Was ist ein Dokumentarfilm?

Auf den ersten Blick ist die Frage ganz einfach zu beantworten: Ein Dokumentarfilm versucht, die Wirklichkeit einzufangen. Er zeigt Situationen, Menschen und Dinge, die es in der Welt tatsächlich so gibt oder gegeben hat. 

Junge tibetische Mönche lachen in die Kamera.

Fernab von unserem Alltag in Deutschland: junge tibetische Mönche.

Dokumentarfilme zeigen also immer ein Stückchen von der Welt, in der wir leben. Sie bieten Einblicke, die wir sonst nicht bekommen könnten. Mit ihnen reisen die Zuschauer an Orte, die sie wahrscheinlich nie besuchen werden. Wer hat denn schon einmal mit einem Indianerstamm im Dschungel gelebt? Oder den Alltag von Kindern in einem russischen Gefängnis erlebt? Oder Kindermönche in Tibet auf einer gefährlichen Wanderung im Himalaya-Gebirge begleitet? Dokumentarfilme sind so vielfältig, wie die Welt ist, in der wir leben! Sie stellen soziale, politische, gesellschaftliche und oft auch ganz alltägliche Themen in den Mittelpunkt. Sie zeigen Schönes und Schreckliches, Dinge, die einen traurig und wütend machen, aber auch zum Lachen bringen können. Sie helfen dabei, die Welt, in der wir leben, besser zu verstehen. 

 Filmemacher Michael Moore

In "Bowling for Columbine" nimmt der Filmemacher Michael Moore auch die US-Medien aufs Korn.

Manche Dokumentarfilmer erklären die Welt auf ihre ganz persönliche Weise und gehen den Dingen auf den Grund, indem sie Antworten auf brennende Fragen suchen. In "Bowling for Columbine" zum Beispiel versucht der Filmemacher Michael Moore zu verstehen, warum zwei Schüler 1999 in der Columbine High School mehrere Mitschüler, einen Lehrer und dann sich selbst erschossen. 

Ausschnitt aus dem Filmplakat von "Super Size Me"

Belohnung oder Körperverletzung? 30 Tage lang nichts als Pommes, Burger & Co.

In "Super Size Me" ist der Filmemacher Morgan Spurlock sein eigenes Versuchskaninchen: Er isst 30 Tage lang nichts anderes als Fast Food von McDonald's und filmt dabei, was mit seinem Körper passiert.

Auf diese Weise zeigt er, wie Ernährung mit Gesundheitsproblemen und Übergewicht zusammenhängen. Viele Dokumentarfilme arbeiten so: Sie hinterfragen etwas und verdeutlichen gleichzeitig auch die Zusammenhänge.

Indische Frauen warten mit leeren Schalen in einer langen Schlange

Bald werden 10 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Wie werden sie alle satt?

Je mehr wir von der Welt sehen, desto besser können wir neue Erlebnisse einordnen und bewerten. Wer einmal einen Dokumentarfilm darüber gesehen hat, dass im Jahr 2050 rund 10 Milliarden Menschen auf der Erde leben und ob sie überhaupt alle satt werden können, der wird vermutlich anders auf seine Ernährung blicken.

Ein Dokumentarfilm versucht, die Wirklichkeit zu zeigen – nichts dazu zu erfinden, nichts zu verschleiern oder zu beschönigen, sondern einfach das zu zeigen, was da ist: die ungeschminkte Realität. Aber geht das überhaupt? Wären bestimmte Situationen nicht vielleicht ganz anders abgelaufen, wenn die Kamera nicht dabei gewesen wäre? Vielleicht spielen die gefilmten Personen auch nur eine Rolle, und verhalten sich so, wie sie selbst gerne wären und im Film "rüberkommen" wollen: nett und gut gelaunt, tapfer und mutig, gerissen und schlau - je nach eigener Vorstellung. Auch können die Filmemacher mit der Art und Weise, wie sie etwas filmen, Situationen, Menschen oder Dinge unterschiedlich erscheinen lassen. Ob das dann immer noch "echt" ist?

Je länger man darüber nachdenkt, desto schwieriger wird die Antwort. Deswegen stellen wir dir hier drei Antwortmöglichkeiten vor, die von verschiedenen Seiten beleuchten, was ein Dokumentarfilm ist.

