Udo Lindenberg: Eine pompöse Karriere

Von Ingo Neumayer

Vom Provinztrommler zum Gesamtkunstwerk: Udo Lindenbergs Karriere war bunt, wechselhaft, extrem. Und sie ist noch lange nicht vorbei.

Keine 50.000 Einwohner und ganz an den westlichsten Rand der Republik geklebt: Gronau ist ein ziemliches Kaff. Das findet auch Udo Gerhard Lindenberg, der schon als Kind auf allem rumtrommelt, was ihm in die Quere kommt. Musiker werden, das wäre toll. Aber raus aus Gronau ist auch schon mal nicht schlecht, also geht er mit 15 nach Düsseldorf und macht eine Ausbildung in einem Hotel. Und nebenbei tingelt er durch die Kneipen und Bars der Stadt.

Frankreich, Libyen, Westfalen: Der junge Udo kommt viel rum in der Welt und spielt überall, wo es eine Bühne gibt. Ende der 60er landet er in Hamburg. Er spielt Schlagzeug, Saxophon, singt. Was eben gerade anfällt. Er lernt den Jazzmusiker Klaus Doldinger kennen, und als dieser den Auftrag bekommt, für eine neue ARD-Krimireihe namens "Tatort" die Titelmelodie einzuspielen, setzt sich Udo kurzerhand an die Drums. Doch eigentlich zieht es ihn nach vorne auf die Bühne, ins Rampenlicht.

1971 erscheint das erste Lindenberg-Album: Er singt englisch, die Stücke klingen mal nach Krautrock, mal nach den bunten Beatles der "Sgt. Peppers"-Phase. Das Album floppt, also versucht es Udo auf Deutsch. Ein Jahr später erscheint "Daumen im Wind". Vom "Panikrocker" ist noch nichts zu spüren, stattdessen passen sein Sound und Aussehen eher zur damals angesagten Schlagerszene.

Es dauert ein weiteres Jahr, bis Lindenberg seine künstlerische Identität gefunden hat: Mit dem Album "Alles klar auf der Andrea Doria" legt er das Fundament für seine weitere künstlerische Laufbahn. Hier ist schon alles angelegt: Songs wie das Titellied oder "Cello" sind ungezwungen und mitreißend, spontan und witzig. Das liegt natürlich auch an Udos Schnoddertexten voller Assoziationen und Alliterationen.

Sein Talent für Sprüche und Späße wird auch in einer WG in Hamburg-Winterhude geschärft, in der er damals haust. Seine Mitbewohner: Otto Waalkes und Marius Müller-Westernhagen. Wer hätte da nicht gerne mal eine Party gefeiert?

Es läuft bei Udo. Als erster deutscher Rocksänger unterschreibt er einen millionenschweren Plattenvertrag. Und das Geld lässt er nicht nur in Bars, Luxushotels und auf Rennstrecken ...

... auch der Entertainment-Faktor seiner Auftritte wird aufgemotzt: Mit großer Begleitband, Tänzerinnen und Tänzern sowie einem aufwändigen Bühnenbild werden seine Konzerte immer mehr zu Revue-Vorstellungen.

Gerhard Gösebrecht, Jonny Controlletti, Rudi Ratlos, Wotan Wahnwitz: Im Lindenberg-Kosmos tummeln sich allerhand skurrile Figuren. Doch obwohl er in angesagten Sendungen wie der "Plattenküche" (hier mit Helga Feddersen) auftritt, sinkt sein Stern gegen Ende der 70er ein bisschen.

Dass in Udo mehr steckt als ein rockender Likörliebhaber, zeigt sich in seinem gesellschaftlichen Engagement. Er schreibt Songs gegen Rechtsradikale und engagiert sich in der Umwelt- und Friedensbewegung. Hier sieht man ihn an der Seite von Joseph Beuys bei einer Veranstaltung der Grünen.

Als die Neue Deutsche Welle über das Land schwappt, bekommt auch Udo neuen Schwung mit. Mit Nena (rechts) hat er sogar ein Liebesverhältnis. Davon erfährt die Öffentlichkeit allerdings erst ein Jahr später.

Ein seltener Anblick: Udo ohne Hut und ohne Brille.

Udos großer Wunsch ist eine Tour durch die DDR. Doch mehr als ein Kurzauftritt im Palast der Republik im Herbst 1983 ist nicht drin. Der findet vor SED-Parteifunktionären statt, die wahren Fans stehen vor der Tür. Der Auftritt, der im DDR-Fernsehen gezeigt wird, sorgt dafür, dass Udo auch jenseits der Mauer zu einer wichtigen kulturellen Größe wird.

1987 trifft er sogar den damaligen DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker. Doch selbst die Lederjacke und die Gitarre, die Lindenberg ihm schenkt, können den "sturen Schrat" (Zitat aus "Sonderzug nach Pankow") nicht erweichen. Die erste Tour durch Ostdeutschland macht Udo erst nach dem Fall der Mauer.

Kippe, Hut, cooler Blick: In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wird Udo immer mehr zum Gesamtkunstwerk. Hits schreibt er kaum noch, aber im Gespräch bleibt er trotzdem.

So finden seine Exzesse und sein wildes Leben ein Ventil in Udos Kunst. Mit den "Likörellen", für die er Malfarben mit Hochprozentigem mischt, sorgt er für Aufsehen. Er lässt sich diese Maltechnik sogar patentieren.

Im neuen Jahrtausend erlebt Udo dann seinen dritten Frühling. Zu den Konzerten kommen ganze Familienverbände mit Oma, Kindern und Enkeln. Und auch die neue Generation von Popstars tut sich gerne mit ihm zusammen: Clueso, Jan Delay oder Silbermond schauen bei ihm im Studio oder auf der Bühne vorbei. Die Alben "Stark wie zwei" (2008) und "Stärker als die Zeit" (2016) werden zu den erfolgreichsten in Udos langer Karriere.

Auch live ist Udo wieder eine ganz große Nummer. Er füllt Hallen, Arenen, selbst Stadien und liefert Auftritte ab, die im Gedächtnis bleiben.

Nach einer Karriere mit vielen Höhe- und Tiefpunkten ist Udo wieder ganz obenauf. 2020 wird sein Leben sogar verfilmt. In "Lindenberg! Mach dein Ding" spielt Jan Bülow (Mitte) den jungen Udo, der sich und der Welt beweisen will, dass er das Zeug zum Star hat.

Eigentlich will Udo schon den Sommer 2020 auf Tournee verbringen – doch daraus wird wegen der Corona-Pandemie zunächst nichts. Erst 2022 kann der "Panikrocker", der am 17. Mai 2023 seinen 77. Geburtstag feiert, endlich wieder auf die Bühne zurückkehren.

Stand: 10.08.2023, 08:40 Uhr