
Gute Nacht, Düsseldorf: Ein Bus gegen die Kälte der Straße
Stand: 04.02.2025, 07:27 Uhr
Wenn in Düsseldorf die Nacht hereinbricht, wird der Gute-Nacht-Bus zum Rettungsanker für Menschen ohne festen Wohnsitz. Ehrenamtliche schenken den Menschen nicht nur Essen und warme Kleidung - sondern vor allem Respekt. Warum sie sich engagieren und wie das Projekt funktioniert.
Von Erik Acker
Der Bus, der immer kommt
Es ist 22 Uhr, der Schnee hat die Straßen von Düsseldorf in eine nasse Kälte gehüllt. Von einem schwarzen Klapptisch holt Dirk Herbst eine lila-schwarze Skijacke hervor. Nicht das neueste Modell, aber sauber. Herbst hält die Jacke am Kragen hoch und präsentiert sie einem mittelgroßen Mann mit langem, grauem Bart, kleinkarierter Schiebermütze und durchnässter blauer Jacke: "Guck mal hier: Winterfest, wasserdicht, Modell Aspen." Dann öffnet er die Jacke. "Wolltste mal rein?" Der Mann zieht seine Jacke aus, zögert kurz und schlüpft dann in das "Modell Aspen". "Danke. Vielen Dank", sagt er, nickt Herbst zu und verschwindet in den Gassen der Düsseldorfer Altstadt.
Währenddessen stehen Markus Rübsam und seine Frau Dunja ein paar Meter weiter an dem weißen Sprinter und holen routiniert Kisten und Taschen aus dem Kofferraum: belegte Brötchen, frisches Obst und vor allem dicke Winterkleidung. "Wir haben alles dabei, was man bei dieser Kälte braucht", sagt die 54-Jährige und zieht ihre Mütze fester über die Ohren. Seit zehn Jahren fährt das Ehepaar mit dem Bus durch die Stadt, um Menschen zu helfen, denen sonst kaum jemand hilft. Davon gebe es immer mehr, sei ihr Eindruck.
Dunja Rübsam erzählt, wie sich die Situation auf der Straße in den letzten Jahren verändert hat
00:16 Min.. Verfügbar bis 04.02.2027.
Wohnungslosigkeit ist ein allgegenwärtiges Problem. Nicht nur in Düsseldorf, sondern in ganz NRW und darüber hinaus. Schätzungen des Statistischen Landesamtes zufolge sind landesweit mehr als 100.000 Menschen ohne festen Wohnsitz. Doch die Zahlen spiegeln oft nicht die Realität wider: Nicht jeder Wohnungslose lebt auf der Straße, manche kommen immer wieder bei Freunden oder der Familie unter. Und nicht alle, die auf der Straße leben, melden sich bei den offiziellen Stellen. Bei einer Nachtzählung in Düsseldorf im Herbst 2023 zählten Helfer rund 700 Menschen, die die Nacht auf der Straße verbrachten. Die Ehrenamtlichen des Gute-Nacht-Busses sind ein wichtiger Bestandteil der Hilfe für diese Menschen.
"Egal, wie das Wetter ist - der Bus kommt immer. Darauf kann ich mich verlassen", sagt Martin Kraul. Eigentlich heißt der Mann, der seit vier Jahren auf der Straße lebt, anders. Doch seinen echten Namen will er lieber nicht nennen. Heute trägt er eine dünne Jacke, die nicht gegen die Kälte ankommt. Er wartet, bis ihm einer der Ehrenamtlichen aus dem Gute-Nacht-Bus eine warme Jacke reicht. "Danke, das hilft mir sehr", murmelt er, während er die neue Jacke prüfend anzieht. Neben neuer Kleidung nimmt er sich heute auch ein belegtes Brötchen. "Die Ehrenamtlichen hier hören mir zu. Das ist nicht selbstverständlich." Kraul sagt, dass ihm diese Momente ein Stück seiner Würde zurückgeben.
Eiskalte Straßen, warme Herzen
Sechs bis acht Ehrenamtliche sind es an diesem Abend, die mit dem Gute-Nacht-Bus durch die Kälte fahren. Sie sind eine eingespielte Truppe. Rund 100 Helferinnen und Helfer engagieren sich insgesamt für das Projekt, das seit 2011 von Montag bis Freitag unterwegs ist. "Jeder von uns weiß genau, was zu tun ist", erklärt Dunja Rübsam, während sie Socken und Mützen aus einem blauen Plastiksack holt. Der Bus hält an festen Stellen in der Stadt. Um 22 Uhr starten sie am Theater Kommödchen in der Altstadt.
