David Bowie: Das Chamäleon unter den Popstars

Von Ingo Neumayer

Er wechselte Stile wie andere Hosen: David Bowie schaffte es, die Massen zu begeistern, und blieb dennoch jederzeit künstlerisch spannend. Am 14. April 1983 veröffentlichte er sein 15. Studioalbum "Let's Dance".

"Ich habe Gott gehört!" So reagiert der neunjährige David Robert Jones, als er Mitte der 50er das erste Mal "Tutti Frutti" von Little Richard hört. Selbst Musiker werden ist von da an das große Ziel. Schon als Teenager spielt er in diversen Bands, 1964 erscheint die erste Single von Davie Jones With The King Bees. Um nicht immer mit Davy Jones von den Monkees verwechselt zu werden, nennt er sich ab 1966 David Bowie. Inspiriert wird er dabei durch den US-Pionier James Bowie und ein nach ihm benanntes Messer.

Doch auch unter dem neuen Namen läuft es zunächst nicht besonders gut. Sein Debütalbum erscheint im Juni 1967 und floppt. Erst im Sommer 1969 wendet sich das Blatt. Kurz vor der Mondlandung erscheint seine Single "Space Oddity" und liefert den inoffiziellen Soundtrack für Neil Armstrong und Co. Bowie macht sich einen Namen als Folkrock-Sänger, der seine philosophisch angehauchten Texte mit seltsamen Sound-Experimenten garniert.

Zu Beginn der 70er lässt Bowie die Gitarren krachen. Die Musik wird rockiger, seine Shows immer theatralischer. Als er 1972 sein Alter Ego "Ziggy Stardust" einführt, ist er endgültig auf der Erfolgsspur.

Bowie passt mit seinen Kostümen und seiner Show wunderbar in die damals florierende Glamrock-Szene. Aufsehen erregt auch seine Uneindeutigkeit, was seine sexuelle Orientierung angeht. Ist Bowie schwul? Bi? Hetero? Die Fans diskutieren und bewundern seine Offenheit. Doch im Gegensatz zu Sängern wie Alice Cooper erschafft er sich nicht nur eine Bühnen-Persona, sondern gleich mehrere.

1973 hat Bowie genug von "Ziggy Stardust". Er lässt ihn öffentlichkeitswirksam bei einem Konzert in London "sterben". Ein neuer Look und Sound steht auf seiner Agenda.

Mitte der 70er inszeniert sich Bowie als "Thin White Duke" ("dünner weißer Herzog") und versucht sich an einem gänzlich anderen Look: klassisch, kühl, elegant. Mit Songs wie "Golden Years", "Young Americans" oder "Fame" beschreitet er auch musikalisch neue Wege und zeigt seine Liebe für Soul- und Dance-Musik.

Doch das Musikmachen reicht Bowie nicht. Sein Talent ist zu groß für die Bühne allein, also sucht er auch das Kameralicht. 1976 spielt er die Hauptrolle in "Der Mann, der vomn Himmel fiel" und erntet großes Lob für seine schauspielerische Leistung.

1976 ist es Zeit für den nächsten großen Einschnitt in Bowies Leben. Zusammen mit seinem Freund und musikalischen Gefährten Iggy Pop zieht er nach Berlin. Grund ist unter anderem Bowies Begeisterung für deutsche Krautrock-Bands wie Kraftwerk, Tangerine Dream, Can oder Neu!.

Bowie versinkt zwar immer tiefer in einem Sumpf aus Drogen, doch seine Kreativität ist davon nicht betroffen. Mit "Low", "Heroes" und "Lodger" entsteht zwischen 1976 und 1978 seine "Berlin"-Trilogie, zudem schreibt er den Großteil der Iggy-Pop-Alben "Lust For Life" und "The Idiot".

1978 zieht Bowie zwar weiter in die Schweiz, aber in Deutschland hinterlässt er weiter tiefe Spuren. So besteht 1981 der Soundtrack des Films "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" komplett aus Bowie-Songs. Zudem hat er einen Gastauftritt in dem Film.

Anfang der 80er lässt Bowie seine experimentelle und eher düstere Phase hinter sich. Er engagiert Chic-Mastermind Nile Rodgers als Produzenten und schüttelt mal wieder einen Über-Song aus dem Ärmel: "Let's Dance" wird ein weltweiter Nummer-eins-Hit und einer seiner erfolgreichsten und bekanntesten Songs überhaupt.

Ab Mitte der 1980er gerät Bowie in eine Schaffenskrise. Die Alben "Tonight" und "Never Let Me Down" erhalten allenfalls lauwarme Reaktionen, und auch seine Rollenauswahl auf der Leinwand gerät bisweilen erratisch. Für seine Rolle in "Die Reise ins Labyrinth" gibt es viel Spott.

Anfang der 1990er hat Bowie die Schnauze voll davon, David Bowie zu sein. Er gründet Tin Machine, eine Formation, in der er zwar singt, die aber explizit als Band mit gleichberechtigten Mitgliedern konzipiert ist. Doch auch hier ist der Erfolg überschaubar. Der Paradiesvogel Bowie, der sich in eine Gruppe einordnet und ein Stück weit verschwindet? Das ist nichts, was seine Fans wollen.

Nach drei Tin-Machine-Alben löst Bowie die Band auf und wird wieder zum Solokünstler. Die Kritiker loben die musikalische Offenheit und Aktualität, die Bowie auf Alben wie "Black Tie White Noise", "Earthling" oder "Heathen" zeigt. Richtig große Hits gelingen ihm zwar nicht mehr, aber dafür sind seine Konzerte echte Highlights. Bowie wirkt mit sich und seiner langen Karriere im Reinen, spielt Songs aus allen Phasen gleichberechtigt neben neuen Nummern und beweist auch im neuen Jahrtausend, dass er weiter relevant und kreativ ist.

Ab 2003 geht Bowie auf Welttournee – eine der längsten seiner Karriere. Ob er sich damit zu viel zumutet? Ende Juni 2004 erleidet er nach seinem Auftritt beim "Hurricane"-Festival im niedersächsischen Scheeßel einen Herzinfarkt.

Bowie erholt sich wieder, aber seine Karriere als tourender Künstler ist damit beendet. Er genießt das Privatleben mit seiner Frau Iman und geht nur noch ins Studio, wenn er Lust hat. 2013 erscheint nach knapp zehn Jahren Pause das Album "The Next Day".

Bowie hat wieder Blut geleckt und macht sich schnell wieder an die Arbeit am nächsten Album. Doch dann bekommt er die schockierende Diagnose Leberkrebs. Bowie weiß, ihm bleibt nicht mehr viel Zeit. Mit letzter Kraft arbeitet er an "Blackstar", einem Album, das von Jazz, experimentellen Sounds und einer einnehmenden Düsterkeit geprägt ist.

"Blackstar" erscheint am 8. Januar 2016, Bowies 69. Geburtstag. Nur zwei Tage später stirbt er. Die Musikwelt ist schockiert, Fans weltweit trauern um einen der größten, vielseitigsten und talentiertesten Musiker der vergangenen 50 Jahre.

Die Begeisterung für David Bowie und sein musikalisches Lebenswerk bleibt ungebrochen. Die Deutsche Post gibt zu seinem 75. Geburtstag 2022 eine Sonderbriefmarke heraus – eine Ehre, die vor ihm nur wenigen britischen Popstars zuteil wurde.

Stand: 14.04.2024, 00:00 Uhr