Christoph Peters: Krähen im Park
Luchterhand, 2023.
318 Seiten, 24 Euro.
Sich kreuzende Schicksale
Es ist ein symbolträchtiger Tag, den Christoph Peters sich da ausgesucht hat: Ausgerechnet am 9. November des Jahres 2021 spielt sich das Geschehen seines neuen Romans ab. Oder genauer: Durch diesen einen Tag begleiten wir eine ganze Reihe von Menschen, deren Leben sich im Laufe der Stunden mehr oder weniger stark verbinden, mehr oder weniger flüchtig berühren.
Eine Art Knotenpunkt, in dem sich die vielfältigen Schicksale kreuzen, bildet der Besuch des französischen Schriftstellers Bernard Entremont. Er ist nach Berlin gekommen, um einen Preis für europäische Literatur in Empfang zu nehmen. Anschließend findet bei Mariann Krüger, ehemals Hauptdarstellerin in einer Tierärztin-Serie und jetzt Grande Dame der Berliner Prominenten- und Kulturszene, noch ein Fest zu seinen Ehren statt. Das alles natürlich unter Corona-Bedingungen, denn noch immer hat das Virus das Leben der Menschen und ganz besonders der Kulturschaffenden fest im Griff:
"Leute, die bis vor anderthalb Jahren Nacht für Nacht in Theaterkantinen, Bars und Clubs abgestürzt waren, mit großer Geste ihre eigene Unerschrockenheit, Gleichgültigkeit gegenüber jedweder Gefahr für Leib und Leben durch welche Zellgifte auch immer zelebriert hatten, verbarrikadierten sich zähneklappernd in ihren gediegenen Altbauwohnungen, durchgestylten Rooftop Lofts, versifften Ein-Zimmer-Apartments, hörten sich stundenlange Podcasts von irgendwelchen Virologen an, stritten über Infektionswege, Testgenauigkeiten, Maskenpflicht, ließen sich Rotwein, Gin, Fastfood, das Gras, das Koks, das Speed von indischen oder osteuropäischen E-Bike-Kurieren frei Haus liefern, riefen durch die geschlossene Tür: 'Stell es auf die Fußmatte!', desinfizierten Tüten, Plastikfolien, Papp- oder Styroporgeschirr, eingeschweißtes Bambusbesteck, die eigenen Hände, ehe sie auspackten. (…) Das Leben schrumpfte zu einer Art Sparstrumpfexistenz."
Ein ironisches Panorama einer Zeit der Verunsicherung
In ständig wechselnder Perspektive folgen wir so dem Leben einer Influencerin, die ihr Kind zu Werbezwecken vermarktet, eines erfolglosen Schriftstellers, der mit seinem dritten Roman nicht so recht vorankommt, eines Architekten, der am Immobilienboom bestens verdient, einer Fluggastkontrolleurin, deren Tochter von einem türkischen Paketboten schwanger ist. Wir begleiten einen geflüchteten Afghanen, der über Belarus nach Berlin gekommen ist und orientierungslos durch die Stadt irrt, einen Politikersohn auf Vaterbesuch, der zum Verschwörungsideologen mutiert ist, und ein paar Jugendliche aus bestem Hause, die den tristen Corona-Alltag mit Alkohol und Drogen bekämpfen.
Gekonnt und wunderbar beiläufig verwebt Peters diese Lebensfäden zum fein beobachteten, bissig-ironischen Panorama einer Zeit der Verunsicherung und des Umbruchs. Die Protagonisten und Protagonistinnen befinden sich entweder irgendwo in einer Midlife-Crisis, haben ihre besten Zeiten hinter sich oder begehren als Kinder gegen die Normvorstellungen ihrer Eltern auf. Die Ehen sind in die Brüche gegangen, Sex ist ein ferner, aber weiterhin lebendiger Traum, und sicher ist im Leben eigentlich nichts mehr. "Alles zerbricht", denkt der reichlich erfolglose Schriftsteller Urban, und schlimmer noch:
"Was er lebte, verdiente die Bezeichnung 'leben' kaum noch, er vegetierte dahin: ein zweiundvierzigjähriger, wenn er ehrlich war, ehemaliger Schriftsteller, verspäteter Vater, die schlecht geschnittenen, nachlässig gescheitelten Haare vollständig ergraut, kleinteilige Knitterfalten um Mund- und Augenpartien. Die jungen Mütter auf den Spielplätzen, in den Wartezimmern der Kinderarztpraxen überlegten, ob er der Vater oder der Großvater des süßen Mädchens auf der Rutsche, im Bällchenbad war."
Eine literarische Tiefenbohrung
Hatte Peters im ersten Band seiner Trilogie noch vor allem den Politikbetrieb der Berliner Republik porträtiert, so präsentiert er uns nun die Berliner Kulturszene und Menschen aus dem Bürgertum. Ein paar wenige Protagonisten aus Band 1 tauchen erneut auf: Professor Bernburger etwa, der Gesundheitspolitiker, der jetzt Minister werden soll, oder der Virologe Professor Garbsen.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind auch in diesem Roman keineswegs zufällig: Der französische Großschriftsteller erinnert frappierend an Michel Houellebecq, und auch sonst kann man sich beim Lesen immer wieder den Spaß machen, nach den realen Vorbildern hinter so manchen Figuren zu suchen. Aber das sind eher unterhaltsame Spielereien, Wirklichkeitsanker, die diesem scharfsichtigen Gesellschaftsporträt zusätzliche Eindringlichkeit verschaffen.
"Krähen im Park" ist kein Schlüsselroman, sondern Sozialstudie – der Versuch einer literarischen Tiefenbohrung, die ganz nah an der Gegenwart operiert, sich aber nie in der Tagesaktualität verliert. Wir dürfen uns freuen auf den dritten, abschließenden Band dieser brillanten Trilogie einer Zeitenwende.