimmt ihm zu. Die beiden vermuten eine Unwucht, die durch zu starkes Bremsen verursacht wurde. "Was ich jetzt mache, ist, dass ich dem Fahrzeug zuhöre. Das kann man bei den alten, manuell zu schaltenden Wagen nicht mathematisch ermitteln, sondern man muss das fühlen können. Das merkt man einfach mit seinem Hintern."
Die im wahrsten Sinne des Wortes Alteingesessenen nennen diese Messmethode "Popometer", fügt seine Kollegin kichernd hinzu, während der Knüppelwagen die Deutzer Brücke überquert. Am Ufer wird der Dom von der Sonne angestrahlt.
Historische Bahnen werden "defensiv" gefahren
Leider wird das malerische Bild von einer abrupten Bremsaktion mit lautstarkem Ringen der Klingel unterbrochen. Mertens hatte blitzschnell reagiert, ein Fahrradfahrer ist knapp vor der Bahn vorbeigeflitzt.
"Genau aus diesem Grund fahren wir mit den alten Fahrzeugen extrem defensiv. Das Rad hätte definitiv den Kürzeren gezogen. Hinzu kommt, wir fahren hier in einem Unikat. Das ist der einzig noch in Köln verbliebene achtachsige Straßenbahnwagen aus seiner Zeit."
Obwohl die Stadt Köln das Modell im Jahr 2003 final ausrangierte, fahren auch heute noch rund 60 Stück davon in der türkischen Stadt Konya und seit neuestem zusätzlich 20 Stück in Sarajevo. Auf der Gegenspur kommt eine Linie 3 entgegen, Mertens hebt die Hand: "Man grüßt sich, das sind quasi Leidensgenossen."
Abgestellt und ausgestellt: Endhaltestelle Historisches Straßenbahnmuseum Thielenbruch
Nach einer guten Stunde Fahrt erreicht der 3764 seinen Ziel- und Endhaltepunkt Köln-Thielenbruch und damit das Historische Straßenbahnmuseum von Mertner und den 150 Mitgliedern des Vereins. Bei der Einfahrt sprühen Funken aus der Oberleitung, als freute sich die alte Bahn, wieder nach Hause zu kommen.
Mit Herzblut und Leidenschaft bei der Sache
Die Freiwilligen steigen aus und machen sich trotz später Stunde umgehend an die Arbeit - die Scheibenwischer müssen ausgetauscht werden und Mertner möchte die Türen noch einmal überprüfen.
"Wir sind ein Verein mit Ehrenamtlern, das heißt, wir machen das alles mit Herzblut und viel Leidenschaft in unserer Freizeit", sagt er, während er mit einem Schraubenzieher im Stromkasten hantiert. "Das Aufgabengebiet ist sehr mannigfaltig, sehr technisch, aber eben auch sehr öffentlichkeitswirksam", fügt er hinzu.
Nicht nur gucken, sondern auch anfassen
Die Öffentlichkeitswirksamkeit wurde spürbar bei der Überfahrt; mehrere Dutzend Fahrgäste an den Haltestellen schauten neugierig und fotografierten den vorbeifahrenden Achtachser. Auch die zehn Öffnungstage des Vereins pro Jahr und weitere Events wie die Nacht der Museen, der Tag des offenen Denkmals oder sogar der Seniorentag, den die Ehrenamtlichen schon organisiert haben, werden rege besucht.
Doch Mertens möchte vor allem dafür sorgen, dass die Menschen mit den historischen Straßenbahnen auch fahren können. So will er ein Stück Stadtgeschichte erlebbar machen und lebendig halten.