
"In einer deutschen Pension" von Katherine Mansfield
Stand: 21.09.2023, 07:00 Uhr
Katherine Mansfields Erzählungen "In einer deutschen Pension" sind ironische Beobachtungen einer jungen Frau im bayerischen Bad Wörrishofen. Die Schauspielerin Nina Hoss liest einige dieser Texte mit dem entsprechenden Unterton. Eine Rezension von Christoph Vratz.
Katherine Mansfield: In einer deutschen Pension
Gelesen von Nina Hoss.
Der Audio Verlag, 2023.
1 CD, 1h und 14min Laufzeit, 15 Euro.
Mitten im Pensions-Leben
Ankunft in Deutschland. Eine junge Frau – in Neuseeland geboren, seit einigen Jahren in England beheimatet – lebt Anfang des 20. Jahrhunderts für kurze Zeit in einer Pension im bayerischen Bad Wörrishofen.
"Die Brotsuppe wurde auf den Tisch gestellt. 'Ah', sagte der Herr Rat, beugte sich über den Tisch und spähte in die Terrine, 'Das ist’s, was ich brauche!' […] 'Wie interessant', erwiderte ich und bemühte mich, das genau richtige Maß an Begeisterung in meine Stimme zu legen."
Da wird nicht lange herumgefackelt. Schon mit den ersten Sätzen sind wir mittendrin, im Pensions-Leben anno 1909. "Deutsche beim Fleisch" heißt die erste dieser Erzählungen, die Katherine Mansfield mit Rückblick auf ihren Bayern-Aufenthalt geschrieben hat. Ihre Situation ist nicht einfach: von den betuchten Eltern wegen ihrer Lebensweise enterbt, chronisch klamm, kränklich nach einer Fehlgeburt – und jetzt ist sie zur Kur in Deutschland.
"'Essen die Engländer wirklich so viel', fragte Fräulein Stiegelauer. 'Suppe und frisches Brot und Schweinefleisch und Tee und Kaffee und Kompott und Honig und Eier und kalten Fisch und Nieren und warmen Fisch und Leber? Und alle Damen essen das auch, besonders die Damen?'"
Spießertum und Provinz-Gehabe
Mansfield veröffentlicht ihre beißend-scharfzüngigen Erzählungen erstmals 1911 im Londoner Wochenblatt "The New Age". Die Ich-Erzählerin beschreibt den Alltag, den Kurbetrieb und die Gäste, die in der Pension Müller ein- und ausgehen. Sie porträtiert und entlarvt, sie nimmt Spießertum und Provinz-Gehabe, moralische Besserwisserei und falsche Gründlichkeit mit der gebotenen Distanz aufs Korn.
"'Stimmt es', fragte die Witwe und stocherte, während sie sprach, mit einer Haarnadel in den Zähnen, 'dass Sie Vegetarierin sind?' 'Ja – ich habe seit drei Jahren kein Fleisch mehr gegessen.' 'Unmöglich! Haben Sie Kinder?' 'Nein.' 'Da haben wir’s. Dahin kommt es nämlich mit Ihnen. Es ist unmöglich, Kinder zu bekommen, wenn man nur Gemüse isst.'"
Die Lust am Betrachten und Bloßlegen
Mansfield selbst hat ihr literarisches Debüt später einmal als "unreif" kritisiert. Doch all ihre Qualitäten als Meisterin der modernen Kurzgeschichte sind hier bereits vorhanden: das Gespür für Alltags-Situationen und ihre Lust am Betrachten und Bloßlegen.
"Der Herr Oberlehrer, der mir gegenübersaß, lächelte leutselig. 'Es muss doch sehr interessant für Sie sein, gnädige Frau, alles beobachten zu können… natürlich ist das hier ein sehr vornehmes Haus.'"
Analytische Fähigkeiten und bissige Darstellung
Ob individuelle Verhaltensformen oder allgemeine Strömungen des Zeitgeistes – Mansfield beweist schon in diesen frühen Texten, wie sich analytische Fähigkeiten und eine knappe, bissige Darstellung zusammenbringen lassen. Etwa als sie einen kleinen, schmächtigen Mann beschreibt, der immer allein am Tisch sitzt und den anderen Gästen den Rücken zukehrt. Er ist ein "Baron".
"Ich blickte auf den uradeligen Baron. Er aß Salat, indem er ein ganzes Salatblatt auf seine Gabel nahm und es sich dann gemächlich, nach Art der Kaninchen, einverleibte: für den Beobachter ein faszinierender Vorgang."
Die Figuren nehmen schnell Gestalt an
Von Mansfields "In einer deutschen Pension" gibt es zwei Hörbuch-Versionen – beide begnügen sich mit einer Auswahl der insgesamt 13 Erzählungen. Die Lesung mit Maren Eggert stammt von 2007, die mit Nina Hoss bereits aus dem Jahr 2003. Diese ältere Aufnahme ist nun erstmals als mp3-CD in den Handel gekommen.
Nina Hoss liest mit Lust an der Pointe und mit Mut zur Überzeichnung. Auf diese Weise nehmen die einzelnen Figuren vor dem Ohr jeder Hörerin und jedes Hörers schnell Gestalt an.
"Gegen Ende der Mahlzeit wurde Kaffes gereicht. Ich bemerkte, dass der Baron drei Stück Zucker nahm, zwei in seine Tasse fallen ließ und das dritte in einen Zipfel seines Taschentuchs einwickelte."
Später stellt sich heraus, dass der Herr Baron immer die doppelte Portion an Essen zu sich nimmt und deshalb lieber allein sitzt – damit es nicht so auffällt…
Ein Hörvergnügen
Nina Hoss liest sehr wachsam, in den Dialogen stellenweise spitzzüngig und in den kurzen beschreibenden Abschnitten mit klugem Rhythmus. Man hört Mansfields Erzählungen "In einer deutschen Pension" gern zu – und bedauert nur, dass man sich mit einer Auswahl begnügen muss.