
"Monterosso, mon amour" von Ilja Leonard Pfeijffer
Stand: 21.11.2022, 12:00 Uhr
Der niederländische Schriftsteller Ilja Leonard Pfeijffer ist ein Meister des literarischen Versteckspiels. In einer kurzen Novelle hat er dies nun erneut unter Beweis gestellt. In "Monterosso mon amour" geht es um die Suche nach einer Jugendliebe in Italien. Eine Rezension von Stefan Berkholz.
Ilja Leonard Pfeijffer: Monterosso, mon amour
Aus dem Niederländischen von Ira Wilhelm.
Piper Verlag, München 2022.
144 Seiten, 20 Euro.
Auf der Suche nach Abenteuern
Was ist herausfordernder als eine fade Ehe, eine Gewohnheitsehe also, um Abenteuer zu suchen? Und was erscheint naheliegender, als dass die Fantasie einer hungrigen Literaturliebhaberin mit ihr durchgeht, sie sich nicht nur in einem Roman wieder erkennt, sondern zugleich ihrer ersten Liebe und einem Unterwasserkuss in Italien hinterher jagt?
"Sie vermisst die Tiefe des Meeres, aber Rob schwimmt nicht gern. Er liest Sachbücher, wenn er überhaupt liest, weil er, obgleich er über massenhaft Zeit verfügt, keine Minute davon vergeuden möchte. Außerdem hält er Gefühle für nutzlos, wenn man in der gleichen Zeit Meinungen haben kann. Sie fahren nur selten in Urlaub, weil sie früher so viel reisen mussten, was Rob für ein schlagendes Argument und einen ausreichenden Grund hält, die Angelegenheit damit für erledigt zu betrachten."
Flucht in die Literatur
Carmen ist kinderlos geblieben, sie hat mittlerweile die fünfzig hinter sich gelassen, ist aus den besten Jahren raus. Da die Wirklichkeit nicht mehr ganz so glänzend, abenteuerlich oder gar wild wirkt wie zu Jugendzeiten, nimmt sie die Literatur als Ersatz.
"Deshalb liest sie auch so gern, denn Bücher bewahren sie vor der deprimierenden Einschränkung, von der Wiege bis zum Grab nur ein einziges Menschenleben leben zu dürfen."
Rob, Carmens Ehemann, ist ein gescheiterter Diplomat, frühpensioniert. Doch das Auskommen ist gesichert, das öde Rentendasein freilich auch. Und so hat Carmen zur Abwechslung mit Freundinnen einen Lesekreis gegründet. Zudem arbeitet sie ehrenamtlich in einer öffentlichen Bibliothek und lädt dort Schriftsteller ihrer Wahl zu Lesungen ein. Einer von ihnen ist etwas ganz Besonderes.
"Er ist in vollem Ornat: dunkler Nadelstreifenanzug, glänzende Manschettenknöpfe, barocke Fingerringe, eine zu den Strümpfen passende Krawatte inklusive Krawattennadel mit falscher Perle. Er sieht aus wie der Direktor eines Autoscooter-Fahrgeschäfts auf dem Rummelplatz."
Auf nach Italein
Ist man dem Schriftsteller einmal begegnet, wirkt diese Karikatur gar nicht so übertrieben und abwegig. Selbstironie hat Ilja Leonard Pfeijffer also. Inszenierung ist das Thema und der niederländische Schriftsteller macht daraus kein Geheimnis. Über die Lektüre hat sich Carmen an eine Jugendliebe in Italien erinnert, Antonio. Bis auf sein verwegenes Springen vom Felsen und jenen Unterwasserkuss erinnert sie nicht mehr viel. Doch sie bricht auf.
"Wie das Meer Fußspuren im Sand wegspült, verschwinden mit der Zeit nicht nur die Dinge selbst, sondern auch die Erinnerungen daran. Sie weiß nicht mal mehr, wie sie sich mit Antonio unterhalten hat, schließlich konnte keiner die Sprache des anderen. Mit einem gestammelten Schulenglisch? War vielleicht am Ende alles nur ein Missverständnis?"
Mit listigem Augenzwinkern
In beschaulichem Tempo erzählt Pfeijffer Carmens Abenteuer in der Fremde. Er entblättert nach und nach lässig die Merkmale und Marotten seiner Figuren, immer listig mit einem Augenzwinkern, malt Schritt für Schritt das Scheitern eines Lebens aus, streift die Lebenslügen, karikiert legere, schlamperte italienische Lebensart und lässt die Novelle freundlich enden.
"Am Morgen ihrer Abreise steht Carmen in aller Frühe auf. Sie schleicht sich durchs Haus, um Tiziana nicht zu wecken, und geht zum Strand. Es ist noch dunkel. Sie setzt sich auf die Kiesel, schlingt die Arme um die angezogenen Beine, stützt das Kinn auf die Knie und betrachtet das Meer aus Tinte unter einem schwarzen Himmel. So sieht die Welt aus, wenn sie einmal vollgeschrieben ist, denkt sie, wenn alle Geschichten erzählt sind."
Geschmeidige Unterhaltung
Pfeijffer inszeniert seine Literatur bis zur Persiflage. Arg eitel, arg selbstreferenziell, aber unterhaltsam. "Monterosso mon amour" ist eher ein Nebenprodukt, die Novelle wirkt nicht so überzeugend wie sein Bestseller "Grand Hotel Europa", ja sogar etwas fad mit all den Fügungen. Als geschmeidige Unterhaltung mit ironischen Schlenkern geht aber auch dieses Buch durch.