
Ausbildung bei "FilmCult": Bochumer gibt Menschen mit Behinderung eine Chance
Stand: 23.04.2025, 16:26 Uhr
Im Bochumer Film- und Spieleladen "FilmCult" arbeiten ausschließlich Auszubildende und Angestellte mit einer Beeinträchtigung. Warum Inhaber Dominik Spitzner benachteiligten Bewerbern eine Chance gibt und dabei Vorbild für andere Arbeitgeber sein will.
Von Solveig Bader
Mohamed El Bekkali bereitet Filme für den Versand vor. Der 25-Jährige sucht in der Kommode nach einem passenden Umschlag, dreht und wendet ihn unschlüssig hin und her. "Auf welche Seite gehört nochmal der Aufkleber des Empfängers?" überlegt er laut. Sein Chef Dominik Spitzner ist sofort bei ihm und erklärt ihm geduldig, wie er die Ware richtig verpacken und beschriften muss. El Bekkali ist Auszubildender zum Kaufmann in E-Commerce im dritten Lehrjahr, doch auch eigentlich bekannte Arbeitsabläufe muss Spitzner ihm immer wieder aufs Neue zeigen.
Dominik Spitzner über seine Beweggründe
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El Bekkali bekam vor vier Jahren die Diagnose "atypischer Autismus". Ein Teil der Entwicklungsstörung kann laut Bundesgesundheitsministerium sein, dass Betroffene nur sehr schwer mit neuen Situationen zurechtkommen. Auf den ersten Blick wirkt El Bekkali sehr aufgeschlossen. "Das kann sich aber schnell ändern", sagt er selbst, "wenn ich mit vielen Menschen in einem Raum bin, werde ich plötzlich ganz schüchtern." Sein Chef findet das aber in Ordnung und hat sich darauf eingestellt.
Fehlende Chancengleichheit
Der 38-jährige Spitzner beschäftigt fünf junge Mitarbeiter, darunter drei Auszubildende. Alle haben einen Behinderungsgrad von mindestens 50 Prozent und gelten damit als schwerbehindert. Im Filmladen arbeiten sie zwischen 32 und 40 Stunden pro Woche. Spitzner gibt ihnen eine Chance - und ist damit eher die Ausnahme.
- Sebastian wollte nicht in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung arbeiten: Wie er zu seinem Traumjob fand, liest du hier.
Laut Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW haben junge Menschen mit Beeinträchtigung geringere Aussichten auf einen Ausbildungsplatz. 2022 waren in Deutschland 7975 Menschen mit einer schweren Behinderung in einer Ausbildung. Das hat eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbunds ergeben. Seit 2009 habe sich damit der Anteil schwerbehinderter Azubis zwar von 0,4 auf 0,7 Prozent erhöht. Allerdings sei in den letzten Jahren die Zahl der Auszubildenden insgesamt gesunken.
Fachlagerist und Horror-Experte
Connor Klein arbeitet seit zwei Jahren fest bei "FilmCult". Früher war der 20-Jährige mit dem rosa gefärbten Pferdeschwanz und Piercings in der Unterlippe hier Kunde. Als begeisterter Horrorfan und ausgebildeter Fachlagerist hat er Spitzner einfach gefragt, ob er im Laden arbeiten darf. Und er bekam den Zuschlag. Kleins Stärke liegt in der Kundenberatung, denn wegen seiner Erkrankung darf er nicht so schwer tragen. Er leidet an einer seltenen angeborenen Knochenkrankheit, ist kleinwüchsig und Autist. Darüber redet der 20-Jährige ganz offen.
Connor Klein über seine Krankheit und die Folgen für die Arbeitssuche
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Gerade ist er dabei, ein Regal zu einer Horrorabteilung umzubauen. Totenköpfe und gruselige Figuren stellt er so in Szene, dass sie Kunden sofort ins Auge fallen. Neben Horror gibt es im Laden noch Artikel in zahlreichen anderen Genres.
Erst Sammelleidenschaft, dann eigener Laden
120.000 Filme und 500 Spiele und unzählige Figuren lagern in den Regalen im Bochumer "FilmCult". Ein Paradies für Film- und Spielefans und Sammler. Kunden aus der ganzen Welt ordern hier gebrauchte und neue CDs, DVDs oder Blu-ray Discs. Geschäftsführer Spitzner war selber als Jugendlicher leidenschaftlicher Sammler. Vor 15 Jahren hat er sich mit dem Laden selbstständig gemacht. Seit zwei Jahren stellt er ausschließlich Menschen mit Beeinträchtigungen ein. Seine Azubis bekommen die entsprechende Ausbildungsvergütung, die anderen haben einen Festvertrag.
Wohlfühlklima am Arbeitsplatz
Das familiäre Klima ist entscheidend für alle, um sich hier wohlzufühlen. Und ein verständnisvoller Chef, der für alle ein offenes Ohr hat.
Darum arbeiten alle gerne im FilmCult
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Für die Eingliederung und Förderung seiner jungen Mitarbeiter bekommt Spitzner von der Agentur für Arbeit einen kleinen Lohnzuschuss - bis zu sechs Monate. Er bekomme auch sehr viel Wertschätzung zurück, sagt Spitzner. "Sie freuen sich jeden Tag, zur Arbeit zu kommen. Ich habe kaum Krankmeldungen". Es ist ein Team, in dem nicht nur Leistung zählt, sondern jeder einzelne so angenommen wird, wie er ist.
Über dieses Thema haben am 17.03.2025 auch im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Ruhr, 19.30 Uhr.