
"Regen. Eine Liebeserklärung" von Ferdinand von Schirach
Stand: 14.09.2023, 07:00 Uhr
Da werden Schirach-Fans aufhorchen: Ja, der Dauerredner in diesem Bühnenmonolog ist tatsächlich Schriftsteller! Schirach bleibt sich treu, er steuert zielsicher ins Existentielle. Doch die Vielzahl seiner bekannten Lieblingsthemen will hier nicht zusammenpassen. Eine Rezension von Oliver Cech.
Ferdinand von Schirach: Regen. Eine Liebeserklärung
Gelesen vom Autor.
Der Hörverlag, 2023.
Download, 1h und 6min Laufzeit, 20 Euro.
Kommt ein Mann in eine Bar
"Regen, das ist white noise. Weißes Rauschen. Es gibt inzwischen eine Fülle von Regenaufnahmen. Die hören Sie, wenn Sie nachts nicht einschlafen können. Am besten ist natürlich der Klassiker: Regen im Regenwald. Wenn es da nicht mehr regnet, ist es sowieso vorbei."
Ein Mann kommt aus dem Regen in eine Bar, völlig durchnässt. Und er fängt gleich an zu reden – mit wem? Unklar. Aber es gibt ein Gegenüber. Da ist jemand, der gut zuhört – und an der richtigen Stelle Feuer gibt.
"Wissen Sie, ob man hier rauchen darf? Ah ja, danke."
Ein enormes Redebedürfnis
Worüber der Mann aus dem Regen reden will, das scheint lange offen. Etwas drängt ihn, er hat ein enormes Redebedürfnis: Die Worte – um beim nassen Element zu bleiben – fließen nur so aus ihm heraus. Da spricht ein einsamer Mensch – einer, der es liebt, im Regen zu stehen.
Ein Melancholiker, der dem Leben lieber aus der Distanz zuschaut, als selbst daran teilzunehmen. An diesem Leben, und an seinen Mitmenschen, hat er vieles auszusetzen. Praktisch alles. Wie können die Leute etwa auf die Idee kommen, im Urlaub ans Meer zu fahren?
"Diese Fische tun alles im Meer. Wo denn sonst? Es sind Fische! Sie gehen im Meer aufs Klo, sie haben im Meer Sex, sie bekommen im Meer ihre Kinder, sie werden krank und sterben und verfaulen und verwesen – im Meer. Und dann schwimmen die Leute darin und haben das auf der Haut und in den Haaren und im Mund und finden es auch noch amüsant."
Zielsicher ins Existentielle
Distanz halten: zum Meer, zum Leben überhaupt – das scheint die Devise zu sein in Ferdinand von Schirachs "Regen". Diese Rede kreist um eine leere Mitte, und erst nach einer Weile wird endlich deutlich, was den Redner treibt. Auch wenn "Regen" einen beiläufig-poetischen Titel trägt: Schirach bleibt sich hier treu, er steuert zielsicher ins Existentielle.
"Es gibt diesen Moment, in dem Sie die Sache zum ersten Mal vollständig begreifen. Plötzlich verstehen Sie die Worte: 'für immer'. Diese Worte breiten sich in Ihnen aus, sie besetzen jede Zelle Ihres Gehirns. Es wird Ihnen unmöglich, noch etwas anderes zu denken. Das 'für immer' hat die Macht, das zu tun."
Schriftsteller mit Schreibblockade
Wenn ein Mensch stirbt, ist er oder sie "für immer" fort. Das hat der Mann aus dem Regen am eigenen Leib erfahren. Sein "Lebensmensch" ist ihm abhandengekommen, von einem Moment auf den anderen, und: für immer. Seitdem, seit 17 Jahren, hat er sich aus dem Leben zurückgezogen – und das aufgegeben, was ihm am Wichtigsten gewesen ist: das Schreiben.
Da werden Ferdinand von Schirach-Fans sicher aufhorchen: Ja, der Dauerredner in dem Bühnenstück "Regen" ist tatsächlich Schriftsteller! Ein Schriftsteller mit einer Schreibblockade. Aber für ein präzise gesetztes Bonmot ist er immer noch gut.
Versatzstücken, die nicht zusammenpassen wollen
"Bücher sind ja oft klüger als ihre Autoren. Das ist beruhigend."
Diese Bemerkung kommt einem bekannt vor. Vielleicht allzu bekannt. Wie manche andere Stelle in "Regen" auch.
Der einstündige Bühnenmonolog besteht zu großen Teilen aus Versatzstücken, die nicht recht zusammenpassen wollen: Einsamkeit; Verlust und Scheitern; im Stakkato eingestreute Zivilisationskritik; ein Eifersuchtsdrama mit tödlichem Ausgang; ein Schriftsteller mit Schreibblockade, der über diesen Todesfall nun als Schöffe zu Gericht sitzen soll…
Viele bekannte Themen
Es wirkt ganz so, als wollte Ferdinand von Schirach möglichst viele seiner bekannten Lieblingsthemen für den eignen Bühnenauftritt wieder aufgerufen.
"Mögen Sie Regen? Ich bin klatschnass. Ich stand 20 Minuten draußen, da drüben vor dem blauen Haus. Und die ganze Zeit regnet es schon."
Ja stimmt, der Regen! Der ist neu bei Schirach, als poetisches Element. Es schüttet aus Kübeln in diesem Monolog. Aber das hält das Stück am Ende leider auch nicht zusammen.