Es sieht aus, wie ein ganz normaler Spaziergang. Seite an Seite laufen Rita Erken und Bernhard Fröhlig durch einen Aachener Park. Ab und zu bleiben sie kurz stehen, schauen auf den Teich, unterhalten sich, lachen. Fröhlig ist 76 Jahre alt, Erken ist 72. Doch dieser Spaziergang hat einen tieferen Sinn, als sich die Beine zu vertreten. Er ist die Einlösung eines Versprechens, das sich Erken, Fröhlig und die anderen Mitglieder bei den Öcher Frönnde gegeben haben: Wir halten zusammen, egal in welchem Alter.
Immer mehr Menschen fühlen sich im Alter einsam. Knapp 14 Prozent sind es im Alter von 46 bis 90 Jahren laut Deutschem Alterssurvey 2020. 2017 waren es nur rund neun Prozent. Damit bei ihnen niemand allein und hilflos bleiben muss, hat sich vor 20 Jahren der Aachener Verein Öcher Frönnde gegründet. Entstanden ist er aus einer Nachbarschaftshilfe. Die inzwischen rund 100 Vereinsmitglieder helfen sich gegenseitig. Auf eine besondere Art, wie die Vorsitzende und Mitgründerin Monika Lang erklärt.
Einsamkeit im Alter: So helfen sich die Öcher Frönnde
Jede Stunde ehrenamtliche Hilfe wird bezahlt. In Punkten und Stunden. Die Bank, die dieses Konto verwaltet, ist der Verein. Die Öcher Frönnde können ihre Punkte unter anderem für Botengänge, Gartenarbeiten, Näharbeiten, Einkäufe, Kinderbetreuung, Gespräche oder wie bei Fröhlig für Spaziergänge nutzen.
Älteren Menschen fällt es laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend häufig schwerer, aus der Einsamkeit herauszukommen und sie sind stärker auf Hilfe von außen angewiesen. Bei Über-80-Jährigen ist das Risiko sozialer Isolation besonders hoch, wenn zum Beispiel Freunde und Lebenspartner versterben und ihr soziales Netzwerk immer kleiner wird. Für sie ist es besonders mühsam, ohne Unterstützung wieder Kontakte zu knüpfen.
"Mir geht es um die Geselligkeit"
"Wir leben ja in Zeiten der Isolation und Einsamkeit", sagt Erken, während sie mit Fröhlig auf den Teich im Aachener Park blickt. "Gerade im Winter und an Sonntagen wünschen sich viele Menschen Kontakte und Begegnungsmöglichkeiten." Jedes Mal, wenn sie mit Fröhlig spazieren geht, sammelt sie Punkte auf ihrem Zeitkonto. 740 Punkte hat Erken gesammelt, umgerechnet 370 Stunden ehrenamtliche Hilfe. Ihr gehe es aber nicht um die Stunden, "mir geht es um die Geselligkeit".
Eine, die neben Fröhlig von dieser Geselligkeit profitiert, ist seine Ehefrau Brigitte Muhl. Sie hilft in der Verwaltung der Öcher Frönnde, natürlich ehrenamtlich. Die gemeinsamen Ausflüge von Erken und ihrem Mann entlasten die 77-Jährige.
Nach jedem Nachmittag mit Erken käme ihr Mann glücklich nach Hause, sagt Muhl. In ihrem Büro bei den Öcher Frönnde hängen große Bilderrahmen mit Zeitungsausschnitten und alten Fotos an der Wand. In einem ist ein Warnschild, auf dem "Elderly people" steht, auf Deutsch: "Ältere Menschen". Darunter steht ein graues Sofa. Wer sich einsam fühlt, kann jederzeit ins Vereinsbüro kommen. Die Mitglieder kochen zudem regelmäßig zusammen, oder unternehmen gemeinsame Spaziergänge.
Was passiert, wenn das Konto leer ist?
Fröhlig hat viele Jahre ehrenamtlich bei den Öcher Frönnden mitgearbeitet und schöpft nun von seinem Zeitkonto. 65 Stunden Guthaben sind ihm geblieben. Das könnte knapp werden. Wenn sein Konto leer ist, will ihm seine Frau Stunden schenken, die sie durch ehrenamtliche Hilfe im Verein gesammelt hat. Innerhalb der Familie können die Stunden getauscht werden. Wer keine Zeit mehr zum Eintauschen hat, kann sich eine Stunde für eine Verwaltungsgebühr von 2 Euro kaufen.
Erken und Fröhlig sind inzwischen weitergegangen und sitzen in einem Café. Zwischen dunklen Holzmöbeln unterhalten sie sich bei einer Tasse Kaffee. Wenn sie später Hilfe brauche, sagt Erken, wünsche sie sich genau das: Jemanden für lange Spaziergänge, mit dem sie plaudern und lachen kann. Noch hat die 72-Jährige ihr prall gefülltes Zeitkonto allerdings nicht angezapft.
Über dieses Thema haben wir auch am 26.01.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Aachen, 19.30 Uhr.