Ein Mann und eine Frau sitzen am Tresen einer Kneipe.

Frühschoppen in der Demenzkneipe: Wenn jeder Besuch der erste sein könnte

Duisburg | Füreinander

Stand: 30.04.2025, 12:39 Uhr

Im Malteserstift St. Nikolaus in Duisburg gibt es ein besonderes Angebot für die Bewohner der Demenzstation: eine Kneipe im Stil der 60er-Jahre. Hier wird gesungen, getanzt, aber auch mal ein Bierchen oder Eierlikör getrunken. Was das mit Erinnerungsarbeit zu tun hat.

Von Christian Richter

Es ist 10 Uhr am Morgen. Pünktlich öffnet das "Rheintörchen" an diesem Mittwoch. Der Raum sonnengelb gestrichen, alte Fotos, Zeitungsausschnitte und MSV-Fanartikel hängen an den Wänden. Die soeben eingeschaltete Schlagermusik lockt schnell die ersten Gäste in die Kneipe. Es herrscht ausgelassene Stimmung. Auf den ersten Blick ein typischer Frühschoppen in einer Eckkneipe im Ruhrgebiet. Doch diese etwa 20 Quadratmeter kleine Kneipe in Duisburg-Ruhrort ist keine gewöhnliche, sie ist auf der Demenzstation der Malteser-Pflegeeinrichtung.

Duisburg: Eine Kneipe für Menschen mit Demenz

Der gesamte Wohnbereich und die Kneipe sind speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz ausgelegt. Möbel und Dekoration sind deshalb im Stil der 50er- und 60er-Jahre gehalten. Das ist genau die Zeit, in der die Bewohner jung waren. Bei dem Pflegekonzept stehen die Biografien der Bewohner im Mittelpunkt. Es sollen vertraute Erinnerungen geweckt und damit das Wohlbefinden gesteigert werden. Bei Eröffnung der Kneipe im Jahr 2020 war ein solches Angebot in Duisburg einzigartig, möglicherweise sogar in ganz Deutschland, schätzt Hausleiterin Heike Petzold.

Heike Petzold erklärt die Einrichtung der Demenzkneipe

00:38 Min. Verfügbar bis 30.04.2027

In Deutschland leben rund 1,8 Millionen Menschen mit Demenz. Das zeigen Zahlen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft aus dem Jahr 2023. In NRW alleine sind es rund 360.000. Tendenz steigend, weil die Menschen immer älter werden. Es wird geschätzt, dass im Jahr 2050 bis zu 2,7 Millionen Menschen über 65 Jahre erkrankt sein könnten. Hier zeigen wir Tipps, wie der Alltag für Demenzerkrankte und ihre Angehörigen erleichtert werden kann.

Erinnerungsarbeit gegen das Vergessen

Pflegehelferin und Frohnatur Tina Baumgart ist heute nicht nur Kneipenwirtin, sondern auch Animateurin. Die 58-Jährige hält Pläuschken mit den Menschen, legt alte Gassenhauer auf und schunkelt dazu mit denen, die wollen. Die Bewohner sind dabei deutlich textsicherer als Baumgart. Sie machen unter anderem mit der Musik eine Art Zeitreise, erklärt Leiterin Petzold.

Die Idee der Kneipe: Musik und Fotos sollen Erinnerungen wecken

00:36 Min. Verfügbar bis 30.04.2027

Bewohner Günter Hamacher kommt heute etwas später in die Kneipe und holt sich am Tresen ein Pils. Der 80-Jährige erzählt, dass er früher einmal zusammen mit der Kölner Musikgruppe "Die Höhner" in der Duisburger Mercatorhalle auf der Bühne gestanden und gesungen hat. Er war nämlich in einem Chor, hat als Bariton gesungen. Auf die Frage, wie alt er sei, antwortet er schnell und ohne zu überlegen "80".

Bewohnerin Christel Peters kann die gleiche Frage zunächst nicht beantworten, muss überlegen. Sie kommt nicht drauf und bekommt deshalb Hilfestellung von Pflegehelferin Baumgart: "Wann hast du Geburtstag, Christel?" Peters kennt die Antwort: "24. Dezember 1945." Sie ist 79 Jahre alt. Andere Erinnerungen hat sie schneller parat, zum Beispiel, dass sie großer MSV-Fan ist. Die Liebe zum Traditionsverein kommt von ihrem Vater. "Wir waren immer am Wochenende Fußball gucken, das hat Spaß gemacht", erinnert sich Peters.

An einer Kneipenwand hängen Fanartikel vom MSV Duisburg.

Der MSV Duisburg ist im "Rheintörchen" oft Gesprächsthema

Der älteste Bewohner, der an diesem Tag im "Rheintörchen" zu Gast ist, ist Kaspar Mühlenberg. Der 90-Jährige ist zugleich die größte Stimmungskanone, singt am lautesten und schwingt das Tanzbein. Nach dem Tanz geht es für ihn an den Tresen, eine Mitarbeiterin passt auf, dass er sicher auf dem Barhocker sitzt und setzt sich daneben.

Ein Erfolgsmodell für alle

Mühlenberg bekommt noch ein Gläschen Eierlikör serviert, Pflegehelferin Baumgart signalisiert, dass das der letzte Alkohol für heute sei. Als Rausschmeißer dient heute der Schlager "Die kleine Kneipe" von Peter Alexander aus dem Jahre 1975. Passend heißt es darin: "Der Tag ist vorüber, die Menschen sind müde." Man sieht den Bewohnern nach fast anderthalb Stunden in der Kneipe an, dass sie genug haben, eine Bewohnerin schläft sogar zwischendurch am Tisch ein.

Senior tanzt mit einer Frau in einer Kneipe.

Auch ein Tänzchen mit den Mitarbeitern der Einrichtung ist mal drin

In den letzten fünf Jahren seit Bestehen ist das "Rheintörchen", das nur in unregelmäßigen Abständen geöffnet hat, für alle Beteiligten zum Erfolgsmodell geworden. Die Mitarbeiterinnen hatten und haben genauso viel Spaß, wie die dementen Bewohner, auch wenn für manche von ihnen jeder Besuch der erste in Duisburgs einzigartiger Demenzkneipe ist. "Manche gehen hier raus und haben es dann wieder vergessen. Aber in dem Moment waren sie erstmal glücklich und das macht uns auch glücklich", sagt Baumgart.

Über dieses Thema haben wir auch am 16.04.2025 im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Duisburg, 19.30 Uhr.