Wie sieht ein Abend mit dem Gute-Nacht-Bus aus?
00:49 Min.. Verfügbar bis 04.02.2027.
Etwa 25 Menschen stehen an diesem Abend in der Kälte, dicht aneinandergedrängt. Etwas weniger als sonst. Die eisigen Temperaturen und der Schnee haben viele wohl dazu gezwungen, sich in ein trockenes Versteck zurückzuziehen. Ein Ort, den sie jetzt nicht mehr verlassen wollen.
Manchmal kann der Gute-Nacht-Bus an solchen Abenden auch noch Menschen in eine Notschlafstelle der Franzfreunde vermitteln. Die Franzfreunde sind eine der zentralen und von der Stadt finanzierten Anlaufstellen für Obdachlose in Düsseldorf mit mehreren Notschlafstellen und Streetworkern. Noch könne theoretisch jeder in Düsseldorf einen Schlafplatz finden, sagen sie. Doch auch sie bemerken einen Anstieg bei der Zahl der Wohnungslosen in der Stadt.
- Ein weiteres Angebot in Düsseldorf: Erste mobile Dusche für Obdachlose in NRW
An diesem Abend begleitet den Gute-Nacht-Bus außerdem ein zweiter Bus für Frauen, der jeden zweiten und letzten Mittwoch im Monat mitfährt. In ihm erhalten Frauen nicht nur Hygieneartikel und Unterwäsche, sondern auch einen geschützten Raum, fernab von den Blicken der Männer. "Es ist wichtig, dass Frauen hier nicht in der Masse untergehen und sich sicher fühlen können", sagt eine der Helferinnen.
Zwischen Luxusviertel und Notschlafstelle
Nach einer Stunde packen Dunja Rübsam und die anderen Ehrenamtlichen wieder ein. Gleich geht es zur nächsten Station. Rübsam kennt jeden Handgriff auswendig. Seit zehn Jahren hilft sie im Gute-Nacht-Bus aus. Damals hatte sie einen Fernseh-Bericht über die Obdachlosenhilfe gesehen und wollte selbst mit anpacken. Ein Gegensatz zu ihrer Büroarbeit bei der Bank, der ihr bis heute Freude macht.
Dunja Rübsam über das Gefühl, helfen zu können
00:19 Min.. Verfügbar bis 04.02.2027.
Auf dem Weg zum nächsten Halt fährt der Bus vorbei an den teuren Geschäften der Königsallee. Hier, im Herzen der Stadt, trifft Luxus auf Notschlafstelle. Für Gute-Nacht-Bus-Ehrenamtlerin Rukiye Demir ist genau das der richtige Ort zum Helfen. "Ich wollte immer an den Orten helfen, wo sich die Unterschiede zwischen Arm und Reich deutlich zeigen. In Düsseldorf gibt es viele solcher Stellen."
Das Team hat inzwischen aufgebaut. Die 28-Jährige steht hinter einem Tisch, der neben dem Bus steht. "Möchtest du noch Bananenbrot dazu?", fragt sie einen Mann mit einer Plastiktüte mit Obst und Snacks und einem Schälchen Nudelsalat in der Hand. Er reagiert nicht. Demir wartet die Antwort nicht ab und steckt ihm ein verpacktes Stück Bananenbrot in die Tüte. "Früher habe ich Klamotten verteilt, jetzt kümmere ich mich ums Essen. Das macht mir noch mehr Spaß", sagt sie.

Rukiye Demir packt Lebensmitteltüten für den Gute-Nacht-Bus
Die Kleidung hat stattdessen Dirk Herbst übernommen. Passenderweise arbeitete der 61-Jährige früher in einem Bekleidungsgeschäft. Heute nutzt er seine Erfahrung, um den Menschen passende Kleidung anzubieten. "Ich kann die Größen gut einschätzen", sagt er mit einem Lächeln und zeigt auf eine warme Hose. "Ich freue mich, wenn ich den Leuten etwas geben kann, das sie wirklich brauchen."

Bestens qualifiziert: Dirk Herbst hat früher in einem Bekleidungsgeschäft gearbeitet und gibt nun Kleidung aus
Die Arbeit im Team erfordert Vertrauen und Engagement, vor allem bei kaltem und ungemütlichem Wetter. "Es ist nicht immer einfach, und der nächste Tag ist oft anstrengend", sagt Herbst. "Aber es lohnt sich. Der Kontakt zu den Menschen, die Gespräche und das Wissen, dass ich helfen konnte - das Gefühl beflügelt mich." Dieses gute Gefühl, sagt Herbst, trägt ihn über die nächsten Tage. Bis die nächste Tour wieder ansteht.