Joe Cocker: Reibeisen und Blues

Von Ingo Neumayer

Seine Songs, seine Stimme, seine Bewegungen: An Joe Cocker war vieles unvergesslich. Seine Karriere dauerte fünf Jahrzehnte – und hatte deutlich mehr Höhen als Tiefen.

Das britische Sheffield der Nachkriegszeit ist eine hässliche Stadt. Um ein bisschen Farbe in seinen Alltag als Gasinstallateur zu bringen, versucht es John Robert Cocker mit Musik. Er nennt sich Vance Arnold, tingelt ab den frühen Sechzigern durch die Szene. 1964 veröffentlicht er unter seinem Spitznamen Joe seine erste Single: Das Beatles-Cover "I'll Cry Instead", auf dem ein gewisser Jimmy Page Gitarre spielt. Der Durchbruch gelingt ihm aber erst vier Jahre später – mit einem anderen Song der Beatles.

Cockers bluesige Version von "With A Little Help From My Friends" wird 1968 ein Hit in England und Deutschland. Auch in Amerika versucht Cocker darauf sein Glück. Sein Manager bucht ihn auf diverse Festivals, und so landet er im August 1969 auch in Woodstock. Er tritt am Sonntagnachmittag auf und sorgt für offene Münder.

Nicht nur seine Stimme, die klingt, als hätte jemand seine Stimmbänder mit Schleifpapier gegerbt, beeindruckt bei Cocker-Konzerten das Publikum. Auch seine zappelnden Bewegungen, das entrückte Rudern mit den Händen und die Art, wie er seine Lieder mit jeder Faser seines Körpers interpretiert, kommen gut an. Man sagt Cocker sogar nach, er habe das Luftgitarre-Spielen erfunden. Böse Zungen unterstellen ihm einen Nervenschaden aufgrund seiner Zappelei. Doch Cocker entgegnet, er eifere seinem Idol Ray Charles nach.

Weitere Hits und Auftritte folgen. Cockers Karriere Anfang der 70er läuft spitze – allerdings interessiert er sich nicht allzu sehr dafür. Geld, Einnahmen und Verträge sind ihm herzlich egal. Einmal vergisst er sogar einen Scheck über 100.000 Pfund in seiner Hose. Seine Mutter packt die Hose nichtsahnend in die Waschmaschine, der Scheck ist danach unbrauchbar.

Statt um's Geschäft kümmert sich Cocker lieber um's Vergnügen. Er feiert gerne und viel, greift dabei aber leider auch immer öfter zu Schnaps und Drogen. Seiner Stimme zumindest schadet das nicht – im Gegenteil. Selbst Legenden wie James Brown zollen dem weißen Bluessänger Respekt und Anerkennung.

Ende der 70er geht Cockers Karriere etwas den Bach runter. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Stars kriegt er die Kurve. 1982 singt er im Film "Ein Offizier und Gentleman" mit Jennifer Warnes das Duett "Up Where We Belong". Der Film wird ein Erfolg – genauso wie der Song. Er erhält unter anderem einen Grammy und einen Oscar.

Danach hat Cocker einen Lauf: "You Can Leave Your Hat On", "Unchain My Heart", "Summer In The City" sind seine größten Erfolge in den 80ern und 90ern.

Egal, ob mit Eric Clapton im Madison Square Garden oder 1988 als einer der ersten westlichen Musiker in der DDR: Joe Cocker live ist immer ein Ereignis. In Dresden ist sogar eine Grünfläche nach ihm benannt – die "Cockerwiese".

Auch in Westdeutschland ist Joe Cocker populär und macht sich viele Freunde im Showgeschäft – unter anderem diesen blonden Lockenkopf. Allein bei "Wetten dass..?" tritt er neunmal auf.

1989 geht Cocker gemeinsam mit BAP auf große Tour. Sie teilen sich die Arbeit und den Ruhm brüderlich. Mal darf BAP als letztes ran, mal gibt Cocker den Headliner. Cocker sei ein "wahrer Gentleman", sagt Wolfgang Niedecken später.

Die Nähe zu den Fans ist Cocker immer wichtig. Kein Wunder: Wer in seinem früheren Leben in Sheffield Gas- und Heizungsrohre verlegt hat, neigt wohl nicht zu übertriebenem Star-Gehabe.

Die Jahre ziehen ins Land und Cocker zieht mit. Das Interesse des Publikums lässt nicht nach, im Gegenteil. 2008 gibt es dann eine besondere Ehrung: Von der Queen erhält er einen Orden für seine Verdienste.

Seinen letzten Auftritt hat Cocker im September 2013 auf der Freilichtbühne Loreley. Kurz danach wird er krank und erholt sich nicht mehr. Cocker stirbt kurz vor Weihnachten 2014 auf seiner Ranch in Colorado. Eine große Karriere, die leider sehr abrupt endet.

Stand: 13.12.2023, 16:30 Uhr