Hörbuchcover: "Die schöne Müllerin" von Stefan Weiller

"Die schöne Müllerin" von Stefan Weiller, Franz Schubert, Hedayet Djeddikar

Stand: 12.10.2022, 12:00 Uhr

In 14 Episoden erzählt Stefan Weiller von gescheiterter Liebe und ihren Folgen. Von Einsamkeit, Isolation, manchmal bis zum Suizid. Aber er hebt die Dokumente zerbrochenen Lebens behutsam auf in einem Kunstwerk – wie Franz Schubert in seiner "Schönen Müllerin". Eine Rezension von Oliver Cech.

Franz Schubert/Wilhelm Müller/Stefan Weiller: Die schöne Millerin
Mit Birgitta Assheuer, Jens Harzer und Dagmar Manzel.
Speak low, 2022.
2 CDs mit Booklet, 18 Euro.

"Die schöne Müllerin" von Stefan Weiller

Lesestoff – neue Bücher 12.10.2022 05:33 Min. Verfügbar bis 12.10.2023 WDR Online Von Oliver Cech


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"Während sie erzählt, klingelt ihr Handy. Sie drückt den Anruf weg."

Das Lied Morgengruß von Franz Schubert als Klingelton! Ja, die romantische Musik von Schuberts Schöner Müllerin kann harmlos klingen, unbeschwert, verspielt. Aber sie tanzt über einem Abgrund. Denn die Liebesgeschichte, die Schubert uns hier erzählt: die Liebe zwischen einem wandernden Müllerlehrling und der Tochter eines Mühlenbesitzers – diese Liebe nimmt ein tragisches Ende: Den jungen Mann verlässt aller Lebensmut, er stürzt ins Bodenlose. Wie die Menschen, die Stefan Weiller für sein Projekt getroffen hat. Viele von ihnen sind obdachlos; andere wagen sich nicht mehr vor die Tür. 

"Stalking: Darüber will sie reden. Das Klingeln des Telefons mitten in der Nacht. Eine unterdrückte Rufnummer. Ich möchte schreien! Ein Schatten am unteren Rand der Wohnungstür. Ein Knacken, ein Luftzug."

In seinen Gesprächen begegnet der Autor Stefan Weiller der dunklen Seite des menschlichen Lebens. Einsamkeit und Armut, Ausgrenzung und Versagensängste; Fluchterfahrungen, psychische und körperliche Gewalt… Das Hörstück spart nichts aus von dem, was Menschen sich selbst und einander antun. Dennoch wirkt es nicht düster: Weil es die Dokumente zerbrochenen Lebens behutsam aufhebt in einem Kunstwerk.

"Unglück ist flüssig. Es dringt durch kleinste Ritzen. Unsere Liebe kommt unter die Räder; nur ich merke nicht, wie alles den Bach runtergeht. Wir beginnen, einander nicht mehr zu verstehen. Das sehn‘ wir auch den Rädern an…. Vom Wasser haben wir´s gelernt, vom Wasser… Das hat nicht Ruh ´bei Tag und Nacht… Die Räder! Das Wasser!"

In 14 Episoden erzählt Stefan Weiller von gescheiterter Liebe und ihren Folgen – Einsamkeit, Isolation, manchmal bis hin zum Suizid. Wie kann es so weit kommen, dass einen Mensch nichts mehr im Leben hält? Vielleicht hilft es, die Geschichte einmal anders zu erzählen. Rückwärts!

"Ich versuche es zu erklären! Gehen wir weiter zurück in der Zeit. Vor drei Monaten verlasse ich meine alte Stadt und komme HIER an, im Kaff meiner Kindheit. Ein Kumpel lässt mich abends rein; einen Schlüssel gibt er mir nicht; statt mit Hallo! begrüßt er mich mit: Na, hast du jetzt endlich Lösung gefunden? Vor fünf Monaten wache ich in einer Psychiatrie auf; ich behaupte zu wissen, wo ich hingehen kann; dabei habe ich keinen Schimmer. Ich will nur weg. Und verlange meine Entlassung."

Jens Harzer spricht die männlichen "Figuren" dieses Hörstücks, und er macht das einfach genial. Seine Stimme wirkt nach innen gewendet – wie bei einem Menschen, der leise mit sich selbst spricht, der die Welt um sich her vergisst. Gehört er überhaupt noch dazu? Gibt es noch einen Ort für ihn, in dieser Welt?

"Da war diese Nacht, unweit eines großen Supermarkts. Dort, wo die Außenkamera hängt bereitete ich mir ein Lager. Unter der Kamera fühlte ich mich sicher und behütet, wie bei einer Mutter. Da lag ich auf meiner Isomatte, ich aß ein Wurstbrot und dachte über das Leben nach. Ist das denn meine Straße? O Bächlein, sprich, wohin? Du hast mit deinem Rauschen mir ganz berauscht den Sinn."

Die weiblichen Stimmen bringen Birgitta Assheuer und Dagmar Manzel ein. Aber sie sind nicht Die schöne Müllerin! Sie sind nicht ausschließlich Objekt der Liebe, sondern selbst liebendes und leidendes Subjekt. Sie erzählen ihre eigene Geschichte: berührend, manchmal erschütternd.

Das Hörbuch holt die Vergangenheit in die Gegenwart – und spiegelt beides in einander, so dass eine neue Einheit entsteht. Vitalen Anteil daran hat die musikalische Gestaltung des Pianisten Hedayet Djeddikar. Ein großer Wurf!