Erstens: Ein Dokumentarfilm ist kein Spielfilm

Manchmal ist es viel leichter, etwas zu beschrieben, indem man sagt, was es NICHT ist: Ein Dokumentarfilm ist kein Spielfilm. In einem Spielfilm spielen Schauspieler eine Rolle. Meistens gibt es ein Drehbuch, das festlegt, welche Geschichte der Film auf welche Art und Weise erzählen soll. Die Geschichten in Spielfilmen sind meistens erfunden (zum Beispiel Science-Fiction-Filme wie Star Trek).

Zweitens: Ein Dokumentarfilm erfindet nichts absichtlich dazu

Im Dokumentarfilm gibt es in der Regel kein Drehbuch – und wenn doch, dann orientiert sich das Drehbuch stark an den Personen, Dingen und Begebenheiten, die es im wirklichen Leben tatsächlich gibt oder gab.

Ed Sheeran steht auf der Bühne mit Gitarre in der Hand hinter dem Mikrofon

Der britische Sänger Ed Sheeran am ersten Tag des Southside-Festivals

Wenn jemand zum Beispiel einen Dokumentarfilm über eine Tournee von Ed Sheeran drehen will, dann kann er das auf unterschiedliche Weise tun. Er kann mit der Anreise zum Konzert starten, dann die Band kurz vor dem Auftritt hinter der Bühne zeigen, anschließend Szenen vom Konzert zeigen und zum Schluss vielleicht noch die Stimmen begeisterter Fans einfangen.

Oder er startet mit einem Konzertausschnitt und zeigt in Rückblenden etwas über die Vorbereitungen und lässt zwischendurch immer mal wieder Fans zu Wort kommen. Beide Varianten können ganz unterschiedlich wirken, sind aber trotzdem dokumentarisch.

Was aber gar nicht geht: Wenn ein Dokumentarfilmer Fans, denen ein Konzert nicht gefallen hat, dazu bringt, so zu tun als ob sie total begeistert gewesen wären.

Drittens: Ein Dokumentarfilm ist nicht die Wirklichkeit

"Ein Dokumentarfilm ist nicht die Wirklichkeit? Wie bitte?! Was denn sonst?" fragst du dich jetzt vielleicht. Ganz einfach: Ein Dokumentarfilm ist nicht DIE Wirklichkeit, sondern GEFILMTE Wirklichkeit. Oder noch besser: eine GEFILMTE VERSION der Wirklichkeit. Das hört sich erst einmal spitzfindig an, ist es aber gar nicht.

Dir ist bestimmt schon mal aufgefallen, dass Menschen sich anders verhalten, wenn sie unbeobachtet sind: Sie bohren in der Nase und tun noch eine Menge anderer Dinge, die sie nie tun würden, wenn andere ihnen dabei zusehen würden. Und genau das passiert, wenn Menschen gefilmt werden. Alleine die Anwesenheit einer Kamera reicht für viele aus, einfach nicht mehr "sie selbst" zu sein. Deswegen: Wer die Wirklichkeit filmt, beeinflusst oder verändert sie gleichzeitig auch ein bisschen.

Dazu kommt noch eine andere Überlegung: Filmen bedeutet immer eine Auswahl zu treffen. Die Kamera kann nie alles zeigen, was der Filmemacher oder der Kameramann gerade sieht, sondern immer nur einen bestimmten Ausschnitt davon. Wenn du beim Dreh dabei gewesen wärst, hättest du vielleicht genau das gefilmt, was die Kamera jetzt gerade nicht eingefangen hat. Deine Sicht auf die Wirklichkeit wäre also eine andere gewesen.

Außerdem filmt ein Dokumentarfilmer nicht 24 Stunden am Tag, sondern er trifft eine Auswahl: Er filmt ein Stück der Wirklichkeit für eine bestimmte Zeit, nicht aber nonstop. Dazu kommt, dass von dem gefilmten Material später oft nur ein Bruchteil im Film landet: Beim Schnitt wird nämlich auch noch einmal aussortiert. Und das, was übrig bleibt, wird auch nicht unbedingt in der gleichen Reihenfolge zusammengeschnitten, wie es ursprünglich gefilmt wurde.

Also: Dokumentarfilmer wählen aus, ordnen neu und zeigen so ihren Blick auf die Wirklichkeit. Das muss nicht unbedingt der gleiche Blick sein, den du zum Beispiel hast. Und das ist mit ein wichtiger Grund, warum Dokumentarfilme oft viel Zündstoff für Diskussionen liefern.