In der Freizeit unterwegs als Richter in Bonn

Bonn | Füreinander

Stand: 08.03.2023, 11:19 Uhr

Seit fast fünf Jahren ist Dominik Pinsdorf vereidigter Jugendschöffe am Amtsgericht Bonn. Seitdem arbeitet er ehrenamtlich "im Namen des Volkes" an Urteilen mit. Von seinen Erfahrungen erzählt er hier.

Von Barbara Hölscher (Text) und Nadja Heckelsberg (Multimedia)

Dominik Pinsdorf hat sich schon früh engagiert: Erst im Bornheimer Kinder- und Jugendparlament und dann im Stadtjugendring. Als der 29-Jährige entdeckte, dass Schöffen in Bonn gesucht werden, bewarb er sich auf das Ehrenamt in der Jugendstrafkammer. In seinem beruflichen Leben ist Pinsdorf gelernter Eisenbahner und arbeitet als Teamleiter bei einem privaten Eisenbahnunternehmen. Und er ist ehrenamtlicher Ortsvorsteher von Bornheim-Ort. Seit 2019 unterstützt Pinsdorf parallel ehrenamtlich die Richter am Amtsgericht Bonn als Jugendschöffe bei der Urteilsfindung. Die wichtigsten Infos über den Prozess bekommt er seitdem immer erst kurz vor dem Verhandlungstermin. Aber wie ist das Leben als Richter?

Wie geht es Dominik Pinsdorf vor einem Gerichtstermin? 00:20 Min. Verfügbar bis 14.04.2025

Lokalzeit: Was bringen Sie als Jugendschöffe für einen Prozess mit?

Dominik Pinsdorf: Wir Schöffen lassen die Sichtweise der Gesellschaft mit einfließen, damit die Urteilssprüche auch wirklich "im Namen des Volkes" sind. Es ist also ein Ehrenamt, vor dem man auch großen Respekt haben muss, weil man wirklich etwas entscheidet. Für jemanden wie mich, der 1993 in Magdeburg geboren ist und dessen Eltern das erste Mal 1990 frei wählen durften, ist das auch eine Bürgerpflicht. Also ein Beitrag, der die Gesellschaft mit zusammenhält.

Lokalzeit: Was hat Sie bei ihrer Arbeit überrascht ?

Pinsdorf: Mich hat überrascht, dass wir als Schöffen so stark einbezogen werden. Ich dachte, dass Schöffen nur Beiwerk sind, aber dieser Gedanke hat sich nicht bestätigt. Und ich war überrascht davon, was für ein langer Weg es ist, bis jemand angeklagt wird. Dafür wird vorher sehr viel und und sehr fair abgewogen – auch, wenn das in der Gesellschaft nicht immer so rüberkommt.

Was macht ein Schöffe?

Schöffen sind ehrenamtliche Richter, die gleichberechtigt mit den Berufsrichtern an Prozessen teilnehmen. Die Ehrenamtlichen haben gleiches Stimmrecht, können Fragen stellen während der Verhandlung und sollen sich zu jeder Entscheidung eine Meinung bilden. Sie dürfen sich bei der Urteilsfindung nicht der Stimme enthalten. Das heißt, dass sie die gleiche Verantwortung für Urteile tragen wie die bezahlten Richter. Reden dürfen sie nicht über die Fälle. Schöffen nehmen an mindestens zwölf Verhandlungstagen im Jahr teil. Ihnen wird eine Aufwandentschädigung und der Verdienstausfall bezahlt. Ihr Arbeitgeber muss sie dafür freistellen.

Lokalzeit: Was ist Ihnen wichtig im Gerichtssaal?

Pinsdorf: Bis zum Ende des Verfahrens ist mir vor allem wichtig, dass man alle Möglichkeiten bedacht und den Zeugen die richtigen Fragen gestellt hat. Und auch nochmal Folgetermine macht, wenn das nicht so ist. Dann dauert es eben etwas länger. Ich muss mir ja nur vorstellen, ich würde selbst dort sitzen. Mein Anspruch an mich selbst ist es, da sehr genau zu sein. Ich habe gelernt, dass unser Rechtsstaat funktioniert und die Unschuldsvermutung bis zum Urteil gelebt wird. Kein Urteil wird ausgewürfelt, sondern jemand wird verurteilt, weil es eine Beweislage gibt. Ich finde sehr gut, dass in unserem Rechtsstaat viel dafür getan werden muss, bevor man jemanden mit Freiheitsentzug verurteilen darf.

Lokalzeit: Was hat das Ehrenamt in Ihnen bewegt?

Pinsdorf: Mein Menschenbild hat sich verändert, nicht etwa negativ oder positiv, sondern ich nehme Menschen jetzt anders wahr. Ich kann sie besser lesen. Ich habe gut 120 Zeugen in den vergangenen fünf Jahren als Schöffe gesehen. So habe ich inzwischen ein Gespür dafür, ob jemand lügt oder nicht.

Wie schaltet Dominik Pinsdorf nach einem Prozess ab? 00:21 Min. Verfügbar bis 14.04.2025

Lokalzeit: Gibt es bestimmte Zeugensituationen, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Pinsdorf: Ich habe zum Beispiel Fälle erlebt, bei denen sich herausgestellt hat, dass nicht der Angeklagte der Täter war, sondern jemand aus dem Zeugenstand. Bewegt hat mich auch, wenn ein junger Angeklagter oder eine junge Angeklagte bei der Urteilsverkündung emotional wurde. Nicht weil er oder sie traurig war, sondern weil er oder sie jetzt endlich den Knall gehört hat, und die Tragweite der Tat wirklich angekommen ist. Damit haben wir einen Erziehungseffekt ausgelöst. Den jungen Menschen werden wir vor Gericht nie wieder sehen, das spürt man einfach, wenn das angekommen ist. Diese Momente sind schön, wenn man als Jugendschöffe merkt, dass die Menschen, die vor einem stehen, etwas mitnehmen.

Über dieses Thema haben wir auch im WDR-Fernsehen berichtet am 17.02.2023: Lokalzeit aus Bonn, 19:30 Uhr.