Buchcover: "In unseren Kreisen" von Georg M. Oswald

"In unseren Kreisen" von Georg M. Oswald

Stand: 28.04.2023, 12:00 Uhr

Tausche zufriedenes Mittelstandsleben gegen großbürgerliche Villa mit Millionenerbe: Auf diesen vermeintlich lukrativen Handel lassen sich in Georg M. Oswalds Roman "In unseren Kreisen" die Sandmanns ein. Bis sie die Frage nach der Herkunft ihres Erbes umtreibt. Eine Rezension von Oliver Pfohlmann.

Georg M. Oswald: In unseren Kreisen
Piper Verlag, 2023.
208 Seiten, 24 Euro.

"In unseren Kreisen" von Georg M. Oswald

Lesestoff – neue Bücher 28.04.2023 06:11 Min. Verfügbar bis 27.04.2024 WDR Online Von Oliver Pfohlmann


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Immobilienerben kennen das Problem: Die Freude über das vermachte Heim währt oft nur kurz, am Ende muss es gleich wieder verkauft werden – wegen der Erbschaftssteuer. Tatjana Sandmann, im neuen Roman von Georg M. Oswald die Erbin einer hundert Jahre alten Bauhaus-Villa, bleibt dieses, nun ja, Schicksal erspart. Wie die Testamentsvollstreckerin der verblüfften Ehefrau und Mutter einer Zehnjährigen erklärt, hat die Erblasserin nämlich vorgesorgt: Zusätzlich zur Millionenvilla hat Tante Rose ihr noch die Kleinigkeit von zweieinhalb Millionen in Cash hinterlassen.

"Später behaupteten sie, die Erbschaft sei überraschend gekommen. Das war etwas merkwürdig, denn Tante Rose hatte nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie ihr Haus einmal ihrer einzigen Nichte hinterlassen würde. Aber gelogen war es auch nicht, denn alles, was diese Erbschaft mit sich brachte, erwies sich für Tatjana, Nikolai und ihre Tochter Marie als so ungeheuerlich, dass ihnen das Wort ›überraschend‹ dafür sogar eher untertrieben erschien."

Beim Thema Erben geht bekanntlich ein Riss durch die Gesellschaft, schließlich kann sich kaum noch einer mit eigener Leistung ein Haus zulegen. Dafür werden hierzulande jährlich 400 Milliarden Euro via Erbschaft oder Schenkung an einige Glückliche weitergereicht.

Ein Riss geht daher bald auch schon durch die Sandmanns in Oswalds Roman. Die führen bislang ein zufriedenes Mittelschichtsleben: in einer kuschligen Altbauwohnung in einer hippen Münchner Wohngegend, mit guten Freunden als Nachbarn. Dabei pflegen sie einen, im Soziologen-Sprech, "post-materialistischen Lebensstil": Beim Einkauf wird immer auch an das gute Gewissen gedacht, und Geld soll natürlich "nicht allein das Maß aller Dinge sein".

Umso mehr staunt Nikolai, ein mäßig erfolgreicher Schriftsteller, über die Selbstverständlichkeit, mit der seine über Nacht reich gewordene Frau ihren Beschluss verkündet: Die Familie werde umziehen, in besagte Traumvilla im noblen "Philosophenviertel". Und Tochter Marie, die in Sachen Übertritt aufs Gymnasium schlechte Karten hat, werde künftig auf ein nahes Privatgymnasium gehen – ein diskretes Gespräch mit der Direktorin und eine kleine Spende hätten es möglich gemacht.

"Eigentlich hatte er sich vorgenommen, mit Tatjana wichtige Fragen zu diskutieren: War es überhaupt okay zu erben? Oder wäre es nicht viel besser, auf das Erbe zu verzichten, beziehungsweise es, zum Beispiel, anzunehmen und zu spenden? Oder wenigstens einen Teil davon? Und wäre es nicht vielleicht richtiger, an ihrem Leben nichts zu ändern, einfach, weil es gut war, so wie es war?"

Mit einer Mischung aus Faszination und Bestürzung beobachtet Nikolai nicht nur das gleichsam geboosterte soziale Selbstbewusstsein seiner Frau. Sondern auch die Leichtigkeit und Euphorie, mit der sich Tatjana alsbald an ihr neues Umfeld anzupassen versteht. Der Mittvierziger Nikolai dagegen, aus dessen Sicht Oswald seinen Roman erzählt, fühlt sich zwischen all den Villen und ihren exzentrischen Eigentümern bald schon wie ein, Zitat, "Komparse im eigenen Leben".

Ihm begegnen überaus freundliche Menschen, die eine "gelassene Bürgerlichkeit" ausstrahlen und im Keller ihr eigenes Schwimmbad, ihre eigene Sauna besitzen. Und die sich trotzdem für die nahe Flüchtlingsunterkunft engagieren. Oder ist das alles nur Schein und sind die Menschen im Philosophenviertel, wie der grantige Eversmeyer behauptet, nichts weiter als eine "Versammlung von Nichtsnutzen"? Die im Zweifel sogar bereit sind, über Leichen zu gehen? Und warum sagt Eversmeyer, die Villa der Sandmanns hätte einst Juden gehört?

Georg M. Oswalds "In unseren Kreisen" sei "der Roman unserer Zeit", tönt es vom Klappentext, und mit Blick auf seine Themen – die zunehmenden Vermögens-unterschiede, die Frage der Verteilungsgerechtigkeit – leuchtet das durchaus ein. Nur leider ist es auch ein Roman mit Licht und Schatten. Zu seinen Stärken zählt die ironische Beschreibung einschlägiger Milieus sowie die Wandlung der Sandmanns von linksliberalen, engagierten Hipstern zu neuen Großbürgern.

Andererseits wirkt vieles an Oswalds routiniert erzähltem Roman, als sei es für den literarischen Ethikunterricht konstruiert. Das betrifft die Verquickung von Familien-geschichte mit der NS-Vergangenheit und die Frage nach der Herkunft vererbten Vermögens ebenso wie die reißbrettartig skizzierten Sandmanns.

Umso aufregender erscheint dagegen die Erblasserin, Tatjanas exzentrische Tante Rose, die zu Lebzeiten einen polyamourösen Lebensstil pflegte und sich nach dem Tod ihres Mannes, eines Psychoanalytikers, einfach weiter mit ihm "unterhielt". Und die gelassen und würdevoll in den Freitod geht, als sie zwanzig Jahre später den Kontakt zu dem Toten endgültig verliert. Wer einen Roman mit so einer Figur anfängt, darf sich nicht wundern, wenn das übrige Personal dagegen nur noch langweilt.