Martin Suter: Melody
Diogenes, 2023.
333 Seiten, 26 Euro.
Was für eine Frau! Mitte Zwanzig, dunkelhaarig, graziös und wunderschön. Sie arbeitet in einer Buchhandlung, und Peter Stotz verfällt ihr schon beim ersten Sehen, unwiderruflich und für immer:
"Auf dem Namensschild über der Brust, auf die ich nicht zu sehen wagte, stand Melody. Melody! So war sie auch: eine Musik, die durch den Raum schwebte und alle zum Träumen bringt. Mich zuallererst."
Peter Stotz, 42 Jahre alt, erfolgreicher Schweizer Unternehmer und politischer Strippenzieher, will Melody heiraten. Doch sie hält ihn auf Abstand, keusch und geheimnisvoll, bis sie schließlich gesteht: Sie heißt in Wirklichkeit Tarana, ist Muslima, und ihre aus Marokko eingewanderte Familie verbietet die Ehe mit einem Ungläubigen. Als sie schließlich doch noch einwilligt, verschwindet sie spurlos am Vorabend des – auch gesellschaftlich – großen Ereignisses. In ihrem Zimmer Zeichen von hastigem Aufbruch.
"Das Brautkleid. Es hing an einem Bügel an der halb geöffneten Schranktür. Auf der anderen Seite war, schwer und schlapp wie das Kleid, ihr Hidschab zu sehen, ihr muslimischer Brautschleier (...). Plötzlich wusste ich, dass etwas Schreckliches vorgefallen sein musste."
Sein Leben lang sucht Peter Stotz nach der verschwundenen Melody. Rund vierzig Jahre später, kurz vor seinem Tod, erzählt er die dramatische Geschichte einem jungen Juristen, den er angestellt hat, um seinen Nachlass zu ordnen. Dieser Tom wird im hochkomfortablen, von erstklassigem Personal betreuten Haus seines Auftraggebers einquartiert – und damit ist auch der Autor Martin Suter wieder dort angelangt, wo die meisten seiner Bücher spielen: in der Welt der Wohlhabenden und Einflussreichen. Solchen, die nicht prahlen mit ihren maßgeschneiderten Anzügen und ihrem Gourmetwissen um die besten Weine und die raffiniertesten Speisen, sondern ihren Luxus einfach leben.
"Mariella tischte zur Vorspeise gedünstete Catalogna mit Mozzarella di bufalo und Sardellen auf und als Hauptgang Pasta e fagioli mit Miesmuscheln. Beides war herrlich und schmeckte Tom trotzdem nicht. Je länger er in der Stille des sonst so von Dr. Stotz’ Stimme erfüllten Raumes in Mariellas Köstlichkeiten herumstocherte, nur beobachtet von den Augen der geheimnisvollen Melody auf ihren Altären, desto unheimlicher wurde ihm."
Die Suche nach seiner Geliebten hat Stotz durch die halbe Welt geführt. Und als Tom nun seinerseits in die Suche nach Melody einsteigt, wird die Handlung neben der ausführlichen Beschreibung kulinarischer Genüsse zusätzlich mit der verschiedenster exotischer Schauplätzen angereichert. Dabei hastet die Geschichte förmlich durch die Jahre und Ereignisse, findet Ruhe nur bei den Mahlzeiten und den langweiligen Aufräumarbeiten des jungen Juristen, später auch bei der Liebesbeziehung zu Stotz’ Großnichte, der Erbin seines beachtlichen Vermögens.
"'Wie wirst du es damit halten, Laura?' 'Ich werde mein Geld nicht verstecken, ich werde es unter die Leute bringen. Aber auch unter mich. Ich bin schließlich auch Leute.' Sie lachte, winkte dem Kellner und bestellte zwei Glas Champagner. 'Bei uns ist es ja erst zwei Uhr früh. Partytime.'"
Martin Suter findet mit "Melody" nach seinem missglückten biographischen Roman "Einer von euch" über den Fußballspieler Bastian Schweinsteiger wieder zurück zu Stil und Masche seiner erfolgreichsten Romane, wie die um den verkrachten adligen Detektiv Allmen oder kriminalistische Komödien wie "Lila, Lila", "Montechristo", "Der letzte Weynfeldt".
Stilistisch eher simpel, die Personenzeichnung rudimentär, doch die Handlung ereignisträchtig – kurz, alles eher Ansatz für ein Drehbuch denn ein literarisches Ereignis. Mit Melodys marokkanischer Herkunft packt er auch noch das Thema Islam hinein – deutlicher und gefälliger kann ein Autor kaum Richtung Verfilmung schielen.
Und dennoch ist das Buch auch amüsant, mit seinem fast augenzwinkernd übertriebenen Plot, den überraschenden Wendungen und dem nachgerade provozierenden Ende: "Melody" – also wieder ein Sahnebonbon für die Suter-Fans.