Buchcover: "Mein Herz ist eine Krähe" von Lina Nordquist

"Mein Herz ist eine Krähe" von Lina Nordquist

Stand: 27.09.2023, 12:00 Uhr

Zwei Paare aus zwei Generationen kämpfen oben in den nordschwedischen Wäldern mit der Natur und um ihr eigenes, ständig bedrohtes Glück – ein Liebesroman von archaischer Wucht. Eine Rezension von Jutta Duhm-Heitzmann.

Linda Nordquist: Mein Herz ist eine Krähe
Aus dem Schwedischen von Stefan Pluschkat.
Diogenes Verlag, 2023.
458 Seiten, 25 Euro.

"Mein Herz ist eine Krähe" von Lina Nordquist

Lesestoff – neue Bücher 27.09.2023 05:38 Min. Verfügbar bis 26.09.2024 WDR Online Von Jutta Duhm-Heitzmann


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Auf der suche nach Frieden

Kåra ist dreiundfünfzig und am Ende ihres Lebens angelangt. Zumindest dem Teil des Lebens, wie sie es seit vielen Jahren kennt: in einer Hütte hoch im schwedischen Norden, weit entfernt vom nächsten Dorf, zusammen mit Dag, ihrem Mann, und dessen Eltern. "Frieden" heißt das Haus – doch den hat Kåra dort nicht gefunden.

"Soll ich weiter über die Dinge schweigen, die mich nachts zermartern (…) oder schreie ich die Wahrheit in den Himmel wie die Gänse? Falls meine Stimme überhaupt trägt."

Verbunden mit der Natur

Ihre Stimme ist nicht einzige. Abwechselnd mit ihr berichtet auch Unni, die Großmutter, und zusammen malen die beiden Frauen ein Bild, das eher dem 19. Jahrhundert zu entstammen scheint als dem 20. Denn die bäuerliche Arbeit, die ihre Existenz sichert, wirkt teilweise so archaisch wie vor Urzeiten.

Die Menschen sind unentrinnbar verbunden mit der Natur, dem ungezähmten Wald, der sie bedroht, aber auch reichlich beschenken kann, den mühsam bestellten Äckern, deren Ernte über Tod und Leben entscheidet. Immer der Macht der Jahreszeiten ausgeliefert, den Kältekrallen des Winters.

"Die Grenze zwischen gewöhnlichem Hunger und Hungersnot ist manchmal hauchdünn."

Der Hoffnung versprechenden Umarmung des Frühlings.

"Die Sträucher hingen voll mit dicken Blaubeeren, der Sauerklee war sattgrün, und einige Wochen später holte ich neue Kartoffeln aus dem Acker beim Komposthaufen. Wir aßen Wurzelgemüse-Eintopf, der nach frischen Kräutern roch."

Gefangen im Überlebenskampf

Vor allem aber ist "Mein Herz ist eine Krähe" ein Buch über Liebe. Zwei Paare: Unni und Armod; und Kåra und Dag. Unni und Armod fliehen zusammen mit dem kleinen Sohn Roar aus Trondheim, wo der Pfarrer Unni als Kindsmörderin anklagen will – nachdem er sie missbraucht hat.

Sie schlagen sich durch bis ins entlegene Hälsingland, verzweifelt, oft dem Tode nahe, bis sie eine verlassene Hütte finden. Doch auch hier geht der Überlebenskampf weiter, mit den Menschen und mit der Natur, deren lockendem Zauber Unni sich nie angstfrei hingeben kann.

"'An Schönheit gewöhnt man sich viel zu leicht', sagte ich. 'Ich hoffe, dass du dich an sie gewöhnst', sagte Armod. 'Und egal was du tust: gewöhn dich nie an das Hässliche.'"

Von Weisheit und Lebensmut

Sätze, die nicht nur den Romanfiguren Kontur verleihen sondern auch der Autorin. Lina Nordquists Roman – ihr Debüt – besticht durch ungebrochene Sprachkraft und Beobachtungslust, lakonische Nüchternheit und poetische Verdichtung. Sie zeichnet ihre Protagonisten mit wenigen Strichen, gibt ihnen Tiefe und verzweifelte Weisheit, auch Lebensmut trotz aller Schicksalsschrecken:

Wenn Armod tödlich verunglückt und Unni sich und ihre drei Kinder allein durchschlagen muss, unter solchen Opfern, dass es einem fast den Atem nimmt. Wenn Roar, ihr geliebter Sohn, dann eine Frau ins Haus bringt, Bricken, strahlend und warmherzig, ihr Enkel Dag dagegen die etwas seltsame Kåra - neben Unni die zweite Ich-Erzählerin.

"Ich wollte eine Ameise mit hartem Außenskelett zum Schutz vor der Welt, nicht der wacklige Geleeklumpen, der ich war. Ameise oder mutige Hündin – nichts davon wurde wahr. Stattdessen folgte mir ein zartgliedrige Angst überall hin, wie ein räudiger Fuchs."

Ein bewundernswert gelungener Erstling

Diese Angst macht Kåra unberechenbar, verlogen und manchmal böse, unfähig um das Glück zu kämpfen, das sie sich nur heimlich erschleichen kann. So wie die verbotene Liebe zu ihrem Schwiegervater, zu Roar. Als er stirbt, bedeutet es das Ende für alle – das trotzdem versöhnt. Denn es beendet auch verborgene und zerstörerische Geheimnisse.

Der Roman von Lina Nordquist ist ein bewundernswert gelungener Erstling, durchaus in der Tradition des skandinavischen Realismus mit seinem ganz eigenes Flair, seiner Naturverbundenheit und seiner psychologischen Genauigkeit. Wunderbar auch ihre menschennahe Symbolik: Krähen sind für Unni liebevoll warnende Schwestern, für Kåra aber die verstörende Stimme der Angst.

"Mein Herz ist eine Krähe hoch oben in einem Baum. Mal krächzt sie in der Ferne, mal kommt sie näher. Ich schätze, ich wurde so geboren, und trotzdem habe ich mich oft gefragt, warum die Krähe gerade mich ausgewählt hatte."