
Die Bärenfamilie in Essen: Ein Zuhause für schwer kranke Kinder
Stand: 11.04.2025, 07:16 Uhr
In der Bärenfamilie in Essen werden schwer kranke Kinder und Jugendliche intensivgepflegt und betreut. Die Hälfte der Kinder muss beatmet werden. Trotz ihres Schicksals erleben die kleinen Patienten in familiärer Atmosphäre auch Freude und Lebensqualität.
Von Solveig Bader
Nils zieht an den bunten Ringen, die über seinem Bett baumeln. In der anderen Hand umklammert er eine Rassel aus Stoff. Seine Mutter ist zu Besuch gekommen. Er fängt an zu strahlen und laut zu gurgeln, als sich Yvonne Hasselmann über ihn beugt und ihm einen zärtlichen Kuss auf die Wange gibt. Nils ist 12 Jahre alt und wegen einer Entwicklungsstörung körperlich und geistig behindert. Seit zwei Jahren lebt er in der Bärenfamilie, eine außerklinische Intensivpflege-Einrichtung für Kinder und Jugendliche in Essen.
Bärenfamilie in Essen: Entlastung für Eltern schwer kranker Kinder
"Wir haben Glück im Unglück gehabt. Nils ist ein ganz zufriedenes Kerlchen. Er weint nie, nur wenn er wirklich Schmerzen hat. Er ist immer fröhlich und gut gelaunt", sagt Hasselmann und lächelt ihren Sohn liebevoll an. Und doch ging es zuhause irgendwann nicht mehr - die Pflege war für die Familie eine zu große Belastung geworden. Auch die Angst, Nils könnte die nächste seiner zahlreichen Lungenentzündungen nicht überleben, bedrückte die Familie. Wenn der Junge schläft, ist er an ein Beatmungsgerät angeschlossen, da die Muskeln erschlaffen und seine Luftröhre abknicken könnte.
Nils hat noch eine Zwillingsschwester. Sie sind zehn Wochen zu früh auf die Welt gekommen. Anna ist kerngesund und geht auf ein Gymnasium. Auch sie litt unter der belastenden Situation, musste ständig zurückstecken. Spontane Ausflüge waren nicht möglich, weil ihre Eltern sich um Nils kümmern mussten. Den behinderten Sohn in eine Pflegeeinrichtung zu geben, fiel der Familie schwer. Doch so sei es eine große Entlastung, sagt Hasselmann. Dreimal die Woche besucht sie Nils.
Die Bärenfamilie ist eine große Entlastung für Nils' Eltern
00:21 Min.. Verfügbar bis 11.04.2027.
Die Bärenfamilie ist ein umgebautes Hotel im Essener Stadtteil Rüttenscheid. Hier sind 17 Kinder und Jugendliche bis zu ihrem 18. Lebensjahr stationär untergebracht. Darunter Frühchen mit Entwicklungsstörungen, Kinder mit Lungenproblemen, die Beatmungsunterstützung brauchen, auch kleine Patienten mit Gendefekten. Jeder hat ein eigenes Zimmer, das von den Eltern mitgestaltet wird - mit persönlichen Spielsachen, Bildern und Fotos an den Wänden.
Teil einer Familie sein
Ein 55-köpfiges Team aus Pflegefachkräften, Palliativpflegern, Therapeuten und Pädagogen versucht, den Kindern ganzheitlich gerecht zu werden. "Es gibt zahlreiche Angebote und Therapien, die auf die Kinder individuell zugeschnitten sind", sagt Einrichtungsleiterin Sara Kneifel. Auch die Eltern werden mit eingebunden.
Sara Kneifel über den Alltag in der Bärenfamilie
00:17 Min.. Verfügbar bis 11.04.2027.
Trotz Pflegebedürftigkeit sollen sich die Kinder und Jugendlichen im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu selbstständigen Menschen und starken Persönlichkeiten entwickeln können. "Und sie sollen Teil einer Familie sein, die ihnen Schutz und Geborgenheit gibt", sagt Kneifel. Die Kosten werden von den Kranken- und Pflegekassen komplett übernommen.
Zwischen fröhlichen und traurigen Tagen
Die zweijährige Zeynep lebt seit ihrer Geburt in der Intensivpflege-Einrichtung. Das kleine Mädchen mit Hörgeräten und Brille hat einen seltenen Gendefekt, atmet durch eine Trachealkanüle am Hals und muss rund um die Uhr bewacht werden. Am liebsten liegt sie im Snoezelraum auf einer Matratze. Ein dunkler Raum mit Sternenhimmel und sanfter Musik. Zeynep lässt die Schnur eines Lichterkettenbündels durch ihre winzigen Finger gleiten und schaut gebannt auf das Licht. Ein Moment der Stille, der ihr guttut. Pflegefachkraft Rym Brici ist die ganze Zeit bei ihr.
Rym Brici erklärt, warum der Snoezelraum den Kindern so guttut
00:26 Min.. Verfügbar bis 11.04.2027.
Zuwendung und Wärme, das macht das Leben in der Bärenfamilie aus. Aber auch traurige Tage gehören dazu. Wenn es zum Beispiel einen Notfall gibt und der Rettungswagen gerufen werden muss, um ein Kind in eine Klinik zu bringen. Oder wenn ein Kind stirbt und es bei einer Trauerfeier verabschiedet wird. "Doch die fröhlichen Tage überwiegen hier", sagt Leiterin Kneifel. "Viele Kinder kennen kein anderes Leben und empfinden es ganz anders, als es von Außenstehenden wahrgenommen wird."

Mithilfe eines roten Knopfes kann Nils selbst das Radio anschalten
Zurück zu Nils: Der 12-Jährige hat sich in der Bärenfamilie gut eingelebt. Es ist sein zweites Zuhause geworden. Besonders gerne hört er Musik. Um seine Sinne und Selbständigkeit zu fördern, zeigte ihm das Pflegeteam, wie er mit einer großen roten Taste selbstständig das Radio einschalten kann. Mit einem Lächeln im Gesicht zeigt er seiner Mutter, wie gut das schon klappt. Ein kleines Erfolgserlebnis, das für Nils ganz groß ist.
Über dieses Thema haben wir auch am 24.03.2025 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Essen, 19:30 Uhr.