
"Frankie" von Michael Köhlmeier
Stand: 24.01.2023, 12:00 Uhr
Ein Großvater, der sein halbes Leben im Gefängnis saß, und ein heranwachsender Ich-Erzähler, der sich als Muttersöhnchen präsentiert, es aber faustdick hinter den Ohren hat: Dieses ungewöhnliche Duo bestreitet Michael Köhlmeiers Coming-of-Age-Roman "Frankie". Eine Rezension von Oliver Pfohlmann.
Michael Köhlmeier: Frankie
Hanser Verlag, 2023.
208 Seiten, 24 Euro.
Ein Großvater mit krimineller Vergangenheit
Einen Menschen zu ermorden ist ein Kinderspiel. Behaupten zumindest all die Krimis, die unsere Buchhandlungen und Fernsehschirme fluten. Einer, der vor diesem Trugschluss eindringlich warnt, ist Ferdinand, der Großvater des Ich-Erzählers in Michael Köhlmeiers neuem Roman. Und Ferdinand muss es wissen, schließlich saß er bis vor kurzem noch im Knast, als Schwerverbrecher, 18 Jahre lang.
Ein neues Leben anfangen
Warum oder besser gesagt: wofür? Das ist ein Rätsel, das seinen 14-jährigen Enkel Frank seit Ferdinands vorzeitiger Entlassung umtreibt. Niemand will es ihm verraten. Nicht der Großvater, der sich immer mehr in Franks Leben einmischt – und dem schnell die Hand ausrutscht, wenn er das Gefühl hat, der Junge halte ihn für einen Trottel.
Nicht Franks alleinerziehende Mutter, die ihren tyrannischen Erzeuger am liebsten wieder hinter Gittern sähe. Und auch nicht das Internet. Denn wie sich herausstellt, haben sowohl Franks Opa als auch seine Mutter in den Jahren zuvor ihre Namen geändert, um jeder für sich ein neues Leben anfangen zu können.
"'Wir heißen in Wahrheit nicht Thaler. Nein, falsch. Du schon, du heißt Thaler, nämlich von Geburt an. Frank Thaler. Klingt gut, oder? Habe ich mir ausgedacht. Vorname ausgedacht, Nachname ausgedacht. Alles ich. Deine Mama.‘
'Und wie heißen wir in Wirklichkeit?‘
'Das eben sage ich nicht.‘“
Die Frage nach dem Motiv
So viel Geheimniskrämerei animiert natürlich zu wilden Spekulationen. Die aber alle ins Nichts führen, denn die Frage nach dem oder den Verbrechen des Großvaters bleibt in Köhlmeiers Roman bis zum Schluss offen. Was insofern eine sinnvolle Entscheidung des Autors ist, als jedes denkbare Delikt – ob nun Raubüberfall, Serienmord oder Terrorismus – den Großvater nur in eine Schublade stecken und von Köhlmeiers eigentlichem Thema ablenken würde.
Und dieses zieht sich wie ein roter Faden durch das Riesenwerk des österreichischen Autors, vom frühen Roman "Die Figur" aus den Achtzigern über einen Königsmörder bis zu seinen vielgelesenen Nacherzählungen antiker Mythen, bei denen es um die Frage geht, ob es für böse Taten wirklich immer Erklärungen gibt: also psychologische Gründe und Motive, die uns den beruhigenden Eindruck vermitteln, noch die schlimmste Tat sei doch irgendwie verstehbar. Oder ob sich Verbrechen nicht letztlich unseren Erklärungsversuchen entziehen und es sich bei ihnen nicht vielmehr um irrationale, unbegreifliche Ereignisse handelt. Zu diesem Schluss jedenfalls ist Franks Großvater in seiner Gefängniszelle gekommen:
"Ich bin dahintergekommen, dass wir nicht etwas aus irgendeinem Grund tun. Das Ergebnis meines zehnjährigen Denkens lautet: Wir tun etwas. Fertig. Wir tun es, weil wir es tun. Und sogar das ist falsch. Weil und Warum gehören zusammen wie Trinken und Durst. Also kannst du beide Wörter streichen. Wir tun. Fertig. Eine wirklich gescheite Justiz würde sagen: Er hat es getan. Fertig. Ab ins Loch mit ihm! Kein Warum, kein Weil. Er hat getan. Fertig, aus."
Ein widersprüchlicher Protagonist
Ein starker, ein verstörender Gedanke – nur leider versteht es Köhlmeiers Coming-of-Age-Roman nicht, ihn wirklich überzeugend durchzuspielen. Was auch deshalb schade ist, weil der Roman mit seiner Rollenprosa eines drollig-präpotenten Heranwachsenden durchaus amüsant zu lesen ist. Zudem fasziniert die sich entfaltende Beziehung zwischen Opa und Enkel in ihrem befremdlichen Schwanken zwischen Gewalt und Zärtlichkeit. Dennoch erscheint Köhlmeiers jugendlicher Protagonist einfach zu widersprüchlich und unglaubwürdig.
Denn die längste Zeit präsentiert sich Frank als naives, schüchternes Jüngelchen, das jedem Ärger in der Schule aus dem Weg geht und am liebsten sonntagabends mit seiner "Mama" gemütlich Tatort schaut. Doch kaum bekommt er von seinem Großvater – absurd genug – eine Pistole geschenkt, beschließt Frank, kein – Zitat – "Würstchen" mehr zu sein und wortwörtlich über Leichen zu gehen.
Billige Rechtfertigungen
Da erscheinen Überlegungen wie die, dass manche Menschen als Mörder einfach "geboren" werden, wie Franks Großvater seinem Enkel einredet, nur noch als billige Rechtfertigungen, mit denen sich Verbrecher vor einem allzu genauen Blick in den Spiegel drücken können.
Auf den Ich-Erzähler macht die Lebensweisheit seines Großvaters jedenfalls so viel Eindruck, dass er am Schluss auf die Frage seines Opfers, warum er tut, was er tut, nur lapidar antwortet: "Ich bin so". Mit diesem allzu simplen Verweis auf ein angeblich unvermeidliches Fatum, als wäre das Leben eine antike Schicksalstragödie, bleibt Köhlmeiers Roman leider unter seinen Möglichkeiten.