
"Seine Liebeserfahrung" von Eduard von Keyserling
Stand: 02.02.2023, 12:00 Uhr
Zu den späten Erzählungen von Eduard von Keyserling zählt "Seine Liebeserfahrung". Ein Text, der von unglücklichen Sehnsüchten handelt. Peter Matic hat ihn mit seiner markanten Stimme als Hörbuch festgehalten. Eine Rezension von Christoph Vratz.
Eduard von Keyserling: Seine Liebeserfahrung
Gelesen von Peter Matić.
Der Audio Verlag, 2023.
1 mp3 CDs, 15 Euro.
Nun endlich soll es was werden. Der junge Schriftsteller Magnus von Brühlen plant den großen Coup.
"3. August 1900: Jetzt musste ich das Buch schreiben, ich fühlte es deutlich. Die Gedanken begannen schwer in mir zu werden, zu drücken, wie reife Früchte auf die Zweige drücken. Mit zweiunddreißig Jahren ist eine Entwicklung nicht abgeschlossen. Der Strich, den ich jetzt unter meine Weltanschauung setzen muss, muss noch nicht definitiv sein."
Von Brühlen plagt keine finanzielle Not, wie so viele Figuren im Werk von Eduard Keyserling. Ein Schriftsteller, der aus Passion schreibt, nicht zum Broterwerb.
"Ich habe mir für das Manuskript ein sehr edles Papier angeschafft, leicht gelblich getönt, glanzlos, die heraldische Lilie als Wasserzeichen. Auf dem Umschlag habe ich mit veilchenfarbener Tinte den Titel geschrieben: 'Die goldene Kette'."
Doch die Konzentration auf sein neues Projekt wird gestört durch eine Begegnung mit dem Baron Daalen-Liesewitz.
"Gerade dem hätte ich nicht begegnen wollen. Er war mit meinem Vater befreundet, und ich bin ihm einen Besuch schuldig. Ich war ihm früher einmal begegnet und hatte ihm gesagt, dass ich verreise – und nun –: 'Wieder hier', sagte der Baron. – Ja, ich war wieder hier, das ließ sich nicht leugnen. – 'In Arbeit' – murmelte ich. 'So? – Fleißig also!' meinte der Baron. 'Schön, schön. Aber die Abende sind frei – was? Jetzt muss man die Abende genießen.'"
Der Baron ist verheiratet – mit der unglücklichen Claudia, die sofort von Brühlens Aufmerksamkeit auf sich zieht:
"Ein sehr schlankes, feines Figürchen – ganz farbig – gleich fiel mir die unendlich feine Linie der abfallenden Schultern auf. Der blaue Musselin des Kleides floss so eng am Körper nieder, dass die Knie im Gehen leicht gegen den Stoff stießen […] Der Kopf erschien mir zuerst überraschend; ganz leichtes, hellrotes Haar umgab ihn, das Gesicht darunter weiß und ruhig – und darin große braunrote Augen, farbig und samtig, wie die Blätter mancher Chrysanthemen."
Keyserling entspinnt in dieser 1906 erstmals veröffentlichten Erzählung ein feines Gespinst aus Emotionen: ein Hauch von Nähe hier, eine Ahnung dort – alles mehr ein Andeuten als ein Ausleben.
"Mir ist’s, als säße ich in einem Traum und müsste mit ihm sehr behutsam umgehen, um nicht zu erwachen."
Peter Matić, der 2019 gestorbene Wiener Schauspieler, hat im Jahr 1998 Keyserlings Erzählung als Hörbuch aufgenommen. Man folgt seinem ungemein präzisen Vortrag, seiner klar strukturierenden Stimme mit Hingabe, auch in den sehr subtil mit Spannung aufgeladenen Dialogen:
"'Wie ist das, ein Lebenskünstler?' fragte Claudia, und es klang gereizt, fast feindselig. 'Ein Lebenskünstler, liebes Kind', dozierte Daalen, 'lebt eben ein Kunstwerk, lebt so, dass andere sich an seinem Leben erbauen können wie an einem Kunstwerk.' 'So', meinte Claudia und lachte böse und maliziös. 'Das muss nicht amüsant sein, so – so druckfertig zu leben. Wenn man ein Kunstwerk macht, dann weiß man, denke ich, auch immer im Voraus, was kommen muss.' […] Mir ist zuweilen, als fühlte ich ein tiefes Erbarmen mit Claudia und ihrer Hilflosigkeit. Ich kann ihre Hilflosigkeit an der meinen messen."
Insgesamt schlägt Peter Matić ein moderates Grundtempo an, das zu Keyserlings Erzählton gut passt. Das ständige Lavieren zwischen Hoffnung und Enttäuschung, das die Novelle "Seine Liebeserfahrung" auszeichnet, die gelegentliche Gereiztheit, das Ironisch-Zugespitzte und das Lakonische des Erzähl-Stils – all das fängt Matić auf treffende Weise ein. Zwei Stunden Hörvergnügen.