Rolling Stones: Sechs Jahrzehnte an der Spitze

Von Ingo Neumayer

Seit über 60 Jahren existieren die Rolling Stones – und reihen dabei Erfolg an Erfolg, Rekord an Rekord, Skandal an Skandal. Am 16. April 1964 veröffentlichten sie ihr Debütalbum.

Die Geschichte der Rolling Stones beginnt Ende 1961 auf einem Bahnhof in Dartford, einer Stadt 30 Kilometer südöstlich von London. Dort trifft der 18-jährige Keith Richards einen Schulfreund aus der Grundschule namens Mike Jagger. Richards sieht die Chuck-Berry-Platte, die Jagger unter dem Arm trägt, und die beiden stellen fest, dass sie dieselben musikalischen Vorlieben für Blues haben. Jagger erzählt von seiner Band "Little Boy Blue And The Blue Boys", lädt Richards, der Gitarre spielt, ein, sie mal im Proberaum zu besuchen. Wenig später taucht er dort auf, spielt ein bisschen auf seiner Hofner-Gitarre – und überzeugt auf Anhieb.

Ein Bandname, Mitstreiter und ein Manager sind schnell gefunden. Im Juni 1963 erscheint "Come On", die erste Single der Rolling Stones. In der Anfangszeit sind Jagger (der sich inzwischen Mick nennt) und Richards noch so unsicher bezüglich ihrer Fähigkeiten als Songwriter, dass sie sich das Pseudonym "Nanker/Phelge" geben, das später auch für Kompositionen der ganzen Band benutzt wurde. Phelge hieß ein ehemaliger Mitbewohner Jaggers und Nanker bezeichnete eine Grimasse, die Gitarrist Brian Jones gerne schnitt.

Am 16. April 1964 veröffentlichten sie ihr erstes Studioalbum "The Rolling Stones", das in Großbritannien in der Hitparade Platz 1 erreichte und sich ganze elf Wochen lang dort hielt. Die Rolling Stones, "England’s Newest Hit Makers", verblieben 51 Wochen lang in den Charts und in den USA erreichten sie Platz 11.

Die Stones etablieren sich schnell als Gegenmodell zu den Beatles. Sie gelten als die "bösen Buben", die Anzüglichkeiten verbreiten und den Exzess zelebrieren. Dass ihre Konzerte öfter mal zu Saalschlachten ausarten, trägt ebenfalls zur Imagebildung bei. Die Stones liefern zwar Hits am Fließband ab, wie zum Beispiel "Satisfaction", "The Last Time", "Ruby Tuesday", "Paint It Black" oder "Jumpin Jack Flash". Aber es ist mehr als die Musik, die ihre Attraktivität ausmacht.

1969 wird zum Schicksalsjahr der Stones. Im Sommer werfen sie Brian Jones aus der Band, der seinen Drogenkonsum nicht mehr im Griff hat. Wenig später wird Jones ertrunken in seinem Pool aufgefunden. Nur fünf Monate später der nächste Schock: Bei einem Konzert der Band im kalifornischen Altamont kommt es zu Ausschreitungen. Ein Mitglied der Rockergang Hells Angels, die von den Stones als Ordner angeheuert wurden, ersticht einen Zuschauer direkt vor der Bühne.

Zu Beginn der 70er zeigen die Stones mit "Sticky Fingers" und "Exile On Main St.", das sie auch im neuen Jahrzehnt zu den wichtigsten und relevantesten Bands gehören. Eine der wenigen Frauen, die auf einer Stones-Platte zu Songwriter-Ehren kommt, ist übrigens Marianne Faithfull (li.). Ihr Song "Sister Morphine" landet auf "Sticky Fingers". Geschrieben wurde er von Richards, Jagger und dessen damaliger Freundin Marianne Faithfull, die die Drogenballade bereits 1969 veröffentlichte.

In den 1970er Jahren wird die Freundschaft zwischen Jagger und Richards zunehmend brüchig. Ironischerweise entsteht in dieser Zeit aber ein Pseudonym, das besondere Nähe suggerierte: "The Glimmer Twins" (zu Deutsch: die schimmernden Zwillinge). "It's Only Rock 'n' Roll" (1974) ist das erste Stones-Album, das laut Plattenhülle von den Glimmer Twins produziert wurde. Doch die Zeiten, in denen die Stones mit ihren Alben Maßstäbe setzten, neigen sich langsam dem Ende zu.

Stattdessen werden die Stones zu einer globalen Marke, die vor allem mit ihren Konzerten Maßstäbe setzt: Sie spielen pompöse Shows in riesigen Arenen, zu denen die Band im eigenen Privatjet fliegt.

Hits gelingen der Band ab Mitte der 70er nur noch vereinzelt, aber es finden sich andere Wege, um im Gespräch zu bleiben. So füllen Jagger und Richards regelmäßig die Klatschspalten der Zeitungen. Mit Drogen, Frauengeschichten, Exzessen – und mit ihren internen Konflikten.

Vor allem Mick Jagger reicht es nicht aus, "nur" der Sänger der größten Rock 'n' Roll-Band des Planeten zu sein. Er startet eine Solokarriere und versucht sich immer wieder auch als Schauspieler. Schon 1970 drehte er "Kelly, der Bandit", einen Film über einen australischen Straßenräuber im 19. Jahrhundert. Der Film floppte – wie die meisten anderen auch, in denen er zu sehen war. 1982 sollte er mit Klaus Kinski in Werner Herzogs "Fitzcarraldo" spielen, doch wegen einer Tournee musste er absagen.

Ironischerweise war Richards als Schauspieler an ungleich erfolgreicheren Filmen beteiligt. Schon in den ersten beiden Teilen von "Fluch der Karibik" lehnte Johnny Depp die Rolle des Piraten Jack Sparrow an Keith Richards an: "Piraten waren die Rockstars ihrer Zeit", sagte er. In den folgenden beiden Teilen hatte Richards dann tatsächlich kurze Gastauftritte als Jack Sparrows Vater.

In den 60er Jahren galt er noch als Bürgerschreck, 2003 wird er von Prinz Charles zum Ritter geschlagen. Sir Mick Jagger bringt zur Verleihung seinen Vater und zwei seiner Töchter mit und ist sichtlich angetan von den hohen Würden. Keith Richards kommentiert die Aktion mit Spott und Häme.

Es ist müßig, alle Rekorde und Superlative aufzuzählen, die die Rolling Stones im Laufe ihrer fast 60-jährigen Karriere aufgestellt haben. Deshalb hier nur der bislang letzte: Im April 2020 schafft es die Band mit "Living In A Ghost Town" auf Platz eins der deutschen Single-Charts. Zuletzt war ihnen das vor 56 Jahren mit "Jumpin' Jack Flash" gelungen. Und auch, wenn die Corona-Pandemie die Pläne der Band zwischenzeitlich auf Eis gelegt hatte: Das letzte Wort ist hier garantiert noch nicht gesprochen. Und mit dem 2023 veröffentlichten und in Deutschland meistverkauften Album "Hackney Diamonds" haben sie auch noch einmal Grund zum Feiern.

Stand: 10.04.2024, 13:00 Uhr