Buchcover: "Deutschland im Zeichen des Hakenkreuzes" von Manuel Chaves Nogales

"Deutschland im Zeichen des Hakenkreuzes" von Manuel Chaves Nogales

Stand: 05.12.2022, 12:00 Uhr

Im Kölner Kupido Literaturverlag erscheint die berühmte Reportage aus Nazideutschland, die der spanische Journalist Manuel Chaves Nogales bereits drei Monate nach der Machtergreifung verfasst hat. Mit analytischem Blick durchschaut er die plumpen, aber funktionstüchtigen Manipulationen des totalitären Systems.

Manuel Chaves Nogales: Deutschland im Zeichen des Hakenkreuzes
Aus dem Spanischen und eingeleitet von Frank Henseleit.
Kupido Literaturverlag, Köln 2022.
160 Seiten mit zahlreichen Faksimiles, 25 Euro.

"Deutschland im Zeichen des Hakenkreuzes" von Manuel Chaves Nogales

Lesestoff – neue Bücher 05.12.2022 05:22 Min. Verfügbar bis 05.12.2023 WDR Online Von Tobias Eisermann


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Eine akribische Reportage

Manuel Chaves Nogales war der rasende Reporter Spaniens zwischen den Weltkriegen und weit in den Zweiten hinein. Er berichtete aus der Sowjetunion, aus Frankreich, Italien und Großbritannien. Die berühmte Reportage aus Nazideutschland von 1933 ist wohl der legendärste seiner Texte.

Frank Henseleit hat ihn in seinem kleinen, aber feinen Kupido Literaturverlag für den hiesigen Buchmarkt gerade in seiner deutschen Übersetzung zugänglich gemacht. Von keinem zweiten Beobachter ist der an die Macht gelangte Nationalsozialismus zu Beginn des Dritten Reichs so klarsichtig und akribisch durchleuchtet worden wie von Chaves. Der spanische Journalist schrieb seine Reportage für die Tageszeitung AHORA, für die er als Sonderkorrespondent unterwegs war, im Mai 1933.

Wie aus einem bösen Bilderbuch

Chaves Nogales beschreibt den totalitären NS-Staat analytisch präzise: die Organisation der Nazikampftruppen, ihre Bewaffnung und die mutmaßlichen Pläne zur Finanzierung. Auch den Alltag, in der Großstadt wie in der Provinz, und die Rolle der Frauen. Gut drei Monate nach der Machtergreifung reist er über das Saargebiet ins Deutsche Reich ein.

In Kaiserslautern besucht Chaves einen traditionellen Gasthof und interviewt die Gäste. Ein sozialer Ort wie aus einem bösen Bilderbuch.    

"Selbstverständlich sind die Leute im Gasthof alle für Hitler. Wir haben keine andere Wahl, sagen sie, als den Krieg zu beginnen, und der einzige Mensch, der in der Lage ist, uns dort hinzubringen, ist Adolf Hitler."

In allen Schichten der Gesellschaft

Kriegstreiberische und auch immer wieder antisemitische Stimmen, von der "Weltherrschaft des Judentums", und andere Wahnideen, die den Menschen durch geschickte Manipulation eingeimpft werden. Die nationalsozialistische Ideologie steckt bereits in jedem Einzelnen, dokumentiert Chaves mit scharfem Blick.

Er beschreibt, wie das menschenverachtende Gedankengut mit aller Macht zum Staatsdogma proklamiert wird. Als erster ausländischer Journalist wird er Zeuge der Bücherverbrennungen. In sämtlichen Schichten der deutschen Gesellschaft, findet sich die Bereitschaft, all jene auszuschalten, die mit dem Hitlerismus nicht infiziert sind: Juden, Liberale, Demokraten Kommunisten. Bezeichnend ist der Besuch in einem Arbeitslager für Freiwillige in der Nähe von Berlin.

"Wer würde behaupten, dies sei keine Kaserne? Freiwillige Arbeit bedeutet verpflichtenden Militärdienst. Eine Schale Essen und ein kleines Salär für den Drill zukünftiger Rekruten."

Die Manipulation der Kinder

Als die brutalste demagogische Kraft erkennt Chaves die Indoktrination der Kinder und Jugendlichen. Für junge Menschen besitzt der Nationalsozialismus besonders verlockende radikale, gewalttätige Züge. Auch die Studierenden an den Universitäten werden sogleich manipuliert.

"Die Kaufhäuser sind voller Nazispielzeug. Dasselbe trifft auf die Sportartikel zu. Abzeichen, Uniformen, Fahnen, alles lenkt das Kind in Richtung Nationalsozialismus. Den Studenten gibt man das Recht, Professoren zu denunzieren, die angeblich von Liberalismus, Judaismus und Marxismus vergiftet sind."

Interview mit drastischer Einleitung

Der Höhepunkt des Bandes ist das Goebbels-Interview. Natürlich macht die Zensur ihm Vorgaben. Aber er umgeht sie einfach durch eine drastische Einleitung.

"Dr. Goebbels zählt zur lächerlichen, grotesken Sorte Mensch. Er ist der Typ des gekränkten Irren. Ein Besessener, der in sich die Kraft der Verführung spürt, wie sie in allen von einer einzigen Idee befallenen Erleuchteten waltet: Robespierre oder Lenin. Er ist ein Sektierer, dem sein Ideal befiehlt, den Vater an die Wand zu stellen und erschießen zu lassen, wenn er sich ihm in den Weg stellt."

Unbedingt lesenswert

Seine ätzende Kritik an Goebbels brachte Chaves auf die Todeslisten der Gestapo. Schon 1936 musste er vor dem Franco-Regime aus Spanien fliehen. Er ging zuerst nach Paris. 1940 floh er von dort, unmittelbar vor dem Einmarsch der Wehrmacht, und ging nach London.

Da starb er 1944, noch vor Ende des Krieges und somit ohne die Genugtuung des Sieges der antitotalitären Kräfte mit sechsundvierzig Jahren vermutlich an Krebs. Ein hochinteressanter Text eines großartigen Autors – unbedingt lesenswert!