Buchcover: "Die schmutzige Frau" von Anne Pehnt

"Die schmutzige Frau" von Anne Pehnt

Stand: 01.02.2023, 12:00 Uhr

Eine Frau wird von ihrem Mann ausquartiert, um zu sich und ihrem Schreiben zu finden, wie er sagt. Nur dass die Frau die neue Wohnung nicht mehr verlassen kann. Annette Pehnts Roman erzählt von einer abgeschobene Ehefrau auf ihrem Weg zur Selbstermächtigung. Eine Rezension von Oliver Pfohlmann.

Annette Pehnt: Die schmutzige Frau
Piper Verlag, 2023.
176 Seiten, 22 Euro.

"Die schmutzige Frau" von Anne Pehnt

Lesestoff – neue Bücher 01.02.2023 05:28 Min. Verfügbar bis 01.02.2024 WDR Online Von Oliver Pfohlmann


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Eine eigene Wohnung

Ein eigenes Zimmer: Das war einst für Virginia Woolf die Grundvoraussetzung dafür, um als Frau Literatur erschaffen zu können. So gesehen hat die namenlose Ich-Erzählerin von Annette Pehnts neuem Roman keinen Grund zur Klage. Immerhin hat die Ehefrau und Mutter zweier erwachsener Kinder neuerdings eine ganze Wohnung für sich. Aber nicht etwa, weil sie von ihrem Mann verlassen worden wäre; im Gegenteil: Dieser hat ihr besagte Wohnung im 7. Stock eines Hochhauses sogar gekauft.

Und zwar eben deshalb, damit sich seine literarisch ambitionierte Gattin hier, über den Dächern der Stadt, ganz im Sinne Virginia Woolfs endlich selbst finden und verwirklichen könne. Ganz schön großzügig also. Komisch ist nur, dass sich die Begeisterung der Ich-Erzählerin über ihre neue Lebenssituation in Grenzen zu halten scheint.

"Wir waren außer uns, erschöpft und ratlos, und brauchten eine Entscheidung, und mein Mann hat sie herbeigeführt
Ohne meine Zustimmung hätten wir es aber nicht tun können, also musste ich zustimmen
So komme ich wenigstens zum Schreiben"

Genug Verdachtsmomente

So viel männliche Selbstlosigkeit macht misstrauisch: Geht es dem – ebenfalls namenlos bleibenden – Ehemann wirklich um das Wohl seiner Frau? Oder darum, die Ich-Erzählerin auf möglichst elegante Weise loszuwerden, vielleicht sogar, um freie Bahn bei einer Affäre zu haben?

Verdachtsmomente gibt es jedenfalls genug. Etwa als nach einem Wasserschaden die bestürzte Ehefrau doch wieder ins gemeinsame Heim zurückkehren will und ihr Mann heuchlerisch dagegen argumentiert.

"Du wolltest doch allein leben und schreiben, sagte er, es war deine Entscheidung
Wir können alles sofort ändern, das weißt du, niemand hält dich hier oben gefangen
Du kannst jederzeit zu mir zurückkommen
Du hast es genau so gewollt
Das stimmt nicht, wende ich ein"

In der Isolation

Inwiefern entspricht also die neue Lebenssituation wirklich den Wünschen der Ich-Erzählerin? Und wichtiger: Warum verlässt sie seit ihrem Einzug ihr neues Domizil nicht mehr und lässt sich hier oben von ihrem Mann rundum versorgen? Zumal ihr freiwilliger Lockdown auch noch ein kommunikativer ist: Ohne Post, Telefon oder Internet hat sich die Ich-Erzählerin in ihrer Wohnung im 7. Stock von allen isoliert – und ist damit zugleich von ihrem Ehemann abhängiger denn je.

Eine toxische Beziehung

Immerhin fördert das Alleinsein in luftiger Höhe das Nachdenken über sich selbst, über ihre Rolle als Ehefrau und Mutter, den eigenen Lebensweg und frühere Beziehungen, über lange unterdrückte Wünsche und Sehnsüchte. Erkennbar wird eine ebenso typische wie toxische Paarkonstellation.

Mit einem Mann, der sich am liebsten selbst reden hört, sich über Widerspruch nur ärgert und ein Meister darin ist, seiner Frau unausgesprochen Schuldgefühle zu machen. Und mit einer Frau, die sich in einer Art erlernten Hilflosigkeit selbst gefangen hat, stets bemüht, keine "Fehler" zu machen, von denen es in dieser Ehe offenbar sehr viele gibt.

"Sehr viele sind mir bereits unterlaufen, andere kann ich nur ahnen
Als ich noch nicht wusste, wie leicht es ist, sich falsch zu verhalten, beging ich zahlreiche, wurde aber nicht korrigiert, weil mein Mann sich zurückhielt
Das muss ihn viel Kraft gekostet haben"

Eine originelle Form

Für ihren neuen Roman über eine abgeschobene Ehefrau auf ihrem Weg zur Selbstermächtigung hat Annette Pehnt eine originelle Form gefunden. Wieder, muss man hinzufügen, schließlich hat die Hildesheimer Professorin für Literarisches Schreiben schon mal einen Roman ganz ohne Fragezeichen vorgelegt. Ihr neues Werk ist ein Versroman. Jeder Satz steht in einer neuen Zeile; abschließende Satzzeichen gibt es nicht. Das führt zu einer verlangsamten, intensivierten Lektüre, die es ermöglicht, die Untiefen dieser Beziehung auszuloten.

In der Tradition feministischer Literatur

In Fließtext sind dagegen jene Romanpassagen erzählt, in denen Pehnts Protagonistin in ihrer Wohnung tatsächlich nach und nach zum eigenen Schreiben findet: rätselhafte Geschichten um eine "schmutzige Frau". Diese gibt dem Roman seinen Titel, erfährt sich seit Kindheitstagen als Außenseiterin und wird für Männer unwillentlich zur Projektionsfigur, die wie von selbst Beschützerinstinkte wachruft.

In vielen Kulturen gelten Frauen traditionell als unrein; bei Pehnt wird der angebliche Schmutz zur eindrucksvollen Metapher für Widerständigkeit und die Weigerung, sich Stereotypen von Weiblichkeit anzupassen. Damit stellt sich Annette Pehnts lesenswerter Roman "Die schmutzige Frau" selbstbewusst in die Tradition der feministischen Literatur einer Marlen Haushofer oder Marlene Streeruwitz.